Essen
Wiener Test: Falscher Hase
Sie sehen aus wie normale Fertiggerichte, schmecken aber total anders. Der WIENER hat sich durch das vegane und vegetarische Alternativprogramm aus dem Supermarktregal gekostet.
TEXT: GÜNTHER KRALICEK / FOTOS: MAXIMILIAN LOTTMANN
Ersatzlösungen genießen einen zweifelhaften Ruf. Sofort denkt man dabei ans fünfte Rad am Wagen. An den sprichwörtlichen Plan B. An Fußballer zweiter Wahl, die auf der Reservebank Platz nehmen müssen (Edel-Joker einmal ausgenommen). Oder an Haar- und Zahnersatz, Fake-Titten. Wer will das schon? Jetzt kommt auch noch die Lebensmittelindustrie daher und tischt uns jede Menge Fleisch- und sonstige Ersatzteile auf. Weil Veganismus, Laktoseintoleranz und Glutenfreiheit immer wichtigere Werte unserer feist-verfetteten Gesellschaft werden.
Das vielfältige Veggie-Angebot, das in den Supermärkten mehr und mehr Regale füllt, richtet sich aber gar nicht so sehr an echte Vegetarier oder Veganer. Eigentliche Zielgruppe sind Flexitarier. Das sind die, die weder Fisch noch Fleisch sind und auch nicht ganz darauf verzichten wollen. Der Hardcore-Veganer braucht kein Tofu-Schnitzel, das sich traditionellen Geschmacksvorstellungen anbiedert.
Die hehren Beweggründe vieler Fleischverweigerer verdienen Respekt. Nur die sektenähnlichen Erklärungsversuche von der einzigen Wahrheit veganer Ernährung können ganz schön nerven. Der Mensch ist ein Omnivore, ein Allesfresser, seit mindestens zwei Millionen Jahren. Global gesehen steht er heute an der Spitze der Nahrungskette (auch wenn er im direkten Duell mit Löwe und Krokodil vielleicht nicht ganz so gut abschneidet). Vor ein paar hunderttausend Jahren waren unsere Vorfahren in der Steppe noch richtig leichte Beute, und manch Säbelzahntiger mochte sich angesichts der seltsamen, aufrecht gehenden Spezies gedacht haben: du Opfer. Die Geschichte ist bekannt. Irgendwann haben wir den Spieß umgedreht, so brutal das ist. Und wenn man mich fragt – ich fühl mich eigentlich ganz wohl da am oberen Ende der Nahrungskette.
Der Test
Das Ersatzprogramm für Menschen auf Fleischentzug ist mittlerweile ebenso reichhaltig wie bizarr. Kaum ein Gericht der heimischen Küche, das nicht auch in einer veganen oder vegetarischen Variante erhältlich wäre. Wir wollten wissen: Wie schmeckt das Zeug eigentlich? Sind all die veganen Schnitzel und fleischlosen Fleischlaberl überhaupt essbar?
Die Antwort lautet: Nein. Zwar gelingt die optische Annäherung ans Original in den meisten Fällen recht gut. Auch bei der Konsistenz erzielt man einigermaßen brauchbare Ergebnisse. Ausgerechnet beim Geschmack aber scheitert die Lebensmittelindustrie bis heute grandios. Die Sache ist eine einzige Lachnummer. Doch lesen Sie selbst. Der WIENER-Test erfolgt anonym und ohne jegliche Einbeziehung der vorgestellten Betriebe.
Just veg! Gurkerl-Extra
Preis: 1,59 Euro für die 125-g-Packung bei Hofer (12,72 Euro pro kg)
Just veg! heißt die Hofer-Eigenmarke für den grünen Verdauungsapparat. Vegetarische Wurst haben die auch
im Angebot, genauer „vegetarischen Aufschnitt auf Basis von Milch- und Pflanzen-Eiweiß, mit Essiggurken“. So eine Art Pikantwurst also – mit Gurkerl statt Paprika. Und natürlich ohne Fleisch. Mal schmecken.
Vorgeschmack: Der Geruch, der mir nach Aufreißen der Plastikverpackung entgegenströmt, kann sich durchaus riechen lassen. Bisschen wie pikanter Wurstsalat. Wegen der mitverarbeiteten Gurkerln?
Verkostung: Gierig ein Röllchen Extra-Extra in den Mund geschoben … Hmm, gar nicht übel, und auch nicht so weit weg vom schweinchenrosa Original. Konsistenz beinahe extragleich. Sogar die Finger fühlen sich fettig an. Aber hier verwässert der schmierige Film rasch und löst sich bald ganz in Luft auf, so als ob ich dieses Wurstblatt nie berührt hätte. Ich schneid mir frisches Gebäck auf und mach mir eine richtige falsche Extrawurstsemmel. Reingebissen, und … wenn ich es nicht besser wüsste, wär ich auf den Trick vielleicht sogar reingefallen. Interessant wäre die Probe aufs Exempel: 100 dieser Extrawurstsemmeln auf einer Baustelle verteilen und schauen, ob der Fresspaketbote vermöbelt wird. Ich ess jedenfalls alles brav auf, muss am Ende sogar original aufstoßen. Mahlzeit!
Besondere Kennzeichen: V-Label „ovo-lacto-vegetarisch“ (Ei und Milch können hier enthalten sein), glutenfrei, „Eiweißquelle“.
Vegavita Cevapcici aus Soja
Preis: 2,99 Euro für die 200-g-Packung mit 5 Stück bei Merkur (14,95 Euro pro kg)
Bei der Vorausscheidung für unsere Test-Produktpalette stehe ich vor der Qual der Wahl: vegane Cevapcici oder vegetarischer Käs-Leberkäse? Aus dem Bauch heraus entscheide ich mich für die Cevapcici. Sehen richtig toll aus auf dem Verpackungsfoto. Hinter dem österreichischen Hersteller Vegavita steht übrigens der REWE-Bogen.
Vorgeschmack: „Veganes Fertiggericht aus Sojatexturat“. So steht’s auf der Verpackung, bei der ich Mühe hab, sie aufzukriegen – aber das kennt man ja von fleischhaltigen Produkten. Irgendwann hab ich die fünf recht gut aussehenden Cevapcici-Brüder dann doch befreit. Riechen würzig, nur halt gar nicht fleischig-cevapcicig. Bin ja mal gespannt. 4 Minuten muss ich mich noch gedulden, so lange sollen die Trümmerln bei mittlerer Hitze gebraten werden. Ich nehm Olivenöl, hab grad nichts anderes daheim. Sollte vegan gesehen aber eh in Ordnung gehen. Es brutzelt wie im echten Leben und, ganz interessant, die Dinger riechen gebraten genauso wie im Rohzustand.
Verkostung: Ein erwartungsvoller erster Biss. Der Zahn durchbricht die knusprige Außenhülle, stößt im Inneren auf deutlich labbrigere Materie. Geschmacklich hat die Sache rein gar nichts mit Cevapcici zu tun. Eher mit Gemüselaibchen und Karton. Zurück bleiben ein bisschen Enttäuschung und eine gut gewürzte Mundhöhle.
Besondere Kennzeichen: V-Label „vegan“, Grüner Punkt (Recycling), EU-Bio-Logo
veggie Vegetarisches Cordon Bleu
Preis: 3,99 Euro für die 220-g-Packung mit 2 Teilen bei Spar (18,14 Euro pro kg)
Spar gibt sich ja schon länger „veggie“ – und Gwyneth Paltrow ihren strahlend lächelnden Segen dazu. Soll sein. „Vegetarisches Cordon Bleu“ ist eines der Flaggschiffe der Produktlinie, man hat viel fleischloses Food-Design in die Panier geschmissen. Sofort werden alle meine Rezeptoren hellwach. Das kann sich nicht ausgehen – oder doch?
Vorgeschmack: Ich hab zwei kleine vorpanierte Stücke vor mir (von der Größe her wie gemacht für eine Schnitzelsemmel). Zum Herausbacken verwende ich diesmal Butter – laut Zubereitungstipp auf der Verpackung durchaus vertretbar. Bald verfärbt sich die Außenhülle der beiden Probanden goldbraun. Die Panier sieht eigentlich ganz knusprig aus.
Verkostung: Das Innere („das Schnitzel“) ist in Grautönen gehalten – farblich wie geschmacklich. Schon sind die ersten Fäden an der Gabel erkennbar. Der Käse! Und wo bleibt der Schinken? Da! Ein violetter Farbstreifen im Grau. Sieht aus wie eine Schicht Johannisbeermarmelade im Kuchenstück. Geschmacklose Masse, die in diesem Fasching als Schinken gehen möchte. Überhaupt hier im Kern des Cordons nur mehr undifferenzierter, aromatischer Brei. Am ehesten erinnert noch die in Butter geschwenkte Panier an richtiges Essen. Unterm Strich: Zwei Pseudoschnitzel im Miniaturformat, die nach Gemüselaibchen riechen – aber weniger gut schmecken.
Besondere Kennzeichen: V-Label „ovo-lacto-vegetarisch”, Grüner Punkt.
Veganz „Die Originale“ Bratwurst
Preis: 2,99 Euro für die 180-g-Packung mit 3 Würsten, bei Spar (16,61 Euro pro kg)
Die kleine vegane Supermarktkette Veganz hat auch eine Filiale in Österreich. In der Wiener Margaretenstr. 44, um genau zu sein. Neuerdings ndet man die Produkte des deutschen Herstellers aber auch beim Spar. „Die Originale“ Bratwurst (heißt wirklich so) besteht aus viel Sojaprotein und jeder Menge Kräuter.
Vorgeschmack: Optisch recht vielversprechend. Die Haut etwas verschrumpelt, aber das kommt ja in den besten Wurstfamilien vor. Der Geruch erinnert an saftiges, na ja, Vollkornbrot. Im heißen Olivenölbad nimmt die Haut langsam bronzene Färbung an, mit leichtem Grünstich. Wie die glänzende Oberfläche eines Fisches. Bemerkenswerte Knackigkeit bei der Stichprobe mit der Gabel.
Verkostung: Erwartungsvoll schiebe ich mir den ersten Bissen in den Mund. Hmm. Die Sinne sind verwirrt. Knusprige braune Hülle, weiches, helles Inneres – alles täuschend echt. Nur der Gaumen ist nicht überzeugt. Ich kaue hin und kaue her, aber kann beim besten Willen nicht sagen, wonach das hier schmeckt. Bratwurst ist es definitiv nicht. Ich versuche es mit Ketchup und Senf. Aber die können den Fake auch nicht übertünchen. Im Gegenteil. Gerade damit erkennt man, dass die Bisseigenschaften eben doch nicht wirklich bratwurstig ist. Würziger Nachgeschmack. Ja, das ist es! Überwürzte Lebensmittelmasse in einer Haut.
Besondere Kennzeichen: V-Label „vegan“, Grüner Punkt, glutenfrei, laktosefrei, proteinreich.
Vegavita Seitan Filet
Preis: 3,49 Euro für die 250-g-Packung mit 4 Filets, bei Merkur (13,96 Euro pro kg)
Im Internet kann man lesen, dass Seitan (auf Basis von Weizeneiweiß) das beste Fleischimitat überhaupt ist. Vegavita bietet geschnittene Filets im verschweißten Vakuumbeutel an. Da drin saftelt’s dunkelbraun, aber das Ärgste sind die kleinen Noppen an der Oberfläche, die wohl an Poren einer gerupften Hendlhaut erinnern sollen. Echt creepy.
Vorgeschmack: Roh riecht das hier nach Sojasauce wie beim Japaner und fasziniert durch seine glibbrige Konsistenz. 2 bis
5 Minuten soll man die Filetstücke auf beiden Seiten anbraten. Ich glaub, ich mag meins so gut durch wie möglich. Das Reinstechen mit der Gabel fühlt sich echt an, aber sobald ich mit dem Gabelrücken gegen die Oberfläche drücke, spüre ich den Widerstand von hart gewordenem Industriekunststoff. Wäre der Film „Goldrausch“ nicht bereits 1925 abgedreht worden, Charlie Chaplin hätte hier Inspiration für seine legendäre „Mann isst Schuh“-Szene gefunden.
Verkostung: Der Lappen auf meinem Teller sieht tatsächlich aus wie ein Stück Sohle vom Sneaker, da ist kaum ein Durchdringen mit dem Messer. Selten etwas Grauslicheres gegessen. Ich werfe ein zweites Stück in die Pfanne, diesmal nur kurz angebraten, und siehe da: Die Kruste ist jetzt viel weicher, geradezu flaumig. Ich koste. Ich kaue. Ich starre fassungslos ins Leere. Wer stellt so etwas her? Wer kauft so etwas?
Besondere Kennzeichen: V-Label „vegan“, Grüner Punkt, EU-Bio-Logo.
Alpro Soya Dessert Feine Vanille
Preis: 2,59 Euro für die 500-g-Packung mit 4 Bechern, bei Merkur (12,72 Euro pro kg)
Zum Abschluss noch ein Dessert. Es gibt ja nicht nur Fleischverweigerer, sondern auch Leute, die ein Problem mit Kuhmilch haben. Im Regal finden sich längst genügend Alternativen: Mandelmilch, Kokosmilch, Sojamilch. Alpro aus Belgien ist europäischer Marktführer von Lebensmitteln auf Sojabasis und hat eine Art Vanillepudding im Sortiment, der offiziell „Soya Dessert“ heißt.
Vorgeschmack: Ich muss vorausschicken, dass ich mit Sojamilch noch eine Rechnung offen hab. Vor Jahren landete einmal ein Schuss davon unbeabsichtigt in meiner heiligen Kaffeetasse. Kurz daran genippt, war an ein Weitertrinken nicht zu denken. Und heute? Der gelbe Becher könnte von Nestlé stammen. Schutzfolie aufgerissen und nichts wie rein mit dem Löffel. Der bleibt da drin nicht stecken, inhaltlich ist das hier schleimiger als herkömmlicher Pudding. Konsistenz wie Filmsperma. Farblich würde das auch etwa hinkommen.
Verkostung: Die Sache riecht stark nach Vanille. Schmeckt auch so. Die Schote überdeckt alles, Systemgastronomen wissen es zu schätzen. Geschmacks- erlebnis jedenfalls ganz okay, etwas gar wässrig vielleicht, irgendwie „light“. Immerhin. Die kleine Nachspeise hilft, den wild wuchernden Kräutergarten von Bratwurst und Cevapcici aus meiner Mundhöhle zu vertreiben.
Besondere Kennzeichen: V-Label „vegan“, Grüner Punkt, „kontrolliert ohne Gentechnik“. Gluten-, weizen-, kuhmilcheiweißfrei.