AKUT

Archiv 1998: Wo der Spaß aufhört

Es muss nicht immer Clinton sein. Sexuelle Belästigung ist das heißeste Thema der Neunziger. Und kein Kavaliersdelikt. Denn wenn der liebe Kollege zum lästigen Kraken wird, stehen Frauen schnell mit dem Rücken zur Wand. Der WIENER sah sich beide Seiten an: von Opfern und Tätern.

Text: BRIGITTE PIWONKA • Fotos: KURT PINTER

Fall 1: Doktor-Spiele

SIE, 29, RÖNTGENASSISTENTIN
Am Anfang habe ich mich über seine Komplimente noch gefreut. Bemerkungen über meinen Lippenstift, meine Frisur, mein Parfüm. So etwas schmeichelt, schließlich hatte ich gerade eine Scheidung hinter mir. Abends, wenn die Patienten weg waren, sind wir zusammengesessen und haben nett geplaudert. Der Doktor hat gerne Tee zubereitet, und wir haben auf der Ledergarnitur in der Ordination gesessen, meist bis 20 Uhr. Die anderen Angestellten waren um diese Zeit schon weg. Ich habe mich den ganzen Tag darauf gefreut, und ich dachte, ein wenig Zuneigung kann nicht schaden. Irgendwann begann er meine Hände zu streicheln. Anfangs spielte ich mit. Aber dann ist mehr daraus geworden. Er erzählte von Qi Gong, sprach von Energieflüssen und Blockaden. Dabei hat er angeboten, meinen Energiestatus zu checken. Ich wollte keine Spielverderberin sein, und er war schließlich der Chef. Ich musste mich auf den Boden legen: Plötzlich fing er an, meine Brüste zu streicheln. Dann meine Schenkel, außen und innen. Er hat Richtung Gürtel gegrapscht. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ich dachte: Wie komme ich aus der Nummer raus? Er machte die Schnalle auf. Da bin ich aufgesprungen und nach Hause gelaufen. Am nächsten Tag habe ich ihm erklärt, dass ich das nicht will. Er hat das kommentarlos hingenommen. Aber dann wurde er so gemein und ist dauernd vor versammelter Mannschaft auf mich losgegangen. Meinen Dienstvertrag hat er nicht verlängert. Ich habe mich gekränkt und bin zur Gleichbehandlungsanwältin gegangen.

ER, 37, RÖNTGENOLOGE
Warum sie zu dieser Emanze gelaufen ist und gleich die ganze Gerichtsmaschinerie in Gang gesetzt hat, weiß ich nicht. Ich vermute, Geltungsdrang. Oder Rache. An den Männern allgemein. Und ich bin zum Handkuss gekommen. Sie hatte ja eine Scheidung hinter sich. Und ich hatte sehr wohl den Eindruck, dass unsere Stunden auf der Couch gefallen haben. Ich habe zweimal Tee gemacht, und ihr habe ich auch einen angeboten. Man ist ja kein Unmensch! Bitte, ich will auch nicht abstreiten, dass sie mir gefallen hat in ihrer zurückhaltenden Art. Diese Schüchternheit hat ein bissel den Jagdinstinkt geweckt in mir. Und einer Frau Komplimente zu machen, das ist doch nicht verboten. Eher motivierend. Wenn sie sagt, ich hätte sie belästigt, dann lügt diese Frau! Dass man einander berührt, wenn man so eng zusammenarbeitet, das kann vorkommen. Und das mit dem Qi Gong wollte sie doch selbst! Aus unerfindlichen Gründen dürfte ihr meine Behandlung nicht zugesagt haben. Das war okay für mich, aber damit war der Zauber für uns beide vorbei. Dann ist sie zu mir gekommen und hat gemeint, die Berührungen seien unangenehm gewesen. Was soll’s! Dann halt nicht! Für mich war die Sache beendet. Aber auf einmal hat sie Fehler gemacht, die einer Röntgenassistentin nicht passieren dürfen. Sie spiegelte einem Patienten den Magen statt den Darm. Verständlich, dass ich sie nicht länger in meiner Praxis haben wollte. Außerdem war diese Frau eine Gefahr für meinen guten Ruf.

Fall 2: Szenen einer Scheidung

SIE, 28, STUDENTIN
Ich lebe mit meinem Mann in Scheidung. Manchmal kommt er noch zu mir in die Wohnung – aber nur, weil ich ihn nicht besuchen will -, um die von uns getroffene Vereinbarung zu besprechen. Vorige Woche war er am Abend wieder da. Das Kind hatte ich aufgrund des heiklen Themas frühzeitig ins Bett geschickt. Wir saßen am Küchentisch und hatten die Papiere vor uns ausgebreitet. Auf einmal spürte ich seine Hand unterm Tisch auf meinem Knie. Zuerst dachte ich, es sei das Tischtuch, bei dem ich angekommen war, oder die Katze wäre heraufgesprungen. Doch dann wusste ich, das ist er. Ich wollte zuerst nichts sagen, weil ich dachte, er hört von selbst auf, und außerdem ist bei so sensiblen Sachen wie Scheidung jedes böse Wort hinderlich. Als seine Hand an der Innenseite meiner Schenkel hochwanderte, fühlte ich mich regelrecht bedrängt. Ich wollte das nicht und schrie ihn an. Als er mir vorwarf, ich sei frigid, warf ich ihn aus der Wohnung.

ER, 35, MANAGER
Klar ist Monika frigide! Als wir noch zusammen gewohnt haben, wollte sie mit mir höchstens alle paar Monate ins Bett. Das ist doch nicht normal! Als wir uns scheiden lassen wollten, verlangte sie einen Batzen Geld von mir. Ich dachte, warum soll ich das bezahlen, wenn sie schuld ist? Es gibt doch so etwas wie eheliche Pflichten, oder? Also habe mir gedacht, schauen wir einmal, wie das jetzt ist. Wir saßen da so am Küchentisch und besprachen die Einzelheiten, und dabei legte ich meine Hand auf ihr Knie. Na, mehr hab‘ ich nicht gebraucht. Sie wurde hysterisch und rastete völlig aus. Dann warf sie mich hochkantig aus der Wohnung. Und dafür soll ich noch Alimente bezahlen?

Fall 3: Dienstreise zum Scheich

SIE, 31, PR-BERATERIN & JOURNALISTIN
Ich habe ihn bei einer Pressereise kennengelernt, und wir hatten die gleiche Wellenlänge. Wir konnten stundenlang plaudern und lachen und einander unsere Visionen erzählen, die sehr ähnlich waren. Da fanden sich natürlich viele Anknüpfungspunkte. Einer davon war, dass ich für ihn Publicity-Konzepte ausarbeiten sollte, bei denen auch ein arabischer Scheich promotet werden sollte. Ich arbeite gern mit.

ER, 57, GESCHÄFTSFÜHRER
Sie war eine nette junge Frau, warum sollte man sie nicht sympathisch finden? Wir haben uns von Anfang an unheimlich gut verstanden, hatten eine perfekte Gesprächsbasis. Sie zeigte sich auch sehr interessiert an meinen Projekten, und da kam ich auf die Idee, mit ihr zusammenzuarbeiten. Sie hatte Kontakte zur Presse, und sie war ein außergewöhnlich offener Mensch. Wir haben dann immer wieder Besprechungen gehabt und bemerkt, wie seelenverwandt wir beide sind. Ich kam mit der Idee, den Scheich in Dubai zu besuchen, um ihn vor Beginn der Zusammenarbeit persönlich kennenzulernen. Ich reise viel für Geschäfte im arabischen Raum und wollte dort eine PR-Kampagne durchziehen. Als ich einen Geschäftspartner von mir wieder mal besuchte, erzählte ich ihr begeistert davon. Am Abend saßen wir zu dritt noch in der Hotelbar, als beide Männer plötzlich zu zwinkern begannen und meinten, wir sollten aufs Zimmer gehen. Ich stimmte zu, weil ich von Dubai erzählt hatte, und ihre Gesellschaft war mir angenehm. Was in der Bar passiert ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr so genau. Ich war müde. Dass das Hotelzimmer für alle drei sein sollte, hätte ich mir nicht gedacht. Ich sperrte die Tür auf, und plötzlich drängten sich die beiden mit ins Zimmer. Ich war perplex und sagte, sie sollten verschwinden. Gott sei Dank waren beide schon betrunken, und so wurde ich relativ leicht mit ihnen fertig. Ich bugsierte sie aus dem Raum. Am nächsten Tag war sie nicht mehr da, und später hat sie mich immer abgewimmelt. Dabei hätte sie ein gutes Geschäft machen können. Schade eigentlich.