AKUT

LIEBE IM PARK

Christian Jandrisits

Im November 2015 gab Gert Winkler dem Team des WIENER, jenem Magazin, das er 1979 mitbegründete und mit dem er Mediengeschichte schrieb, ein Interview anlässlich dessen 36. Geburtstag. Auf die Frage, an welche „Skandalausgaben“ er sich erinnere, fiel ihm sofort das LIEBE IM PARK „Heftl“ (WIENER Mai 1982) ein …

Sehen sie hier das Interview (Auszug) mit Gert Winkler über die LIEBE IM PARK Ausgabe (Text Michael Hopp/Fotos Gerhard Heller), im Anschluss die Originalstory vom Mai 1982 zum Nachlesen:

Gert Winkler (Herausgeber und Chefredakteur WIENER 1982): Auszug aus dem Interview von 2015, betreffend die LIEBE IM PARK Story !

LIEBE IM PARK heißt das saisongerechte Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem WIENER-Fotografen Gerhard Heller und der WIENER-Wortabteilung, das sich gleich über acht Seiten ausbreitet. Auf ihrem Streifzug durch die Wiener Parks traf das Team auf Exhibitionisten, Vandalen und Lustmörder. Aber auch auf den Schöpfer von Lustgärten, Mario Terzic.

TODESANGST , 20 METER ÜBER DEM ASPHALT 

Neues Gerät im Vergnügungspark 

Mit der heurigen Saison wird der Vergnügungspark im Wiener Prater ein Stück internationaler. 

Schlicht und einfach ,,Wiener Loo­ping“ heißt die spektakulärste Neueröff­nung der heurigen Wurstel-prater-Saison. Es steht gleich vorne beim Riesenrad und ist zweifellos das extremste Gerät, das je im Prater zu finden war. 

WIENER Die Stadtillustrierte, Mai 1982/Covergirl Carolyn Stuckey


Pro Fahrt können 28 Wiener (so viele finden in einem Bob Platz) erleben, was es heißt, auf einer Strecke von nur 10 Metern auf 90 Stundenkilometer beschleunigt zu werden. Deine Augen verziehen sich zu asiatischen Schlitzen, die Mundwinkel treibt es in Richtung Ohrläppchen – ganz wie bei den Horrorgesichtern in Ken Rus­sells „Höllentrip“. 

DER NEUE LOOPING steht am Platz des Vorjahrs „heiß abgetragen“ Lustspieltheaters.


Um die physikalischen Phänomene, die auf den Körper des Fahrgastes wäh­rend des Loopings einwirken, beschrei­ben zu können, muß die Formelsprache der Weltraumfahrt bemüht werden: Ganze 3 G (nicht zu verwechseln mit Gramm) pressen den Wagemutigen in sei­nen Sitz zurück. Dazu Herr Hubert Dostal, der Besitzer des ,,Wiener Loo­ping„: ,,I bin zwar ka Physiker, aber ich hab mir sagen lassen: Ab 5,7 G fangen die Atembeschwerden an.“ 

Der Stahlkonstruktion ist 360 Tonnen schwer, jeder einzelne der insgesamt zehn Bobs wiegt fast 2 Tonnen. Da steilste Wegstück hat 80 Grad Neigung, ist also fast senkrecht. 


Während traditionelle Hochschau­bahnen nach dem Gesetz der Trägheit funktionieren (der Wagen wird einmal angeschleppt und muß später mit seinem Schwung auskommen), werden die Loo­ping-Bobs raketenartig „abgeschossen“. Der hohe Fahrtarif (um die 30-Schilling­ Marke) bezieht sich daher nicht auf einen gewöhnlichen „Trip“, sondern auf einen zünftigen „Abschuß“. 
Um im Prater die Nase vom zu haben, greift Dostal tief in die Tasche: Das ,,Wie­ner Looping“ kostet (inklusive der Instal­lation, die sechs Wochen gedauert hat) 25 Millionen Schilling, die Dostal im Lea­sing-System bei einer bundesdeutschen Firma abstottert. 

Auf diesen Seiten führen wir sie durch die Labyrinthe der Wiener Grünanlagen, WIENER Mai 1982


Viel weniger aufwendig, aber auch nicht ohne, ist eine andere, neue Looping­ Bahn mit dem trefflichen Namen: ,,This is America“. Sie bezieht ihren Reiz, im Gegensatz zum ,,Wiener Looping“, nicht aus der Geschwindigkeit. Wenn man sich an der Innenseite der vertikal stehenden, kreisförmigen Bahn bis an ihren Zenit hat ziehen lassen, bleibt das Wagerl plötzlich stehen – und zwar für eine kleine Ewigkeit von vier Sekunden. Während dieser Zeit hängt man -mit dem Kopf nach unten – in einer schaumgummi- gepolsterten Halte­rung, die sich in die Bauchmuskulatur preßt, um den freien Fall des zahlenden Fahrgastes zu vermeiden. Das Gesäß wird während dieses Höhepunkts (im wahrsten Sinn des Wortes) so gut wie nicht belastet. 
Ein „This is America“-Fan: ,,Dieses Gerät ist das einzige im Prater, das einem das Gefühl vermittelt, absolut ausgeliefert zu sein. Bei den ,schnellen‘ Bahnen tröstet man sich mit der Gewißheit, daß eh gleich alles vorbei ist -je schneller die Bahn, umso kürzer die Angst. ,This is America‘ aber schockt durch den Stillstand, die absolute Einsamkeit 20 Meter über dem Asphalt.“ 

KRIMINALITÄT IM PARK:

Exhibitionisten warten auf ihren Auftritt, wir sehen Voyeure auf die Pirsch gehen…

Parksünden
In den Wiener Parks kann man Händchenhalten und spazierengehen. Man kann aber auch Enten massakrie­ren, Denkmäler schänden, Sex mit Gewalt und Chloro­form erzwingen, mit Fern­glas auf die Pirsch gehen oder sich von Polizeihunden jagen lassen. Der WIENER gibt einen Überblick über die eigenwilligsten Park­sünden der letzten 15 Jahre.

ES IST WIE MIT DEM SICH-HINTER-DEM-OHR·KRATZEN. Gewiß, wir können es verhindern, solange wir daran denken. Aber unversehens wird es dann doch einmal geschehen. Genauso ist es mit den Exhibitionisten. (Zitat aus: Lexikon der Sexualität, Hamburg 1968.)

Hose runter, 60mal !
Sein Revier reichte von Oberlaa bis Baden. Insgesamt 60mal hatte der 22jäh­rige Koch Günther Stockreiter seine Hose vor erschrockenen Mädchen auf Kinder­spielplätzen und in Parks fallengelassen.

Wien, 30. März 1977

PRATER:
Der Voyeur, ein Held

Für das spätere Opfer des Wüstlings hatte der Donnerstagabend sehr fröhlich begonnen. Den Abschluß der unterhaltsa­men Nacht sollte eine Partie Bowling dar­stellen. Als sich in der Bowlinghalle jedoch abzeichnete, daß Helga B.s Freund die Schwester ihr vorzog, kam es zum Streit.
Ohne es zu ahnen, kam Parigger im psychologisch günstigen Augenblick. Noch durcheinander nach dem Streit, schüttete Helga B. dem Mann ahnungslos ihr Herz aus und erzählte ihm von den bit­teren Enttäu-schungen der letzten Stun­den.
,,Da is einfach über mi kommen“, gestand später der Tischlergeselle der Poli­zei. Er zog ein Messer aus der Tasche, lief dem Mädchen nach, packte es von hinten und zerrte es ins Gebüsch.
Doch der Prater-Nachtschwärmer (ein Voyeur) hatte die Szene beobachtet und schon das Fernglas scharf-gestellt, da fiel ihm auf, daß der Mann dem Mädchen ein Messer an den Hals setzte, das Schäferstünd-chen also kaum freiwillig sein konnte. Er eilte zum nächsten Telefon und holte die Polizei.

Wien, 5. August 1978

KURPARK BADEN
Jeder Mann verdächtig

Während die niederösterreichische Mordkommission sich am Dienstag Stück für Stück der Aufklärung des Frauenmor­des im Kurpark Baden näherte, breitete sich unter der Bevölkerung der Kurstadt deutliche Angst, fast Panik aus. Immer wieder wurde die Polizei alarmiert, daß ein verdächtiger Mann im Wald gesehen wor­den sei, und jeder männliche Spaziergän­ger, der von einem Wanderweg abwich und durchs Gebüsch streifte, wirkte schon verdächtig.

Baden, 24. März 1982

… da lacht sie !

Flamingos haben Angst vor den Schlagstöcken der Kinder,
Frauen liegen im Schein der Laternen…

DER PULS SCHWEIGT. Das Fleisch Ist noch warm. Hell leuchtet das rote Kleid des Opfers In der tödlichen Grünfläche

KURPARK WIEN-OBERLAA
Pretty Flamingos

Am Abend des 2. August „vergnü­gen“ sich Günther W. und Sven Sch. damit, daß sie auf dem WIG-Gelände in Oberlaa mit einer Luftdruckpistole auf Enten und Schwäne schießen. Dann drin­gen die jugendlichen Vandalen durch eine beschädigte Plexiglasscheibe in das Fla­mingohaus ein und richten dort unter den rosafarbenen Ziervögeln ein richtiggehen­des Gemetzel an.
Sven, der Kleinere, nimmt die Scheibe heraus und klettert ins Innere des Flamingohauses. Günther bleibt draußen, „damit de Mama nix riacht.“ Wieder schießt Günther mit der Druckpistole, dann muß Sven die total verängstigt in einer Ecke zusammengedrängten Vögel zum Fenster hinscheuchen, damit der andere mit einer 1,80 Meter langen Holz­latte auf sie eindreschen kann. ,,Aan no, aan no“, bettelt er.

Wien 15. Oktober 1976

POGROM UNTER FLAMINGOS: Nur einer sollte überleben.
                     

TREPPELWEG:
Das wahre Gesicht des Ausländers

Der unbekannte Täter und sein späte­res Opfer, Alfred K., 25, hatten einander in der Dampfmühlstraße in einem Lokal kennengelernt. Nach einer Runde Bier lud der Neger seinen Zechkumpanen zu einem Spaziergang am nahen Treppelweg ein. Alfred K. folgte arglos seinem neuen ,,Freund“.
Doch plötzlich zeigte der Ausländer sein wahres Gesicht: Er schlug seinen Begleiter zu Boden und zwang ihn, sich nackt auszuziehen. Alfred K. tat dies zwar aus Angst vor weiteren Fausthieben, schrie dabei jedoch nach Leibeskräften um Hilfe.

Wien, 1. August 1978

STADTPARK:
Die Liegende geschändet

In der Nacht auf gestern wurde der 21jährige Hilfsarbeiter Johannes N. aus der Inneren Stadt dabei ertappt, wie er im Wiener Stadtpark eine Plastik vom Sockel stieß. Die Plastik „Die Liegende“ wurde dabei beschädigt.

Wien, 1. August 1968

SCHWEIZER GARTEN:
Unten ohne

Einen unbekannten Toten fanden Pas­santen Mittwoch früh im Schweizergarten in Wien-Landstraße. Der Tote, ein 50 bis 55jähriger Mann, war nur noch mit einem Hemd bekleidet.

Wien 27. Dezember 1977

            
Als „SINNLOSE PROVOKATION“ wurde dieses gestellte Foto angeprangert (siehe Leserbriefe im Nachtrag)

SCHLOSSPARK:
Das Skelett

Eine skelettierte Leiche im Schloß­park in Wien-Währing, halb verscharrt, löste Mittwoch Mordalarm aus. Gerichts­mediziner sollen nun feststellen, ob die Polizei einem Gewaltverbrechen auf der Spur ist.

Wien, 31. Januar 1974

FLORIDSDORFER WASSERPARK:
Die Rache an den Schwänen

„Mich hat einmal ein Schwan in einen Finger gebissen. Seither hab ich einen wahnsinnigen Haß auf die Viecher.“ Das war alles, was der 19jährige ÖBB-Bedien­stete Kurt Tarnchina aus Wien-Florids­dorf vor der Polizei zu einem Akt beispielsloser Tierquälerei zu sagen wußte, den er Freitag vormittag im Floridsdorfer Wasserpark gesetzt hatte.
Tarnchina kam von einem Tennis­match, als ihm plötzlich zwei junge Schwäne über den Weg watschelten. Da nahm der „intelligente, bisher unbeschol­tene Mann“ (Polizei) sein Tennisracket und schlug wie von Sinnen auf die kleinen Wollknäuel ein. So lange, bis sie sich nicht mehr bewegten.
Mit schweren Verletzungen wurden die Schwäne ins Wiener Tierspital gebracht und gleich operiert. Für eines der Jungen kam freilich jede Hilfe zu spät: Es starb Montag früh.

Wien, 14. Oktober 1980

BLINDENGARTEN:
Sinnlos, sinnlos, sinnlos!

Sinnlose Zerstörungswut demon­strierten die unbekannten Einbrecher, die in der Nacht auf Montag den Blindengar­ten der Stadt Wien in Döbling heimsuch­ten. Sie vernichteten die Bronzeplatten in den Blumenanlagen, auf denen in Blin­denschrift alle wichtigen Daten für die Blumen eingeprägt sind.

Wien, 2. Oktober 1968

DSCHUNGELSEX
Geheimnisse der Praterauen

Cruising in New York: der schwüle Al-Pacino-Film hat es uns hautnah vermittelt. Bei uns soll’s das nicht geben? Aber natürlich, und zwar im Prater-Dschungel, in den Auen zwischen Rotunde und Endstation der Liliputbahn. Dort praktizie­ren Ledermänner in lauen Nächten Hardcore-Rituale als Art von Liebe im Park. FLORIAN SOMMER, der schon im letzten WIENER die schwule Lokal-Szene beschrieben hat, gibt einen Erfahrungsbericht.

Frühling am Freitag. Die Sonne erhitzt hoffentlich nicht nur mein Gemüt. Da ich weder im Besitz einer rassigen Honda noch einer kräftigen Kawasaki bin, sattle ich mein klappriges Damenfahrrad und rolle damit in Richtung Praterauen.

Ich näherte mich der Stätte der Lustbarkeit wie immer von hinten. Erstens sti­muliert mich das Prater-stadion, wenn es einmal leer ist – und zweitens erkenne ich schon an den am Parkplatz abgestellten Autos, wem der Sinn nach ähnlichem steht wie mir.
Meine knallenge Lederhose sitzt und drückt. Die metallbeschlagenen Absätze der neu erworbenen Stiefel knallen auf den Asphalt. Den Reißverschluß der Lederjacke ziehe ich ein Stück nach unten. Mein Outfit kann sich sehen lassen.

MÄNNERSEX IN DER PRATERAU: Bevorzugte Accessoires sind Schirmkappen, Uniformen, Gürtel und die Kühlerhaube eines Dienstwagens.

Zufrieden stapfe ich an den Bildhauer­ Ateliers der Gemeinde Wien vorbei in Richtung Trabrennplatz. Mit Wohlgefal­len registriere ich den neuen, warmherzi­gen Service der Gemeinde Wien. Unsere Trampelpfade wurden mit mannsdicken Holzpflöcken gesichert, um Kollisionen zwischen flanierenden Schwulen und tra­benden Rössern zu vermeiden.

Hinter dem ersten Pflock der erste Mann. Leider hält er nicht, was er auf Ent­fernung verspricht. Ich wende meine Auf­merksamkeit der Natur zu: Der Holunder treibt, die Veilchen blühen usw.. Ich lehne mich an einen Baum, der auch heuer, wie jedes Jahr, älteren Junggesellen Schatten zu spenden hat, und inhaliere die würzige Praterluft. Endlich kündigt sich das Ende der Einsamkeit an.

Eine enge, weiße Hose kämpft sich durch das Gebüsch, wird nach und nach durch eine schwarze Lederjacke und eine Kappe aus demselben Material ergänzt. Jetzt schlendert das ganze Ensemble lässig auf mich zu. Der Typ ist gut. Er geht ein paar Schritte auf und ab, dreht sich graziös. Mein Lächeln soll ihm sagen: ,,Später!“. Er versteht, vollführt noch eine Pirouette und verschwindet genauso plötzlich, wie er kam.

Ich begebe mich zum Hauptweg, der parallel zu den Schienen der Liliputbahn verläuft. Statt der erwarteten Strichbuben begegne ich einem gepflegten Herren im Bundesheer-Trainingsanzug. Er läuft di­rekt auf mich zu, wirft sich knapp vor mir auf den Boden und beginnt mit Liegestüt­zen. Ich zähle laut mit: ,,Eins, zwei, drei … „. Das verwirrt den Staatsangestellten. Er federt in die Höhe, läuft ein paar Meter von mir weg – und geht schon wieder in Liegestütz-Stellung. Jetzt stelle ich mich mit gegrätschten Beinen genau über sei­nen Kopf und sage überhaupt nichts. Der Soldat will nicht davon lassen, seine Ener­gie unnütz zu vergeuden. Mit einem abschätzigen Lächeln verabschiede ich mich. Hoffentlich habe ich ihn nicht allzu sehr verschreckt.

Ich liebe das frühe Frühjahr. Wenn die Blätter noch nicht so dicht sind, gibt der Dschungel Geheimnisse preis, die er bei voller Blüte für sich behält. Papiertaschen­tücher, die offensichtlich nicht zum Nase­putzen verwendet wurden, weisen mir den Weg. Er führt geradewegs zu zwei recht ansehnlichen Burschen. Beide haben die Hose unten bei den Knien und genießen Sonne, Liebe und Triebe. Mich wollen sie leider nicht bemerken.

Kurz darauf begegnet mir ein alter Bekannter. In einer lauen Vollmondnacht im letzten August muß es gewesen sein, als wir weit nach hinten, zu einer versteck­ten Lichtung marschierten und es uns dort gemütlich einrichteten. Ein Schwarm Gel­sen war uns gefolgt, der just in dem Moment, als es bei uns beiden ernst wurde, mit der Nahrungsaufnahme begann. So ein Erlebnis verbindet. Daher streifen wir jetzt gemeinsam weiter.

Harte und weiche Männer genießen die laue Nacht, …… (links oben, das nächste „Skandalfoto“)

Am sogenannten Stern, einer Weg­kreuzung, an der sich die meisten Männer einfinden, registrieren wir viele neue Gesichter. Geradezu unheimlich, wie all die Typen hier, ansonst voneinander isoliert, an ver-schiedenen Enden der Stadt wohnend, scheinbar auf ein geheimes Zei­chen hin sich gleichzeitig an der gleichen Stelle des Dschungels finden.

Die Sonne geht unter und ich kann mich wieder einmal zu nichts entschließen. Mein Bekannter ist irgendwo hängengeblieben, was mich nicht betrübt.

In der Nähe der Station der Liliput­bahn haben ein paar Prostituierte Stellung bezogen. Die Freier surren mit Standlicht auf und ab. Auf den Bänken vereinzelt Männer, jeder etwas anderes im Sinn. Auf den brei-teren Wegen Konturen, Schemen, Schatten. Im Gebüsch drinnen sieht man die Hand vor dem Gesicht nicht mehr, doch überall bewegt sich was. Laub raschelt, Äste brechen. Feuerzeuge klicken, flammen auf. Als Soundtrack eine Klangwolke aus dem Wurstelprater, der Abendwind mit sich trägt. Der Him­mel über dem Vergnügungspark eine Glocke aus Licht, das nervöse Zucken der Neonreklamen. Ich gehe ein Stück aus dem Dschungel und erschrecke vor riesigen violetten Bustaben : WIM – Wiener Internationale Messe.

Zurück ins Finstere. Plötzlich steht er vor mir, zwischen uns nur wenige Zenti­meter. Ich spüre Leder und einen borsti­gen Schnauzbart. Er dreht sich um. Seine Hose ist hinten ausgeschnitten. Endlich.

aus dem Archiv …

PARKUTOPIEN:
Die Paradiesgärten des Mario Terzic

Nicht umsonst sind die Wör­ter Paradies und Garten Synonyme. Unter ,,allerlei Bäumen, lustig anzu-sehen und gut zu essen“, sollen Löwe und Lamm friedlich beieinanderliegen. Der Gar­ten ist also ein Ort der Zivili­sation und Poesie, wo -außer dem Mann, der den Rasen mäht – jeglicher Realismus un-erwünscht ist. Dieses Verständnis ist auch Voraussetzung für das Pro­jekt Arkadien, den Para­diesgarten des Wiener Industriedesigners und Künstlers Mario Terzic.
Arkadien sollte im Wiener Belvedere realisiert wer­den, doch Terzic scheiterte an der Wiener Stadt-garten­bürokratie. Inzwischen plant er eine Reise quer durch Europa, auf die er 15 archetypische Holz-figuren mitnehmen will. Projekt­titel: Pompeji – Retour.

Unsere Parks sind fad. Einst „Präsen­tationsfelder der Phantasie und Sinnen­lust, heute nur noch tote Bühnen mit der Grabschrift ,Betreten verboten'“. Als Anti-These zu den menschenfeindlichen Gemein-degärten kreierte der Wiener Industriedesigner und Künstler Mario Terzic sein Projekt „Arkadien“, eine Ver­einigung von Fest, Theater und Ausstel­lung. ,,Eine Werbeveranstaltung“, beschreibt Terzic, ,,für eine Seelenreise mit Bildern, Objekten und Plastiken.“

Den traumhaft schönen Park (mit einem Eissalon, mit Phantasieautos und Spielzeugfliegern, mit hölzernen Schafen, einem Heuhaufen, Kostümkammern und „einem Badeplatz für göttlich schöne Frauen“) wollte Terzic schon im Frühjahr vergangenen Jahres im Wiener Belvedere entstehen lassen – scheiterte aber am Bel­vedere-Hausherrn Hofrat Hans Auren­hammer, der in Sorge um Rasen und Rosen das Projekt zu verhindern wußte. Weder die Euphorie der Kunstkritiker (,,Das Projekt ist zu schön, um nicht wahr zu werden“, schrieb „Die Presse“) noch das Engagement des Kulturstadtrates Hel­mut Zilk konnten helfen – die Pläne für „Arkadien“ landeten im Papierkorb des letztzuständigen Landwirtschaftsministe­riums. Doch Künstler Terzic, der zutiefst bedauert, daß „öffentliche Gärten in der demokratischen Praxis Privatbesitz von Bürokraten und ewiggestrigen Kunst­historikern“ sind, wollte nicht aufgeben und lancierte weiterhin das Projekt seines Paradiesgartens: In Zusammenarbeit mit einem Reisebüro und dem „Museum mo-derner Kunst“ wollte Terzic seine Umweltvision in einem Privatgarten am Ufer des Genfer Sees, in einer nach klassi­schem französischem Muster errichteten Parkanlagen doch noch realisieren. Das Reisebüro sollte 120 zahlende Kunsttouristen in den Genfer Park karren und das „Museum moderner Kunst“ pri­vate Mäzene animieren und die organisa­torische Oberaufsicht über das ganze kühne Unterfangen innehaben.

POMPEJI-RETOUR, eine Kulturreise durch ganz Europa – das neue Projekt von Mario Terzic.

Doch das Reisebüro geriet finanziell ins Schlingern, das Museum sah sich orga­nisatorisch total über-fordert – und Terzic, der einige Objekte schon in Eigenregie nach Genf transportiert hatte, saß zwi­schen den Stühlen. Dem Projekt war end­gültig der Todesstoß versetzt. Und ein für österreichische Verhältnisse unkonven­tionelles Experiment an Kunstförderung, nämlich die Mischung aus privatem Mäzenatentum und dem Engagement der öffentlichen Hand, war gescheitert.

Terzic, einigermaßen verbittert: ,,Die Figuren, die schon dort sind, habe ich denen geschenkt oder sie sollen sie verrot­ten lassen oder was weiß ich. Ich hab’s auf­gegeben. Ich will ja nicht ewig mit diesen Bürokraten hier herumstreiten, ich will ja arbeiten.“

WIE DAS BELVEDERE nicht aussehen darf. Teilansicht des in Wien verbotenen Paradiesgartens von Mario Terzic.


Wir drehen das Rad der Zeit um eine Speiche weiter – und finden Terzic aber­mals in die Vorbereitungen eines poeti­schen Projekts verwickelt: „Pompeji retour “ beschreibt die Reise einer Gruppe von 10 bis 15 Figuren (Lebensgröße, Holz, bemalt), die Arche­typen europäischen Denkens klischieren: Venus, König, Mephisto, Arlecchino, Tod, Heilige, Hexe, Maler, Arbeiter, Spieler, Soldat, Freiheit … ; alles klassische Cha­raktere und Idole, die Terzic aus ihrem historischen Umfeld herauslöst und ihren Reisebegleitern gegen-überstellt. So ent­steht in der Vielschichtigkeit der von den einzelnen Figuren beanspruchten Zeit­räume und der Gleichzeitigkeit ihres Auf­tretens Bewegung.

Nicht ohne Grund wird die Terzicsche Reisegruppe erstmals in Pompeji auftre­ten. Die verschüttete und wiederausgegra­bene Metropole der Antike, Heimat der Venus, wird zum Mahnmal einer Entwick­lung, die sich im Zeitalter von Neutronen­bomben und chemischen Waffen jeder­zeit wiederholen könnte.

Weitere Stationen: Verdun, St. Gott­hard-Paß (Zug über die Alpen), Mt. Ven­tour, lsola Bella, die Kreidekliffs von Dover, Duisburger Hafen, der Marmor­bruch von Carrara, das Dach des Mailän­der Doms, Teatro Olim-pico Vincenza, die Loire-Schlösser, die Mercedes-Werke in Stuttgart… Dabei beanspruchen die einzelnen Figuren spezifischen Kontakt mit ihrer Umwelt, Arlecchino tritt im Teatro Olimpico auf, der Tod und der Soldat tref­fen einander in Verdun. Umgeben von ihren „Mitreisenden“ werden stets wech­selnde Beziehungen aufgebaut, Räume visualisiert, geografisch und geistig durch­schritten und in ihrer Verschränkung dar­gestellt.

Die Reise findet nach genauer Pla­nung statt, ein wichtiges Element ist jedoch die Spontaneität, so daß sich für Künstler und Fotograf und Figuren wesentliche Möglichkeiten auch erst wäh­rend der Arbeit ergeben.

Allerdings vorerst nicht in Österreich. Denn Terzic hat aus dem Scheitern des Arkadien-Projekts die Lehre gezogen – und „Pompeji – retour“ nicht mit einer Wiener Institution, sondern mit dem Württembergischen Kunstverein. Terzic, zufrieden: ,,Bisher klappt alles bestens.“

Nachtrag:

Leserbriefe vom Juni 1982:

WIENER, Juni 1982