AKUT
LIEBE IM PARK
Im November 2015 gab Gert Winkler dem Team des WIENER, jenem Magazin, das er 1979 mitbegründete und mit dem er Mediengeschichte schrieb, ein Interview anlässlich dessen 36. Geburtstag. Auf die Frage, an welche „Skandalausgaben“ er sich erinnere, fiel ihm sofort das LIEBE IM PARK „Heftl“ (WIENER Mai 1982) ein …
Sehen sie hier das Interview (Auszug) mit Gert Winkler über die LIEBE IM PARK Ausgabe (Text Michael Hopp/Fotos Gerhard Heller), im Anschluss die Originalstory vom Mai 1982 zum Nachlesen:
LIEBE IM PARK heißt das saisongerechte Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem WIENER-Fotografen Gerhard Heller und der WIENER-Wortabteilung, das sich gleich über acht Seiten ausbreitet. Auf ihrem Streifzug durch die Wiener Parks traf das Team auf Exhibitionisten, Vandalen und Lustmörder. Aber auch auf den Schöpfer von Lustgärten, Mario Terzic.
TODESANGST , 20 METER ÜBER DEM ASPHALT
Neues Gerät im Vergnügungspark
Mit der heurigen Saison wird der Vergnügungspark im Wiener Prater ein Stück internationaler.
Schlicht und einfach ,,Wiener Looping“ heißt die spektakulärste Neueröffnung der heurigen Wurstel-prater-Saison. Es steht gleich vorne beim Riesenrad und ist zweifellos das extremste Gerät, das je im Prater zu finden war.
Pro Fahrt können 28 Wiener (so viele finden in einem Bob Platz) erleben, was es heißt, auf einer Strecke von nur 10 Metern auf 90 Stundenkilometer beschleunigt zu werden. Deine Augen verziehen sich zu asiatischen Schlitzen, die Mundwinkel treibt es in Richtung Ohrläppchen – ganz wie bei den Horrorgesichtern in Ken Russells „Höllentrip“.
Um die physikalischen Phänomene, die auf den Körper des Fahrgastes während des Loopings einwirken, beschreiben zu können, muß die Formelsprache der Weltraumfahrt bemüht werden: Ganze 3 G (nicht zu verwechseln mit Gramm) pressen den Wagemutigen in seinen Sitz zurück. Dazu Herr Hubert Dostal, der Besitzer des ,,Wiener Looping„: ,,I bin zwar ka Physiker, aber ich hab mir sagen lassen: Ab 5,7 G fangen die Atembeschwerden an.“
Während traditionelle Hochschaubahnen nach dem Gesetz der Trägheit funktionieren (der Wagen wird einmal angeschleppt und muß später mit seinem Schwung auskommen), werden die Looping-Bobs raketenartig „abgeschossen“. Der hohe Fahrtarif (um die 30-Schilling Marke) bezieht sich daher nicht auf einen gewöhnlichen „Trip“, sondern auf einen zünftigen „Abschuß“.
Um im Prater die Nase vom zu haben, greift Dostal tief in die Tasche: Das ,,Wiener Looping“ kostet (inklusive der Installation, die sechs Wochen gedauert hat) 25 Millionen Schilling, die Dostal im Leasing-System bei einer bundesdeutschen Firma abstottert.
Viel weniger aufwendig, aber auch nicht ohne, ist eine andere, neue Looping Bahn mit dem trefflichen Namen: ,,This is America“. Sie bezieht ihren Reiz, im Gegensatz zum ,,Wiener Looping“, nicht aus der Geschwindigkeit. Wenn man sich an der Innenseite der vertikal stehenden, kreisförmigen Bahn bis an ihren Zenit hat ziehen lassen, bleibt das Wagerl plötzlich stehen – und zwar für eine kleine Ewigkeit von vier Sekunden. Während dieser Zeit hängt man -mit dem Kopf nach unten – in einer schaumgummi- gepolsterten Halterung, die sich in die Bauchmuskulatur preßt, um den freien Fall des zahlenden Fahrgastes zu vermeiden. Das Gesäß wird während dieses Höhepunkts (im wahrsten Sinn des Wortes) so gut wie nicht belastet.
Ein „This is America“-Fan: ,,Dieses Gerät ist das einzige im Prater, das einem das Gefühl vermittelt, absolut ausgeliefert zu sein. Bei den ,schnellen‘ Bahnen tröstet man sich mit der Gewißheit, daß eh gleich alles vorbei ist -je schneller die Bahn, umso kürzer die Angst. ,This is America‘ aber schockt durch den Stillstand, die absolute Einsamkeit 20 Meter über dem Asphalt.“
KRIMINALITÄT IM PARK:
Exhibitionisten warten auf ihren Auftritt, wir sehen Voyeure auf die Pirsch gehen…
Parksünden
In den Wiener Parks kann man Händchenhalten und spazierengehen. Man kann aber auch Enten massakrieren, Denkmäler schänden, Sex mit Gewalt und Chloroform erzwingen, mit Fernglas auf die Pirsch gehen oder sich von Polizeihunden jagen lassen. Der WIENER gibt einen Überblick über die eigenwilligsten Parksünden der letzten 15 Jahre.
Hose runter, 60mal !
Sein Revier reichte von Oberlaa bis Baden. Insgesamt 60mal hatte der 22jährige Koch Günther Stockreiter seine Hose vor erschrockenen Mädchen auf Kinderspielplätzen und in Parks fallengelassen.
Wien, 30. März 1977
PRATER:
Der Voyeur, ein Held
Für das spätere Opfer des Wüstlings hatte der Donnerstagabend sehr fröhlich begonnen. Den Abschluß der unterhaltsamen Nacht sollte eine Partie Bowling darstellen. Als sich in der Bowlinghalle jedoch abzeichnete, daß Helga B.s Freund die Schwester ihr vorzog, kam es zum Streit.
Ohne es zu ahnen, kam Parigger im psychologisch günstigen Augenblick. Noch durcheinander nach dem Streit, schüttete Helga B. dem Mann ahnungslos ihr Herz aus und erzählte ihm von den bitteren Enttäu-schungen der letzten Stunden.
,,Da is einfach über mi kommen“, gestand später der Tischlergeselle der Polizei. Er zog ein Messer aus der Tasche, lief dem Mädchen nach, packte es von hinten und zerrte es ins Gebüsch.
Doch der Prater-Nachtschwärmer (ein Voyeur) hatte die Szene beobachtet und schon das Fernglas scharf-gestellt, da fiel ihm auf, daß der Mann dem Mädchen ein Messer an den Hals setzte, das Schäferstünd-chen also kaum freiwillig sein konnte. Er eilte zum nächsten Telefon und holte die Polizei.
Wien, 5. August 1978
KURPARK BADEN
Jeder Mann verdächtig
Während die niederösterreichische Mordkommission sich am Dienstag Stück für Stück der Aufklärung des Frauenmordes im Kurpark Baden näherte, breitete sich unter der Bevölkerung der Kurstadt deutliche Angst, fast Panik aus. Immer wieder wurde die Polizei alarmiert, daß ein verdächtiger Mann im Wald gesehen worden sei, und jeder männliche Spaziergänger, der von einem Wanderweg abwich und durchs Gebüsch streifte, wirkte schon verdächtig.
Baden, 24. März 1982
Flamingos haben Angst vor den Schlagstöcken der Kinder,
Frauen liegen im Schein der Laternen…
KURPARK WIEN-OBERLAA
Pretty Flamingos
Am Abend des 2. August „vergnügen“ sich Günther W. und Sven Sch. damit, daß sie auf dem WIG-Gelände in Oberlaa mit einer Luftdruckpistole auf Enten und Schwäne schießen. Dann dringen die jugendlichen Vandalen durch eine beschädigte Plexiglasscheibe in das Flamingohaus ein und richten dort unter den rosafarbenen Ziervögeln ein richtiggehendes Gemetzel an.
Sven, der Kleinere, nimmt die Scheibe heraus und klettert ins Innere des Flamingohauses. Günther bleibt draußen, „damit de Mama nix riacht.“ Wieder schießt Günther mit der Druckpistole, dann muß Sven die total verängstigt in einer Ecke zusammengedrängten Vögel zum Fenster hinscheuchen, damit der andere mit einer 1,80 Meter langen Holzlatte auf sie eindreschen kann. ,,Aan no, aan no“, bettelt er.
Wien 15. Oktober 1976
TREPPELWEG:
Das wahre Gesicht des Ausländers
Der unbekannte Täter und sein späteres Opfer, Alfred K., 25, hatten einander in der Dampfmühlstraße in einem Lokal kennengelernt. Nach einer Runde Bier lud der Neger seinen Zechkumpanen zu einem Spaziergang am nahen Treppelweg ein. Alfred K. folgte arglos seinem neuen ,,Freund“.
Doch plötzlich zeigte der Ausländer sein wahres Gesicht: Er schlug seinen Begleiter zu Boden und zwang ihn, sich nackt auszuziehen. Alfred K. tat dies zwar aus Angst vor weiteren Fausthieben, schrie dabei jedoch nach Leibeskräften um Hilfe.
Wien, 1. August 1978
STADTPARK:
Die Liegende geschändet
In der Nacht auf gestern wurde der 21jährige Hilfsarbeiter Johannes N. aus der Inneren Stadt dabei ertappt, wie er im Wiener Stadtpark eine Plastik vom Sockel stieß. Die Plastik „Die Liegende“ wurde dabei beschädigt.
Wien, 1. August 1968
SCHWEIZER GARTEN:
Unten ohne
Einen unbekannten Toten fanden Passanten Mittwoch früh im Schweizergarten in Wien-Landstraße. Der Tote, ein 50 bis 55jähriger Mann, war nur noch mit einem Hemd bekleidet.
Wien 27. Dezember 1977
SCHLOSSPARK:
Das Skelett
Eine skelettierte Leiche im Schloßpark in Wien-Währing, halb verscharrt, löste Mittwoch Mordalarm aus. Gerichtsmediziner sollen nun feststellen, ob die Polizei einem Gewaltverbrechen auf der Spur ist.
Wien, 31. Januar 1974
FLORIDSDORFER WASSERPARK:
Die Rache an den Schwänen
„Mich hat einmal ein Schwan in einen Finger gebissen. Seither hab ich einen wahnsinnigen Haß auf die Viecher.“ Das war alles, was der 19jährige ÖBB-Bedienstete Kurt Tarnchina aus Wien-Floridsdorf vor der Polizei zu einem Akt beispielsloser Tierquälerei zu sagen wußte, den er Freitag vormittag im Floridsdorfer Wasserpark gesetzt hatte.
Tarnchina kam von einem Tennismatch, als ihm plötzlich zwei junge Schwäne über den Weg watschelten. Da nahm der „intelligente, bisher unbescholtene Mann“ (Polizei) sein Tennisracket und schlug wie von Sinnen auf die kleinen Wollknäuel ein. So lange, bis sie sich nicht mehr bewegten.
Mit schweren Verletzungen wurden die Schwäne ins Wiener Tierspital gebracht und gleich operiert. Für eines der Jungen kam freilich jede Hilfe zu spät: Es starb Montag früh.
Wien, 14. Oktober 1980
BLINDENGARTEN:
Sinnlos, sinnlos, sinnlos!
Sinnlose Zerstörungswut demonstrierten die unbekannten Einbrecher, die in der Nacht auf Montag den Blindengarten der Stadt Wien in Döbling heimsuchten. Sie vernichteten die Bronzeplatten in den Blumenanlagen, auf denen in Blindenschrift alle wichtigen Daten für die Blumen eingeprägt sind.
Wien, 2. Oktober 1968
DSCHUNGELSEX
Geheimnisse der Praterauen
Cruising in New York: der schwüle Al-Pacino-Film hat es uns hautnah vermittelt. Bei uns soll’s das nicht geben? Aber natürlich, und zwar im Prater-Dschungel, in den Auen zwischen Rotunde und Endstation der Liliputbahn. Dort praktizieren Ledermänner in lauen Nächten Hardcore-Rituale als Art von Liebe im Park. FLORIAN SOMMER, der schon im letzten WIENER die schwule Lokal-Szene beschrieben hat, gibt einen Erfahrungsbericht.
Frühling am Freitag. Die Sonne erhitzt hoffentlich nicht nur mein Gemüt. Da ich weder im Besitz einer rassigen Honda noch einer kräftigen Kawasaki bin, sattle ich mein klappriges Damenfahrrad und rolle damit in Richtung Praterauen.
Ich näherte mich der Stätte der Lustbarkeit wie immer von hinten. Erstens stimuliert mich das Prater-stadion, wenn es einmal leer ist – und zweitens erkenne ich schon an den am Parkplatz abgestellten Autos, wem der Sinn nach ähnlichem steht wie mir.
Meine knallenge Lederhose sitzt und drückt. Die metallbeschlagenen Absätze der neu erworbenen Stiefel knallen auf den Asphalt. Den Reißverschluß der Lederjacke ziehe ich ein Stück nach unten. Mein Outfit kann sich sehen lassen.
Zufrieden stapfe ich an den Bildhauer Ateliers der Gemeinde Wien vorbei in Richtung Trabrennplatz. Mit Wohlgefallen registriere ich den neuen, warmherzigen Service der Gemeinde Wien. Unsere Trampelpfade wurden mit mannsdicken Holzpflöcken gesichert, um Kollisionen zwischen flanierenden Schwulen und trabenden Rössern zu vermeiden.
Hinter dem ersten Pflock der erste Mann. Leider hält er nicht, was er auf Entfernung verspricht. Ich wende meine Aufmerksamkeit der Natur zu: Der Holunder treibt, die Veilchen blühen usw.. Ich lehne mich an einen Baum, der auch heuer, wie jedes Jahr, älteren Junggesellen Schatten zu spenden hat, und inhaliere die würzige Praterluft. Endlich kündigt sich das Ende der Einsamkeit an.
Eine enge, weiße Hose kämpft sich durch das Gebüsch, wird nach und nach durch eine schwarze Lederjacke und eine Kappe aus demselben Material ergänzt. Jetzt schlendert das ganze Ensemble lässig auf mich zu. Der Typ ist gut. Er geht ein paar Schritte auf und ab, dreht sich graziös. Mein Lächeln soll ihm sagen: ,,Später!“. Er versteht, vollführt noch eine Pirouette und verschwindet genauso plötzlich, wie er kam.
Ich begebe mich zum Hauptweg, der parallel zu den Schienen der Liliputbahn verläuft. Statt der erwarteten Strichbuben begegne ich einem gepflegten Herren im Bundesheer-Trainingsanzug. Er läuft direkt auf mich zu, wirft sich knapp vor mir auf den Boden und beginnt mit Liegestützen. Ich zähle laut mit: ,,Eins, zwei, drei … „. Das verwirrt den Staatsangestellten. Er federt in die Höhe, läuft ein paar Meter von mir weg – und geht schon wieder in Liegestütz-Stellung. Jetzt stelle ich mich mit gegrätschten Beinen genau über seinen Kopf und sage überhaupt nichts. Der Soldat will nicht davon lassen, seine Energie unnütz zu vergeuden. Mit einem abschätzigen Lächeln verabschiede ich mich. Hoffentlich habe ich ihn nicht allzu sehr verschreckt.
Ich liebe das frühe Frühjahr. Wenn die Blätter noch nicht so dicht sind, gibt der Dschungel Geheimnisse preis, die er bei voller Blüte für sich behält. Papiertaschentücher, die offensichtlich nicht zum Naseputzen verwendet wurden, weisen mir den Weg. Er führt geradewegs zu zwei recht ansehnlichen Burschen. Beide haben die Hose unten bei den Knien und genießen Sonne, Liebe und Triebe. Mich wollen sie leider nicht bemerken.
Kurz darauf begegnet mir ein alter Bekannter. In einer lauen Vollmondnacht im letzten August muß es gewesen sein, als wir weit nach hinten, zu einer versteckten Lichtung marschierten und es uns dort gemütlich einrichteten. Ein Schwarm Gelsen war uns gefolgt, der just in dem Moment, als es bei uns beiden ernst wurde, mit der Nahrungsaufnahme begann. So ein Erlebnis verbindet. Daher streifen wir jetzt gemeinsam weiter.
Am sogenannten Stern, einer Wegkreuzung, an der sich die meisten Männer einfinden, registrieren wir viele neue Gesichter. Geradezu unheimlich, wie all die Typen hier, ansonst voneinander isoliert, an ver-schiedenen Enden der Stadt wohnend, scheinbar auf ein geheimes Zeichen hin sich gleichzeitig an der gleichen Stelle des Dschungels finden.
Die Sonne geht unter und ich kann mich wieder einmal zu nichts entschließen. Mein Bekannter ist irgendwo hängengeblieben, was mich nicht betrübt.
In der Nähe der Station der Liliputbahn haben ein paar Prostituierte Stellung bezogen. Die Freier surren mit Standlicht auf und ab. Auf den Bänken vereinzelt Männer, jeder etwas anderes im Sinn. Auf den brei-teren Wegen Konturen, Schemen, Schatten. Im Gebüsch drinnen sieht man die Hand vor dem Gesicht nicht mehr, doch überall bewegt sich was. Laub raschelt, Äste brechen. Feuerzeuge klicken, flammen auf. Als Soundtrack eine Klangwolke aus dem Wurstelprater, der Abendwind mit sich trägt. Der Himmel über dem Vergnügungspark eine Glocke aus Licht, das nervöse Zucken der Neonreklamen. Ich gehe ein Stück aus dem Dschungel und erschrecke vor riesigen violetten Bustaben : WIM – Wiener Internationale Messe.
Zurück ins Finstere. Plötzlich steht er vor mir, zwischen uns nur wenige Zentimeter. Ich spüre Leder und einen borstigen Schnauzbart. Er dreht sich um. Seine Hose ist hinten ausgeschnitten. Endlich.
PARKUTOPIEN:
Die Paradiesgärten des Mario Terzic
Nicht umsonst sind die Wörter Paradies und Garten Synonyme. Unter ,,allerlei Bäumen, lustig anzu-sehen und gut zu essen“, sollen Löwe und Lamm friedlich beieinanderliegen. Der Garten ist also ein Ort der Zivilisation und Poesie, wo -außer dem Mann, der den Rasen mäht – jeglicher Realismus un-erwünscht ist. Dieses Verständnis ist auch Voraussetzung für das Projekt Arkadien, den Paradiesgarten des Wiener Industriedesigners und Künstlers Mario Terzic.
Arkadien sollte im Wiener Belvedere realisiert werden, doch Terzic scheiterte an der Wiener Stadt-gartenbürokratie. Inzwischen plant er eine Reise quer durch Europa, auf die er 15 archetypische Holz-figuren mitnehmen will. Projekttitel: Pompeji – Retour.
Unsere Parks sind fad. Einst „Präsentationsfelder der Phantasie und Sinnenlust, heute nur noch tote Bühnen mit der Grabschrift ,Betreten verboten'“. Als Anti-These zu den menschenfeindlichen Gemein-degärten kreierte der Wiener Industriedesigner und Künstler Mario Terzic sein Projekt „Arkadien“, eine Vereinigung von Fest, Theater und Ausstellung. ,,Eine Werbeveranstaltung“, beschreibt Terzic, ,,für eine Seelenreise mit Bildern, Objekten und Plastiken.“
Den traumhaft schönen Park (mit einem Eissalon, mit Phantasieautos und Spielzeugfliegern, mit hölzernen Schafen, einem Heuhaufen, Kostümkammern und „einem Badeplatz für göttlich schöne Frauen“) wollte Terzic schon im Frühjahr vergangenen Jahres im Wiener Belvedere entstehen lassen – scheiterte aber am Belvedere-Hausherrn Hofrat Hans Aurenhammer, der in Sorge um Rasen und Rosen das Projekt zu verhindern wußte. Weder die Euphorie der Kunstkritiker (,,Das Projekt ist zu schön, um nicht wahr zu werden“, schrieb „Die Presse“) noch das Engagement des Kulturstadtrates Helmut Zilk konnten helfen – die Pläne für „Arkadien“ landeten im Papierkorb des letztzuständigen Landwirtschaftsministeriums. Doch Künstler Terzic, der zutiefst bedauert, daß „öffentliche Gärten in der demokratischen Praxis Privatbesitz von Bürokraten und ewiggestrigen Kunsthistorikern“ sind, wollte nicht aufgeben und lancierte weiterhin das Projekt seines Paradiesgartens: In Zusammenarbeit mit einem Reisebüro und dem „Museum mo-derner Kunst“ wollte Terzic seine Umweltvision in einem Privatgarten am Ufer des Genfer Sees, in einer nach klassischem französischem Muster errichteten Parkanlagen doch noch realisieren. Das Reisebüro sollte 120 zahlende Kunsttouristen in den Genfer Park karren und das „Museum moderner Kunst“ private Mäzene animieren und die organisatorische Oberaufsicht über das ganze kühne Unterfangen innehaben.
Doch das Reisebüro geriet finanziell ins Schlingern, das Museum sah sich organisatorisch total über-fordert – und Terzic, der einige Objekte schon in Eigenregie nach Genf transportiert hatte, saß zwischen den Stühlen. Dem Projekt war endgültig der Todesstoß versetzt. Und ein für österreichische Verhältnisse unkonventionelles Experiment an Kunstförderung, nämlich die Mischung aus privatem Mäzenatentum und dem Engagement der öffentlichen Hand, war gescheitert.
Terzic, einigermaßen verbittert: ,,Die Figuren, die schon dort sind, habe ich denen geschenkt oder sie sollen sie verrotten lassen oder was weiß ich. Ich hab’s aufgegeben. Ich will ja nicht ewig mit diesen Bürokraten hier herumstreiten, ich will ja arbeiten.“
Wir drehen das Rad der Zeit um eine Speiche weiter – und finden Terzic abermals in die Vorbereitungen eines poetischen Projekts verwickelt: „Pompeji retour “ beschreibt die Reise einer Gruppe von 10 bis 15 Figuren (Lebensgröße, Holz, bemalt), die Archetypen europäischen Denkens klischieren: Venus, König, Mephisto, Arlecchino, Tod, Heilige, Hexe, Maler, Arbeiter, Spieler, Soldat, Freiheit … ; alles klassische Charaktere und Idole, die Terzic aus ihrem historischen Umfeld herauslöst und ihren Reisebegleitern gegen-überstellt. So entsteht in der Vielschichtigkeit der von den einzelnen Figuren beanspruchten Zeiträume und der Gleichzeitigkeit ihres Auftretens Bewegung.
Nicht ohne Grund wird die Terzicsche Reisegruppe erstmals in Pompeji auftreten. Die verschüttete und wiederausgegrabene Metropole der Antike, Heimat der Venus, wird zum Mahnmal einer Entwicklung, die sich im Zeitalter von Neutronenbomben und chemischen Waffen jederzeit wiederholen könnte.
Weitere Stationen: Verdun, St. Gotthard-Paß (Zug über die Alpen), Mt. Ventour, lsola Bella, die Kreidekliffs von Dover, Duisburger Hafen, der Marmorbruch von Carrara, das Dach des Mailänder Doms, Teatro Olim-pico Vincenza, die Loire-Schlösser, die Mercedes-Werke in Stuttgart… Dabei beanspruchen die einzelnen Figuren spezifischen Kontakt mit ihrer Umwelt, Arlecchino tritt im Teatro Olimpico auf, der Tod und der Soldat treffen einander in Verdun. Umgeben von ihren „Mitreisenden“ werden stets wechselnde Beziehungen aufgebaut, Räume visualisiert, geografisch und geistig durchschritten und in ihrer Verschränkung dargestellt.
Die Reise findet nach genauer Planung statt, ein wichtiges Element ist jedoch die Spontaneität, so daß sich für Künstler und Fotograf und Figuren wesentliche Möglichkeiten auch erst während der Arbeit ergeben.
Allerdings vorerst nicht in Österreich. Denn Terzic hat aus dem Scheitern des Arkadien-Projekts die Lehre gezogen – und „Pompeji – retour“ nicht mit einer Wiener Institution, sondern mit dem Württembergischen Kunstverein. Terzic, zufrieden: ,,Bisher klappt alles bestens.“
Nachtrag:
Leserbriefe vom Juni 1982: