Essen

Zu Besuch bei Österreichs Salamimeister

Auch Würste können ersticken. Todes­ursache: „zu wenig Schimmel“. Diese Erkenntnis brachte dem WIENER der Besuch bei Stastnik, Österreichs Salamimeister, ein.

Text: Roland Graf / Fotos: Maximilian Lottmann

Was käme wohl am Ende auf die Pizza, würde man sie mit „Rohwurst mit oder ohne Reife­belag“ bestellen? Dann sagen wir anstelle der Definition aus dem Lebensmittel-Codex schon lieber „Salami“. Allerdings ist auch das falsch. Denn in der italienischen Heimat der Wurst wäre „salame“ richtig, „salami“ ist die Mehrzahl – und wer isst schon zwei Stangen davon? So oder so wird aber klar, dass die pikanten Scheiben mit dem doppelten Plural „Salamis“ speziell sind. „Das Besondere ist, dass man dafür nur Rohfleisch verarbeitet“, unterstreicht Fleischer Franz Radatz die Anwartschaft der Salami auf den Titel „König der Würste“. Es kann also viel schiefgehen am Weg vom Schweinefleisch-Nackenspeck-Gemisch zum fertigen Brotbelag.

Kennerblick: Salami-Kost mit Franz Radatz (r.) .Foto: (c) Maximilian Lottmann

Vor allem aber stellt das Reifen durch Lufttrocknen eine archaische Haltbarmachung dar, die uns aus der Zeit der Gefriertruhen ins Alte Rom zurückwirft. Spätestens mit Cato dem Älteren (2. Jahrhundert v. Chr.) findet sich nämlich eine westliche Beschreibung des Einsalzens und Trocknens von Schweinefleisch. Tatsächlich war lange die Methode wichtig und namensgebend: Das mittelalter­liche „salamen“ kommt aus dem älteren lateinischen Wort „salsamentum“, das für Fischsaucen bzw. Salzlake stand. Bis ins 14. Jahrhundert wurden in Italien getrockneter Stockfisch und Schinken von den gleichen Händlern verkauft. Die Einsalz-Universalisten wichen aber bald dem „Salumificio“, dem Salzwurst-Macher. 1436 erwähnt der Söldner Niccolò Piccinino Schweine, die explizit „per sallamine“ geschlachtet wurden. Endgültig zu höheren Weihen gelangt die Wurst dann 1581 mit dem Eintrag in Vincenzo Cervios Beschreibung der Palast-Küche „Il Trinciante“.

Wurst-Himmel voller Salami: Reifung bei Stastnik. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Für Österreich allerdings kommt die entscheidende Salami­tradition nicht aus dem Süden, sondern dem Osten. Hier war es Márk Pick, der in Szeged/Ungarn 1869 mit der Produktion von Wurst begann. Als fahrender Händler soll er in Italien auf den Geschmack gekommen sein, auch die ersten Mitarbeiter an der ­Theiss kamen aus dem Heimatland der Salami. Produziert wurde nur in der kalten Jahreszeit, wenn die hygienischen Bedingungen und die Wachstumsrate des Schimmels auf den Wurststangen hoch war. Die Ironie der Geschichte: Pick selbst dürfte als prakti­zierender Jude (die Synagoge von Szeged wurde mit seinem Geld ­erbaut) die „Wintersalami“ nie verkostet haben. Die doppelte Enteignung von Pick und seinem ebenfalls jüdischen Mitbewerber Herz– erst durch die Nazis, später durch die Kommunisten – bringt die ungarische Salami dann nach Österreich. Johann Stastnik war bereits in dritter Generation Fleischer, als ihm der ungarische Salamimeister Franz Velebil 1948 den entscheidenden Tipp gab: „Steigt doch in die Salamiproduktion ein“. Die Produktion von Herz in Wien lag brach und hier – im 20. Bezirk – setzte Stastnik, der Dritte, das 1898 begonnene Handwerk seines Großvaters fort: Die Haussalami war geboren!

Von der Gerasdorfer Produktion in die Filialen: Salami im Edelschimmelmantel. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Sie ist bis heute die „Signature-Wurst“ der Weinviertler, auch wenn Stastnik seit 20 Jahren unter dem Firmendach des Wiener Familienunternehmens Radatz produziert. Das dreifache Jubiläum – 120 Jahre Stastnik, 70 Jahre Haussalami und 20 Jahre Stastnik bei Radatz – feierte man nicht mit Sekt, sondern mit Gin. Denn die neuesten Kreationen wurden mit „WienGin“ verfeinert. Stastnik steuert sein Dauerwurst-Know-how mit einer Cabanossi im Wacholder-Gewand bei. Kernkompetenz bleibt aber die „Salzwurst“ – rund 30 Tonnen Salami verlassen wöchentlich die Produktion in Gerasdorf. „Unser wichtigstes Werkzeug ist der ­Daumen“, schildert dazu Dragan Petrovic, der täglich zweimal durch die Kühlkammern geht, „um zu schauen und zu greifen“. Sechs bis zehn Wochen lang zieht er seine Kontrollrunden, bis die gewünschte Reife erreicht ist.

French Connection: neu kreierte „Camembert Salami“. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Eine traditionell produzierte Salami sollte weder zu sauer noch zu salzig, aber auch nicht schmierig oder zu hart ausfallen. „Zu schnelle Trocknung wollen wir daher nicht“, erklärt Firmenchef Franz Radatz anhand einer perfekten Stange Wurst die Gefahren für den Salamigeschmack. Die größte Angst besteht im Fleischer-Jargon darin, „dass die Wurst ­erstickt“. Mit einem anderen ­Insider-Wort schlägt dann nämlich der gefürchtete „Trockenrand“ zu. Dabei wird ein Teil der Hülle zu schnell trocken, die Feuchte im Inneren entweicht nicht, sondern begünstigt Bakterienbefall. Sense mit der Salami! Der Schimmel hingegen sorgt mit seinen feinen Häkchen dafür, dass Wasser gleichmäßig entweicht, die perfekt getrocknete Wurst hat dann am Ende rund 40 Prozent weniger Gewicht als zu Anfang der Produktion, rechnet Dr. Radatz vor. „Die gewünschte Flora ist ähnlich wie beim Joghurt“, denn auch den Geschmack unterstützt der Edelschimmel, der zusammen mit Milchsäurebakterien aufgebracht wird. Vom Schnell­reifen und dem anschließenden Tarnen mit Magnesiumanstrichen, wie es bei Billigsalamis aus dem Ausland gern gemacht wird, hält Radatz nichts. Ebenso gut könnte man ihm vorschlagen, die Stastnik-Stangen doch blau zu ­lackieren, schüttelt es den Wurstwarenerzeuger angesichts der ­Vorstellung von Schnellreifung. Dragan Petrovic assistiert dem Chef mit einem Satz, der keinen Widerspruch zulässt: „Die Salamis brauchen Geduld und frische Luft“.

Aufgeschnitten: klassisch als „Radl“ oder Kanten. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Den ähnlich wie bei Schimmelkäse ablaufenden Reifeprozess hat man bei Stastnik sogar zum Anlass für ein Jubiläumsprodukt genommen, das optisch kaum von einem ­Camembert zu unterscheiden ist. Diese runde und flache ­„Camembert Salami“ wurde mit einer essbaren Schimmelkruste, aber auch Käsestückchen versehen. Auch diese Rohwurst hält sich sowohl mit als auch ohne Kühlung frisch, nur zu warm mögen es die Würste nicht, erinnert Franz ­Radatz noch einmal an den be­rüchtigten Trockenrand. Nachsatz: „Eine gute Salami ist ja eigentlich nichts zum Lagern – dazu ist sie zu schnell aufgegessen“.

 

Greif zu! Salamiverkostung. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Salami around the world
Die Rohwurst und ihre Verwandten

Chorizo: Die spanische Paprikasalami gehört vor allem in der Rioja-Region zur Küche dazu; fallweise auch als Schärfegeber in der Paella zu finden.
Chouriço de Goa: Die Portugiesen brachten die Schweinewurst nach Indien, dort kamen der Chili-Anteil und die orientalische Würzung dazu. Die schärfste der Paprikasalamis!
Figatellu: Traditionelle Schweinelebersalami aus Korsika, in der Regel innerhalb eines Monats nach Herstellung zu essen.
Finocchiona: Toskanische Spezialität, der Fenchel (italienisch Finocchio) nicht nur den Namen, sondern auch das markante Aroma verleiht.
Greußener: Aus Thüringen stammende Version, die europaweit ­geschützt ist und eine markante Knoblauchnote aufweist.
Gyulai kolbász/Csabai kolbász: Rötliche ungarische Salami mit einem sehr hohen Paprika-Anteil und höherer Schärfe.
Jauntaler Salami: Kärntner Spezialität, über Buchenholz geräuchert und vor allem ohne Schimmelbelag gereift.
Saucisson sec: Der französische Salamiverwandte hat in der Regel ­einen schmäleren Durchmesser, dafür finden sich auch Wildfleisch und Füllungen wie Nüsse oder Käse in der Wurst.
Weinviertler Salami: Relativ junge Wurstkreation, bei der die Salami mit schwarzem Pfeffer und Grünem Veltliner verfeinert wird.

 

Government by Wurst
Wie die Salami in die Taktik kam

Die Methode, unpopuläre (oder große) Auf­gaben in winzigen Schritten anzugehen, ist dem Österreicher ja nicht fremd. Das Wort dafür, die Salamitaktik, haben allerdings unsere Nachbarn vor knapp 70 Jahren erfunden. Nach den ungarischen Wahlen von 1947 waren die Kommunisten mit rund 22% der Stimmen weit von einer Mehrheit entfernt. Taktieren und massive Interventionen der Sowjettruppen setzten den übrigen neun Parteien so lange zu, bis sie entweder mit der KP vereinigt oder aufgelöst wurden. Diese scheibchenweise ­Demontage der Opposition prangerte Zoltán Pfeiffer von der Kleinlandwirte-Partei an: „Szalámitaktika!“ Was als politischer Vorwurf gemeint war, wurde von KP-Führer Matyas Rakosi als Strategie im offiziellen Parteiblatt dargestellt. Spätestens als das „Time“-Magazin 1952 über die politischen „Salami Tactics“ berichtete, wurden sie auch Teil des globalen Wortschatzes.