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Archiv 2014: 100 Jahre BH
Selten hat uns ein Kleidungsstück so viel Freude bereitet wie der ehrenwerte Büstenhalter. Ehrenwert? Durchaus – 2014 feierte der Sympathieträger seinen 100. Geburtstag.
Text: Philipp Traun/Foto Header: Corbis Images
Alles begann 1984, ich war acht, auf FS 1 lief ein Film, dessen Inhalt sich kurz mit den Worten A „Scheiß mich an“ umschreiben ließ, obwohl mir nicht klar war, wie ein Mann dieser Fülle durch das Bullauge eines Privatjets gesogen werden konnte. Das Ende eines Bösewichts und der Anfang meiner Leidenschaft für alles, was verhüllte.
Damals! Heute wahrscheinlich auch. Doch heute geht es in diesem Film um Ausstattungsdetails, um ein Auto und einen Anzug, um das Auto und den Anzug und silbergrau sowohl als auch. Aber damals: Damals war alles anders, und damals war ich 20 Jahre zu spät gekommen.
1964 – und ich spreche nicht von Gerd Fröbes Golfhosen oder Oddjobs fliegendem Zylinder. Ich kann mich erinnern, dass mein Vater, der zu der Zeit vier Jahre jünger als ich heute war, also 33, irgendwo hinter mir und Banane essend den Film alle fünf Minuten mit den Worten „Scheiß mich an“ kommentierte. Daher die Inhaltsangabe.
Es gab konspirative Gespräche, Verfolgungen, Nahtoderfahrungen, mitten drin einen Mann, der immer schon der Eigentliche war, Nebensächlichkeiten, und dann gab es eine Szene, die mich nachhaltig beeindruckte, deren Konsequenz es war, dass ich als 37-Jähriger noch immer an einen Gott glaube. Wahrscheinlich Shiva! Zumindest dann, wenn ich das Wort „Champagnerstaffel“ höre, und das kommt zugegebenermaßen selten bis niemals vor.
Also kein Gott, dafür Frau, also Frau und ihre Göttlichkeit und das, was sie verhüllt und zu einem Geheimnis macht, denn von außen wird das gleichgemacht, was von innen tausend Formen hat, spitz wie bei der Champagnerstaffel, stumpf beim Rest der Welt, groß, klein, oben oder unten, weich oder falsch, da oder flach, aber bleib ich beim achtjährigen Ich, dann wäre das so, als würde man die Familie Barbapapa je nach Vorliebe in Plastiksäcke von Hofer oder Julius Meinl stopfen. Dick oder dünn? La Perla oder schon wieder Hofer, denn dort gibt es auch manchmal Büstenhalter zu Schleuderpreisen, und obwohl ich das Wort „Büstenhalter“ irreführend finde, denn eine Büste ist etwas anderes als ein Busen und sicher nur in Körbchengröße 402 plus haltbar, so ist das Ding an sich nur die letzte Grenze zum absolut Irreführenden: dem Busen selbst, und nicht der Büste oder nur dem B für Bezirk in Bezirkshauptmannschaft. So!
Der Einkauf wird bei Meinl übrigens nur noch in Papier und fremd verpackt. Quasi ökologische Kammerzofe auf Mindestlohn. Pack mich ein, Julius, du alter Busenpacker!
Aber zurück zu Pussy Galore, der Champagnerstaffelführerin, und meinem Vater, dem Bananenesser und überhaupt Kenner aller Obst- und Gemüseklassen.
„Das ist nichts gegen die Honey Rider“, sagte er kauend.
Hätte ich damals gewusst, wovon er sprach, nämlich von Ursula Andres und der Hier-kommt-die-Frau-aus-dem-Meer-und-sonst-tut-sie-nicht-viel-Szene des Jahrhunderts, hätte ich zugestimmt, doch ich wusste nicht und dachte einerseits „Scheiß mich an, die hat spitze Busen“ und andererseits: „Sag mal, wie lang isst du denn noch an deiner blöden Banane?“
Mit durchgestrecktem Rücken und Kinn geradeaus sprangen die Champagnerstaffelmitglieder aus ihren Fliegern, trippelten wacker und etwas gesichtshohl in Richtung ihrer Führerin, wo sie dann alle herumstanden und ihre Befehle zum Busenausfahren oder -entblößen bekamen. Zumindest so in meiner Erinnerung. In Wahrheit ging es um die flächendeckende Betäubung des Militärs, die Entwertung der Goldvorräte von Fort Knox und den Größenwahn eines Mannes, der sich Auric nannte und wie gesagt später durch das Bullauge eines Privatjets gesogen wurde. Doch die Erinne- rung meint anderes, und die Erinnerung hat immer recht. Besonders meine.
Na ja. Ich erinnere mich auch, dass in der Zeit danach keine ausgewachsene Frau an mir vorübergehen konnte, ohne dass ich ihr die Worte „Ja, ja, ja, du kannst mir nichts vormachen, ja, ja, ja, mich kann man nicht hinters Licht führen“ hinterherdachte. Tu ich bis heute. Und dennoch können sie, die Frauen, und tun sie mit ihren Sport- und Push-Up-, Minimize-, Spitz-, Ballkleid-, Nur- Cup-, Stick-On und sonstigen BHs, die zur Irreführung erdacht und getragen werden. Zumindest in meiner Welt der höheren Paranoia, in der jeder Busen mir zu gelten hat und Punkt.
Vor einigen Tagen sah ich wieder einmal den Film Goldfinger, und ob des längst bekannten Inhalts dachte ich zurück. An all die Busenhalter, die vor mir geöffnet wurden, von Angesicht zu Angesicht, schamvoll von mir abgewendet, und die ich selbst öffnete, ausführlich, also dorftrottelähnlich, routiniert, in liebestoller Raserei, als wunderbares Ritual der Nähe, wie nebenbei und unter vollster Konzentration. Der Film endet mit einem Flugzeugabsturz, Galore und Bond ent- kommen dem Desaster per Fallschirmsprung ins Grüne, und während sich der Fallschirm senkt, sich über die Körper der beiden als Symbol der letzten Intimität senkt, während Bond sich ihren Körper schnappt und sagt: „Nein, nein, das ist nicht die Zeit für Rettung“, ertappe ich mich mit Banane in der Hand und denke: „Scheiß mich an!“