KULTUR

Golden Days Before They End

Sarah Wetzlmayr

Wiens „letzte Löcher“ pfeifen aus ihren letzten Löchern. Und weil sich nur wenige, vor dem endgültigen Sterben der Wiener Beislkultur, in all die Tschocherl und Hütt’n der Stadt trauen werden, haben Fotograf Klaus Pichler und Journalist Clemens Marshall diesen Orten einen Bildband gewidmet. 

von Sarah Wetzlmayr

Während in Wien-Bobotown vegane und glutenfreie Burgerlaibchen so lange nach rechts gedreht werden bis sie nicht nur den Darm schützende Bakterien entwickeln, sondern auch streng nach Feng Shui ausgerichtet da liegen und ein Leben ohne die neue Chia-Samen und Algen-Limonade vollkommen sinnlos erscheint, riskieren der Fotograf Klaus Pichler und der Journalist Clemens Marschall einen Blick dorthin wo sich, bis auf den Sinn selbst, alles relativ schnell entleert – in die Wiener Beisln, auch Tschocherl oder Hütt‘n genannt. Nur wenige trauen sich hinein, weil sie Angst haben den inneren Dunstkreis der Lokalität zu durchbrechen. Oder einfach aus Furcht vor Lungenkrebs, die mit diesem bereits erwähnten Dunstkreis eng verbunden ist. Meistens gibt es, durch die vergilbten Fensterscheiben hindurch, weder die Möglichkeit auf Aus- noch auf Einblick. Man muss schon selbst hineingehen um zu wissen, wo sich die Wiener Seele selbst therapiert. Das tun jedoch nicht viele –  die Hemmschwelle ist auch oft in rauschigem Zustand, noch relativ groß. Deshalb sind die typischen Wiener Tschocherl vom Aussterben bedroht. Um diesen langsam dahinkriechenden Prozess aufzuhalten ist das Fotobuch-Projekt „Golden Days before they end“ entstanden, das ziemlich tiefe Einblicke in die Wiener Beisl-Hochkultur gewährt. „Das Gasthaus ist die Vorstufe zur Psychatrie“, sagt Wirtin Maria Uitz vom Schmauswaberl darin und auch Ulrike Kerner vom Schweden Espresso lässt uns an ihrem Arbeitsalltag teilhaben:

„Die Diplomaten sitzen in der Früh da auf einen Kaffee, bevor’s losgeht. Inzwischen kommen die Huren von der Arbeit. Die bestellen sich eine Flasche Chardonnay am Nebentisch. Fünf Minuten später tanzen sie bei den Diplomaten am Tisch. Die laden sie dann ein auf ein Flascherl – da haben sie dann eine Mordsgaudi. Am Nachmittag sitzen die Diplomaten noch immer da, da hängt die Krawatte schon hinten runter und sie haben Lippenstift im Gesicht. In der Früh ist es meistens am lustigsten, weil da kommt alles zusammen.“

Rauchverbot und Registrierkassenpflicht machen die Situation nicht gerade einfacher. Doch man lässt sich, wie Gertrude Marek vom Salzamt, nicht so leicht unterkriegen:

„Letztens ist einer gekommen und macht sich da wichtig: „Ich geb dir 10.000 Euro, wenn ich die Hütte bekomme.“ Hab ich gesagt: „Weißt, was du kriegst? 10.000 Watsch’n kannst du haben! Bei mir nicht!“ Das ist meine Hütte. Die geb ich nicht her.“

Es ist eine Form von Paralleluniversum, das Pichler und Marschall hier zeichnen, und im Gegensatz zur omnipräsenten Vorstellung davon, dass man im Beisl eigentlich eh nur „versumpfen“ kann, ist dieser Sumpf für viele, die durch ein Loch im sozialen Netz gerutscht sind, eigentlich ein Auffangbecken. Das Buchprojekt ist ein bebilderter Abgesang auf viele dieser in den letzten Atemzügen liegenden Orte. Es sind schwere und von Zigarettenrauch durchsetzte Atemzüge, doch Pichler und Marshall haben diesen verrauchten Lungen der Stadt wieder etwas Leben eingehaucht und lassen die „die dann doch lieber draußen bleiben“ an dieser Parallelwelt teilhaben.

Käuflich erwerben kann man diese bildstarke Hommage hier.

Fotos © Klaus Pichler