KULTUR

Zum Todestag von Helmut Qualtinger: Allinger! Nicht Karl!

Sarah Wetzlmayr

Am 29. September 1986 starb der Exzellenzschauspieler Helmut Qualtinger. Und er ging, als seine Weltkarriere begann.

Text: Manfred Klimek

Weißes Hemd, dazu ein dunkelgrauer Maßanzug, den beleibte Menschen wie er verschrieben bekamen – von der Stange gab es für ihn nichts. Der Anzug durfte durchaus schon seine Jahre auf der Straße und im Fauteuil gehabt haben; über den Beinen und Füßen dann schwarze oder graue Kniestrümpfe und ein paar Maßschuhe von Materna oder Scheer. Keine Frage: Helmut Qualtinger hatte das Auftreten eines Herrn. 

Den meisten Österreichern ist Qualtinger als Komödiant bekannt. Der heute vor dreißig Jahren verstorbene Exzellenzschauspieler war aber nie ein solcher alleine – nicht einmal in Teilzeit. Er war auch im Singulären kein Kabarettist, wie viele erinnern, sondern schlicht nur Schauspieler, der sich den Umständen anzupassen wusste. Und diese Umstände hießen Wien.

Wien, so sagte Qualtinger einmal in einem Interview, sei von Deutschland aus sehr schön. Doch trotz eines damals gewaltigen Engagements ging er von Hamburg wieder nach Wien zurück. Das tat ein paar Jahre später – ihm gleich, und aus der gleichen Stadt in die gleiche Stadt zurückkehrend – auch ein anderer Wiener Exzellenzschauspieler: Paulus Manker. Die Regung mag eine ähnliche gewesen sein: Wien ist eben die Stadt der Schauspieler. Hier liebt und hasst man sie, hier streut man ihnen Rosen und schreibt ihre größten Rollen in Grund und Boden. Verehrung und Verachtung in einem Boot, das ein Vergnügungsdampfer ist – mit Catering vom Schwarzen Kameel

Helmut Qualtinger, der ist für Wiener meiner Generation zuerst mal der Travnicek, der mürrische Gegenpart zum stets optimistischen Fragesteller Gerhard Bronner („Was, Travnicek, sagen sie zu…?“) des gleichnamigen Kabarettkleinods aus den Wirtschaftswunderjahren. Zum Brüllen gut und himmelweit dem heutigen Kabarett voraus. Waren eben andere Zeiten. Sind sie es noch?

Helmut Qualtinger, der war für meine Generation dann auch jener, der die Wiener Journaille – damals wie heute von einer großen Anzahl Idioten gebrandmarkt – mit dem Auftritt eines erfundenen Eskimodichters vorführte; so mächtig und vernichtend vorführte, dass ihm das manche dieser Schreiber nie vergessen und vergeben konnten. Qualtinger wusste den wunden Punkt der Wiener Gesellschaft – jene stets der Gosse näher als den Sternen – zu drücken. Und trotzdem galt er als beliebt. Er war es tatsächlich, war es vor allem deswegen, weil er immer den Kontakt zum Volk hielt, zu den einfachen Leuten, die heute von den Intellektuellen verächtlich als Idioten bezeichnet werden. Qualtinger wohnte lange Jahre im Gemeindebau und sprach mit den Verkäuferinnen am Naschmarkt genauso freundlich, wie mit den Direktoren der Fernsehanstalten, die einen Narren an ihm gefressen hatten. Und Qualtinger ließ die Leute ausreden und hörte zu. Freilich war das alles auch stets das Lernen neuer Rollen. Auch solcher, die noch nicht geschrieben waren. Und nie geschrieben wurden.

Seltsam war sein Verhältnis zum Film. Er hasste das große Set, das Herumstehen und auf den nächsten Einsatz warten. Und dass da mehr Leute als nur der Regisseur entschieden, wie das Werk am Ende zum Publikum kam. Das Unmittelbare, das eine Kraftperson wie Qualtinger aus der Kanone seiner Seele schoss, diese Granate Authentizität – so fürchtete Qualtinger – komme beim Film abhanden. Er wollte vor Publikum stehen. Oder in kleinem Team für das Fernsehen arbeiten. 

Das hatte ihn früh entdeckt. Schon Ende der Fünfzigerjahre spielte er in ernsten Produktionen, dann – Anfang der Sechzigerjahre – einen mürrischen Wiener Kriminalkommissar – der Vater des Adolf Kottan. Und dann kam die brutal ernste aller ernsten Rollen: der Herr Karl, die Geschichte des gleichnamigen Lagerarbeiters eines Wiener Gemischtwaren- und Feinkosthändlers – aufgezeichnet in einem Keller, der Untergrund, vom Dritten Mann weg bis Fritzl ein Schicksalsort Österreichs.

Der Herr Karl war nicht Qualtingers beste Filmrolle, doch – gemeinsam mit seinem Auftritt in Das falsche Gewicht von Bernhard Wicki – seine eindrucksvollste. Wieder schlug das Wiener Schicksal zu: die Rolle wurde mehr dem sarkastisch Satirischen zugeschlagen, als sie als das zu nehmen, was sie war und ist: ein Stück Reportage, die Wahrheit, die damals auch Wirklichkeit war – verschlagene Menschen mit biegsamen Weltbild, Opportunisten, untergetaucht im diffusen Untergrund. 

Qualtingers beste Rolle war der Spiritusfabrikant Allinger in Dieter Berners Fernseh-Sechsteiler Alpensaga (1976-1978, geschrieben von Wilhelm Pevny und Peter Turrini). Vor allem in der Episode Der Kaiser am Land kommt die ganze Gewalt seines Zynismus zur Geltung, die Menschenverachtung, die er nur spielen konnte und sie so spielend loswurde – als etwas, das ihm stets wie Sodbrennen aufstieß.

Qualtingers bekannteste Filmrolle (der Herr Karl ist dem Fernsehspiel zuzuordnen) war jene des Mönches Remigio da Varagine in der Umberto-Eco-Romanverfilmung Der Name der Rose von Jean-Jacques Annaud aus dem Jahre 1986 mit Sean Connery und dem jungen Christian Slater in den Hauptrollen. Qualtinger spielte den wirren, „sehenden“, Gottesfürchtigen mit solchem Bravour, dass Sean Connery in Interviews mit ehrlicher Ehrfurcht von dem großen Wiener Schauspieler sprach, der ihm bis dahin völlig unbekannt war. 

Und es war auch Connery (und Annaud), der die US-Studio-Casterin Bonnie Timmermann auf Qualtinger aufmerksam machte. Während der in Wien weltbekannte Gigant von den Dreharbeiten in den Abruzzen zurückkehrte und wieder im Gutruf saß, da stand er schon auf einer ersten Castingliste von Martin Scorseses Good Fellas – ein Film, der erst Jahre später gedreht wurde. Auch anderen Regisseuren wurden Bänder mit Qualtinger gezeigt, der, so wie Brandauer und Waltz, gut Englisch sprach.

Helmut Qualtinger starb am 29. September 1986 knapp vor seinem 58ten Geburtstag in Wien. Er war schon während der Dreharbeiten schwer erkrankt (später gab seine Frau den Dreharbeiten die Schuld an seinem Tod) und hatte Zeit seines Lebens dem Alkohol im Übermaß zugesprochen – dem Bier hatte ein Schnaps zu folgen, wenn nicht zwei. Er sah seinem Alter entsprechend zu alt aus und bewegte sich nur langsam – man ahnte Schmerzen. Helmut Qualtinger starb – und das ist das Tragische an diesem niemals komischen Menschen – als ihm eine Weltkarriere beim Film bevorstand. Dass es nicht so kam, das ist der Zinseszins Wiens.

Fotos: Erich Reismann