AKUT
Verrat an Dandy
Der einzige Spross des altböhmischen Adelshauses Behaunski hatte die Schnauze voll von Geld und seidenen Betttüchern. Kurzerhand zog er in sein Auto: ein stilecht kostbares Mercedes-AMG S63 Cabriolet. Ich war bei der Party dabei.
Zuletzt gesehen wurde der junge Lebemann, als er seine Siebensachen in eine Tasche packte und in sein Mercedes-AMG S63 Cabrio stieg. Das Landgut hatte er ebenso verkauft wie das Loft in der City und die Firmenanteile. Die Erlöse waren in die Carl Benz Stiftung zur Bewahrung des Ansehens des Verbrennungsmotors geflossen.
Seither: Funkstille um den Blaublütler, der urururgroßväterlicherseits angeblich den Lenden eines Kämmerermeisters von Wenzel XII. zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges entsprungen ist. Oder war’s der Pommern’sche Bauernaufstand? Waren es die Mecklenburger Unruhen? Sein Erbe vermehrte Dandy in der Zeit des Aufschwungs mit Autos. Mit schnellen Autos genau genommen: Ferraris, Bentleys, McLarens. Sein guter Riecher für teures Blech wurde in den Wirtschaftsmagazinen abgefeiert. Und jetzt ist er plötzlich weg, Totalausstieg.
Während die Familie im Dunkeln tappte, Privatdetektive anheuerte und der Polizei auf die Nerven ging, feierten wir, seine Clique, mit Dandy seine neu gewonnene Freiheit. Behaunski hatte uns um sich geschart, mich und noch ein paar von seinen Bewunderern. Wir waren nicht überrascht, als er in seinem AMG am Treffpunkt auftauchte, den er, wie wir wussten, nur noch in seltenen Notsituationen verließ.
Der AMG. Eine Mercedes-Benz S-Klasse als Cabrio und Supersportler mit Achtzylinder-Biturbo und knapp 600 PS. Da rollte er auch schon heran. Noch immer wunderte ich mich, wie überraschend kompakt, geduckt, kraftvoll der Wagen wirkte. Weder die fünf Meter Länge noch die über zwei Meter Breite hätte man dem (mit viel Goodwill) viersitzigen Cabrio angesehen. Bullige 900 Newtonmeter Drehmoment, jede Pferdestärke hat gerade mal 3,61 Kilo vorwärtszuwuchten. In unter vier Sekunden lässt sich der Zweikommaeinstonner auf hundert Stundenkilometer beschleunigen.
Behaunski trug einen abgewetzten rosafarbenen Bademantel und Schlapfen aus irgendeinem Royal Kempinski. Er gedenke, direkt hier am Ort der Party zu nächtigen – einer der Vorzüge seiner neuen Behausung, grinste er und schenkte erst einmal Champagner ein. Schnell wechselten wir zum Blue-Label-Whisky über, und da ich Whisky schlecht vertrage, spürte ich jeden Shot tatsächlich wie den Einschlag einer Kugel. Kein Wunder, dass mir der Abend nur noch in Fetzen in Erinnerung ist. Behaunski, sich über die ständigen Nörgeleien seiner Familie und die Umklammerung durch seine Verlobte Esther lustig machend. Auf dem Motor Spiegeleier bratend. „Zieht doch auch in eure Autos“, schlug er vor und referierte gleich die Vorzüge des S63: Intelligente Klimaregelung, eigens für Cabriolets entwickelt, schwafelte er; dozierte über den Airscarf, „den warmen Schal aus Luft“.
Es war zu perfekt, als dass es lang hätte andauern können. Schon anderntags nahm die Katastrophe ihren Lauf – in Wohlform der schönen Esther, besagter Verlobter. An deren Umklammerung a priori nichts Störendes zu vermuten war. Ein Prachtweib von einem Gold-Digger, wie Behaunski sie nannte, ich sah nur das Prachtweib. Dem ich in meinem Zustand – versoffen, unausgeschlafen, völlig unpräsentabel – nichts entgegenzusetzen hatte. Ich traf sie, als ich gerade nach Hause wankte – wer weiß, vielleicht hatte ich an den Vorderreifen des AMG geschmiegt geschlafen, ich hatte jedenfalls Reifengummiabrieb im Gesicht.
Sie wirkte fahrig, schmiss sich mir in ihrer Verzweiflung förmlich an den Hals. Ich müsse ihr helfen, Dandys Fortgang habe sie in eine schreckliche Position gebracht. Die Familie gebe ihr die Schuld, wolle sie nun loswerden, aus der Familienvilla habe sie bereits ausziehen müssen.
Ich gab ein Bild des Jammers ab, als mich die Schöne durch die Innenstadt hinter sich herschleppte. Reden wollte sie, ob ich nichts wisse vom Verbleib des ihr Versprochenen. In einem Nobelkaffeehaus spendierte sie mir einen Sliwowitz, zur Reparatur, wie sie sagte. Sie wusste, dass ich mit Behaunski gefeiert hatte, roch förmlich mein schlechtes Gewissen. Nach drei Schnäpsen war ich ausreichend repariert und sang wie eine Nachtigall. Rückte ohne Widerstand zu leisten Dandys neue Handynummer heraus, mithilfe derer es den Spürhunden der Behaunskis ein Leichtes sein würde, den abtrünnigen Sprössling in den Schoß der adeligen Sippe zurückzuholen.
Warum die grausam-schöne Esther mir dann auch noch nach Hause folgte und mir dort eindrücklich und nach allen Regeln der Kunst demonstrierte, was Behaunski so achtlos weggeworfen hatte? Ich hege die Vermutung, dass sie es tat, um meine Vertrauensbasis zu Dandy für immer zu zerstören. Ich war fertig, als sie sich gegen Abend aus meiner Wohnung verabschiedete. Und auch meinem Freund Dandy, den ich verraten hatte, konnte kein von Hand montierter 5,4-Liter-Achtzylinder jetzt noch helfen. Die Spürhunde hatten seine Fährte schon aufgenommen. Seine Flucht war vorbei.