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Grand Slam Melbourne: Vorteil Dezibel-Queen

In Melbourne wieder aktuell: Wenn Tennisspielerinnen stöhnen – bringt ihnen das Vorteile, den Gegnerinnen Nachteile? Die Wissenschaft hat sich der Frage angenommen.

Text: Manfred Sax

Im Weltraum hört bekanntlich niemand deine Schreie. In der Tennis-Arena ist das Gegenteil der Fall. Wenn eine Marija Scharapowa zum Smash ansetzt, erreicht ihr Mundwerk bis zu 101 Dezibel. Unüberhörbar auch die „vocals“ von Wiktoryja Asaranka („Huuuh!“) und Serena Williams, legendär das langgezogene Stöhnen der nicht mehr aktiven nunmehrigen Amerikanerin Monica Seles („RaHiiii!“). Natürlich ist es so, dass auch die männlichen Kollegen mitunter heftig röhren, allerdings reagiert das Publikum bei Nadal, Djokovic & Co wesentlich gelassener, als es der Fall ist, wenn etwa die gegenwärtige Stimmrekordinhaberin Michelle Larcher de Brito (109 Dezibel) ihre innere Löwin rauslässt. Dann kann auch das Publikum zu murren beginnen. Wie jetzt wieder beim Australian Open in Melbourne, als jeder Grunzlaut der 19-jährigen Aryna Sabalenka per Publikumsecho verhöhnt wurde.

Typischer Granting-Gesichtsausdruck der Marija Scharapowa Foto: (c) Misty / CC BY-SA 3.0

Jedes Grand Slam-Turnier wieder wird das ”Grunting“ (=grunzen, stöhnen) der weiblichen Stars zum Thema, diesmal schon in der ersten Woche. Boris Becker meinte mal, dass dieses Stöhnen „zu sexuell“ sei und daher „ungesund“ (wie bitte?) – und deshalb zu verbieten. Martina Navratilova will es auch abschaffen, wenn auch aus sportlichen Motiven. Grunting ist Betrug, meint sie, die Schreihälse verschaffen sich unfaire Vorteile. Aber stimmt das auch? Hat Grunting eine negative Wirkung auf die Gegnerin – und eine leistungssteigernde auf die Stimmgewaltige? Tatsächlich hat die Wissenschaft beiden Fragen bereits Studien gewidmet.

Schränkt Grunting die Leistung der Gegnerin ein?
In einer Studie des Titels „Tennis-Grunting: Hat `White Noise´ während eines Tennis-Schusses eine negative Auswirkung auf die Schuss-Wahrnehmung?“ (1) baten Wissenschaftler der Duke Universität, USA, 33 Studenten (Hobby-Spieler) zu einem Experiment. Vor einem Computerschirm wurden sie mit insgesamt 384 Videoclips mit Schüssen eines Tennisprofis konfrontiert (sowohl mit als auch ohne Grunting) und ersucht, so akkurat wie möglich zu reagieren. Die Resultate zeigten, dass Grunting die Schnelligkeit und Genauigkeit der Reaktion beeinträchtigte. Auf einen Tennisplatz übertragen, sollte das laut der Wissenschaftler bedeuten, dass durch diese 30-Millisekunden-Verspätung die Ballannahme erst bis zu 60 Zentimeter weiter hinten erfolgt. Der Gegner muss mit mehr Druck und weniger Vorbereitungszeit rechnen. Fazit: Nachteil Rückschläger.

Steigert Grunting die Leistung beim Treffen des Balles?
Es gibt Evidenz, dass dies der Fall ist. Gute Tennisspieler, heißt es in einer Studie, an der 32 College-Tennisspieler teilnahmen, erhöhen die Ballgeschwindigkeit um 3,8%, wenn sie beim Treffen des Balles grunzen, beim Aufschlag sogar um 4,9%. Außerdem werde durch das Röhren/Stöhnen/Grunzen die Muskelaktivität angeregt. Vorteil: Dezibel-Könige und -Königinnen.

Es macht also Sinn, beim Tennis die Stimmbänder zu strapazieren. Nicht aber geklärt ist, ob Grunting nun fair ist oder nicht bzw ab wieviel Dezibel von Unfairness gesprochen werden kann. Und die stets schwelende Frage – warum regt sich das Publikum immer nur bei stöhnenden Frauen, nicht aber bei röhrenden Männern auf – ist einer jener Aspekte, die das Narrativ zwischen Frau und Mann weiterhin beleben werden.

Foto – Header: Misty, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Quelle: Guardian