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Was ist ein vorzeitiger Orgasmus?
Oft nennt sie das einen Kurzfilm, was ihm wie eine Ewigkeit erscheint. Bleibt die Frage: Wann ist ein Erguss vorzeitig?
Text: Manfred Sax
Zunächst ein paar Zeilen Trost: Es kann jedem passieren. Nicht nur dem Menschenmann. Wie Forscher der Uni St. Louis mal (im African Journal of Herpetology) berichteten, geht es der Südafrikanischen Hausschlange mitunter nicht anders.
Die Männchen dieser Spezies, schlossen die Wissenschaftler nach Studium von 52 arrangierten Begegnungen, ejakulieren gelegentlich bereits vor der Kopulation und verlieren so die Lust am Weibchen. Das Missgeschick widerfuhr drei Männchen bei insgesamt 8 Begegnungen. Das Vorspiel aus Züngeln und gegenseitigem Umschlingen hatte sich als zu heiß erwiesen. Verständlich eigentlich; Schlangen bestehen bei so einem Vorspiel praktisch total aus Reibungsfläche.
Auch ist „der Vorzeitige“ nicht ein exklusiv männliches Phänomen. Anlässlich einer – in einem portugiesischen Spital getätigten – Umfrage unter Frauen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren gaben phänomenale 40% der Befragten an, sie kämen schneller als gewünscht. Mit Konsequenzen, die dann der Mann ausbadet: „Ich finde es dann unangenehm, weiter Sex zu haben.“ (Zitat aus dem Fragebogen)
Aber im Allgemeinen ist es meistens so, dass die Floskel „Es kann jedem passieren“ einem herben Frauenmund entfährt und zwar dann, wenn er schneller kommt als ihr recht sein kann.
Die Frage ist: Was ist nun tatsächlich ein vorzeitiger Orgasmus?
Beginnen wir mit dem männlichen Durchschnitt. Im Schnitt, errechnete der amerikanische Psychotherapeut Reuben Fine in seinem Referenzwerk Troubled Men, hat der Mann sechzig Stöße. Er kann sechzig Mal dem guten alten Rein-raus-Ritual huldigen, bis er den „Punkt ohne Wiederkehr“ erreicht – mit dem das höhere Design der Logik des Lebens die Regie übernimmt. Das Drehbuch dazu sieht dann die Befruchtung der Frau zum Zwecke des Genpool-Transfers vor.
Zeitlich gesehen sind sechzig Stöße eine höchst dehnbare Sache. Das Kaninchen erledigt so ein Kunststück im Bruchteil einer Minute, die Galapagos-Schildkröte braucht dafür ein halbes Leben.
Der männliche Homo Sapiens steht hier eher im Lager des Kaninchens. Ein Umstand, den so manche Frau per launigem „Bums-mich-damit-ich-weiß-wann-ich-mein-Dreiminutenei-aus-dem-Wasser-nehmen-muss“-Kommentar zum Nutzwert umfunktioniert. Obwohl von drei Minuten kaum die Rede sein kann.
Seit Kinsey ist bekannt, dass 75% der Männer bereits binnen zwei Minuten einen Orgasmus auf die Matte zaubern. Nicht dass ihn diese Tatsache mit berechtigtem Leistungsstolz erfüllt. Weit häufiger fürchtet er stattdessen, an vorzeitigem Erguss zu leiden.
Nächste Frage daher: Gibt es eine „richtige“ Penetrationszeit?
Mit dem Uraltbegriff „Penetrationszeit“ sind hier jene kostbaren Sekunden der Begattung gemeint, die mit ihrer Penetration beginnen und mit seinem Orgasmus enden. Hier, erstens, gleich mal der wichtigste Einwand: Penetration ist ein dummes Wort, es suggeriert Gewalttätigkeit – ein Eindringen, ein Zerreißen, ein Pfählen, eine einseitige Angelegenheit. Das ist guter Sex nicht, der beruht auf Gemeinsamkeit. Der Sache näher käme „Verbindungszeit“.
Und natürlich hat obige Frage nur zum Teil einen Sinn. In der Regel findet der Mann die Penetrationszeit/Verbindungszeit immer „genau richtig“. Das Bumsen nach erfolgter Ejakulation gehört nicht wirklich zu seinen Leidenschaften.
Nur sehen Frauen das meistens relativ anders. Was dem Mann praktisch immer als kleine Ewigkeit erscheint, die wie im Flug vergeht, kommt ihr nicht selten wie ein Kurzfilm vor, der trotzdem seine langwierigen Momente hat. Und das ist das Problem. Ursprünglich also ihr Problem. Aber selbstverständlich lässt sie ihn daran im Lauf einer Partnerschaft teilhaben.
Der Partner im Mann entschließt sich denn auch gern, seinen Erguss als „vorzeitig“ einzustufen, wenn er glaubt, den „Punkt ohne Wiederkehr“ hinauszögern zu können. Halbwegs realistische Richtwerte ob der üblichen Orgasmusfrequenz können ihm den Entschluss zweckdienlich erleichtern.
Hier ein paar interessante einschlägige Zahlen, von klassisch bis aktuell: Laut Kinsey kommen Teenager und Twens im Schnitt dreimal pro Woche. 30jährige kommen auf 121 Höhepunkte, während sich 40jährige Männer bereits mit 84 Orgasmen jährlich begnügen.
Ich persönlich nehme diese Zahlen mit einer satten Prise Skepsis zur Kenntnis (möglich, dass hier die Wichs-Orgasmen diskret verschwiegen wurden, aber okay, anno Kinsey gab es auch kein Pornhub). Jedenfalls: Wer als blühender 20jähriger tatsächlich nicht öfter als 150x jährlich kommt, sollte sich nicht wundern, wenn seine koitale Performance nach zwei Minuten (oder weniger) Geschichte ist. Eine simple Steigerung seiner Orgasmusfrequenz auf – sagen wir – das Doppelte bis Dreifache sollte dann auch jederzeit reichen, um dem Erguss das Stigma der Vorzeitigkeit zu rauben.
Aber abgesehen vom Bammel vor diesem Stigma gibt es einen wesentlich triftigeren Grund, die männliche Orgasmusfrequenz zu erhöhen, nämlich auf 21 pro Monat bzw 252 pro Jahr: Es ist die optimale und noch dazu natürliche Prostatakrebsverhütungsmethode. Wie Forscher der Uni Harvard nach einer Studie an 32000 Männern erkannten, verhindert diese Orgasmusfrequenz das Krebsrisiko um 33%. Und quasi als Bonus käme dann noch die eine oder andere gewonnene Minute beim nächsten Geschlechtsverkehr dazu.
Na?
Allfällige weitere Verzögerungen besorgt die klassische „Presstechnik“, bei der drei Finger dem Penis sozusagen den Atem rauben. Ja, das ist ziemlich genau so dumm, wie es sich liest.
Gut möglich trotzdem, dass die so gefundenen Minuten noch immer nicht reichen, um der Partnerin nach ihrer Ankunft am Ziel der koitalen Reise zu applaudieren. Aber jedenfalls muss sich der Mann dann nicht mehr einbilden, er käme zu schnell. Wahrscheinlicher, dass sie zu langsam kommt.
Video: Madame Mukee über Penis Power.