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Archiv 2005 – Ist Boxen primitiv?
Die Klitschko-Brüder Vitali, 33 und Schwergewichtsweltmeister, und Wladimir, 28 und Ex-Champ, boxen seit heuer unter österreichischer Lizenz. Nach Kitzbühel werden sie trotzdem nicht ziehen.
Text: Axel Halbhuber Fotos: Manfred Klimek
wiener: Sie kämpfen jetzt, nach Streitigkeiten mit ihrem ehemaligen Boxstall, beide unter österreichischer Lizenz. Haben Sie sich schon rot-weiß-rote Fahnen besorgt?
Wladimir: Die Fahne bleibt die gleiche, wir kommen aus der Ukraine.
Vitali: Stimmt, unsere Fahne ist gelb-blau. Und die Fahne wechseln wir nicht, weil das unsere Heimat ist. Man kann den Wohnort und die Freunde wechseln, nur die Heimat nicht. Aber in Österreich haben wir sehr viele Freunde und gute Kontakte zum Boxverband.· Deshalb haben wir uns entschieden, unter österreichischer Lizenz zu kämpfen.
Wladimir: Und Vitali hat sich gleich mit Arnold getroffen. Vitali: Wir lieben Österreich sehr. Es gibt viele berühmte Österreicher. Arnold und Dietrich Mateschitz. Wir sind regelmäßig bei unseren Freunden in Kitzbühel und beim Stanglwirt. Ich hatte einmal einen Kampf in Wien. Und wer weiß, vielleicht war es nicht der letzte Kampf in Österreich.
Boxen ist in Österreich nicht sehr populär. Klären wir also für die Leser eine Frage: Ist Boxen der letzte echte Sport oder primitiv?
Wladimir: Boxen ist eine der ehrlichsten Sportarten. Die Geschichte des Boxens ist lang und die Regeln haben sich im Grunde genommen seit tausend Jahren nicht mehr geändert. Das Boxen hat eine tiefe Philosophie: Zwei Gentlemen unterhalten sich miteinander mit der Hilfe von Fäusten, und wer mehr Recht hat, geht als Sieger aus dem Ring.
Vitali: Wenn jemand sagt, Boxen ist primitiv, dann versteht er nichts davon. Das ist keine Straßenschlägerei. Das ist eine Sportart mit viel Leistung und Strategie. Das ist nicht nur ein Sportler, das erarbeitet ein ganzes Team, von dem einer im Ring steht. Das ist nicht einfach eine Prügelei, das ist Kunst. Das haben viele große Namen bewiesen, die Box-fasziniert waren und selbst geboxt haben. Waren Jack London und Ernest Hemingway etwa primitiv?
Wladimir: Gestern beim Ball des Sports ist Dustin Hoffman auf Vitali zugekommen, hat ihn umarmt und zu sich runtergezogen, Sie wissen, wie groß Dustin Hoffman ist, und auf die Stirne geküsst. Dann hat er gesagt: ,,Vitali, ich habe deine letzten Kämpfe alle gesehen. Wie du das gemacht hast. Ich bin ein Riesenfan von dir.“ Viele Intellektuelle lieben diesen Sport.
Trotzdem meinen viele, dass es beim heutigen Stand der Evolution überholt ist, wenn sich Menschen ins Gesicht schlagen?
Wladimir: Der französische Regisseur Claude Lelouche hat gesagt, dass Boxen mit dem Leben vergleichbar ist. Im Boxen erlebt man das im Zeitraffer, was man in einigen Jahren im normalen Leben erlebt.
Vitali: Wenn der eine gewinnt, dann verliert der andere. Wladimir: Und eine gewisse Brutalität ist immer da, im Boxen wie im Leben. Zwischen dem Guten und dem Bösen ist immer ein Kampf.
Vitali: Boxen ist das wahre Drama. Die Frage, wer der Stärkste ist, interessiert Menschen von Anfang an. Deswegen ist Boxen überall populär, in jedem Land der Welt, während andere Sportarten nur in Amerika, Europa oder Asien populär sind. Boxkämpfe schaut jeder, weil das Interesse, wer der Stärkste ist, im Vordergrund steht.
Aber warum wird man Boxer? Bis man gut ist, holt man sich doch jede Menge Schläge ab!
Wladimir: Man probiert das einmal, hat Spaß daran und spürt, dass man Talent hat. Dann kommen die ersten Erfolge. Und man hat eine wahnsinnige Motivation. So ist das auch bei uns gewesen. Die Schläge wären eher ein Problem für eine Frau. Obwohl es auch für einen Mann besser ist, den Schlägen auszuweichen.
Aber nicht alle Männer stellen sich mit so Irren wie Mike Tyson in einen Ring. Nicht nur wegen Sprüchen wie ̒Die Klitschkos sollen kommen, ich schicke beide im Sarg nach Hause zu ihrer Mutter“. Auch weil man Gefahr läuft, dass danach ein Ohr fehlt.
Vitali: Gefahr ist immer da. Leider hat der Ruf des Boxens wegen Mike Tyson gelitten. Er ist ein hervorragender Sportler, hat sehr gute Leistungen erbracht. Als Mensch kann man das bestreiten, weil er in seinem Leben sehr viel Mist gebaut hat. Aber das spielt keine Rolle. Wir kämpfen gegen einen Sportler, nicht gegen einen guten oder schlechten Menschen. Wladimir: Wir brauchen keine Rolle, die wir uns erst suchen müssen, wir machen das so, wie wir uns am besten fühlen. Vitali: Wir spielen unsere eigene Rolle und wir wollen nicht bestimmte Entertainment-Gesetze befolgen müssen und die Aufmerksamkeit mit guten Sprüchen erregen. Es gibt Boxer, die bekommen die Aufmerksamkeit nur mit den Sprüchen.
Was ist der wichtigste Titel im Box-Geschäft: IBF, WBO, WBC oder WBA?
Wladimir: Ich glaube, dass Vitali einen der wichtigsten Titel hat: WBC. Aber ein berühmter Spruch sagt: Nicht der Gürtel macht den Weltmeister, sondern der Boxer macht den Weltmeister, also der Typ, nicht der Verband.
Vitali: Ich bin froh, den Gürtel zu haben, den Lennox Lewis gehabt hat, oder Mike Tyson, oder der Größte: Muhammad Ali. Ich habe in allen Verbänden gleichzeitig begonnen. Durch die vielen Verbände kommt man schneller nach oben. Der interessanteste Kampf ist natürlich Weltmeister gegen Weltmeister.
IBF, WBO und WBA haben US-amerikanische Weltmeister. Nur in der WBC ist es Vitali. Sind die Klitschkos der einzige Gegenpol zum Boxer-Zentrum USA?
Wladimir: Es geht nicht darum, einen Gegenpol aufzubauen. Amerika ist der Mittelpunkt des Boxens. Max Schmeling hat einmal zu uns gesagt: Wenn ihr in diesem Sport etwas beweisen wollt, dann geht das am schwierigsten in den Staaten. So wie er damals gegen Joe Lewis gekämpft hat. Und es treibt uns an, das in den Staaten zu beweisen. Es war nicht immer leicht, aber Vitali hat die Türe aufgemacht.
Die „Klitschko-Brüder“ sind eine Marke. Woher kommt die enge Bruderbeziehung? Gibt es Sie nur im Doppelpack?
Vitali: Das Verhältnis war nicht immer so gut: Als Wladimir damals mein Sparschwein geplündert hat, zum Beispiel nicht. (lacht) Wladimir: (lacht) Das vergisst du mir nie. Ich bin in der Elternwohnung und finde ein verstecktes Sparschwein. Ich habe keine Ahnung, wer da Geld hineingeschmissen hat. Ich habe gedacht: „Wenn ich das ganze Geld wegnehme, habe ich ein schlechtes Gefühl.“ Ich habe es im laufe der Woche langsam geleert. Dann erfahre ich, dass mein älterer Bruder mit Tränen in den Augen und dem Sparschwein in der Hand zu den Eltern kommt und sagt: ,,Wer hat das gemacht?“ Da hab ich mir gedacht, dieses Sparschwein habe ich schon irgendwo gesehen.
Vitali: Die Marke „Klitschkos“ haben wir unseren Eltern zu verdanken. Sie haben zwei Brüder gemacht, die so ähnlich sind. Wir haben gemeinsame Interessen, machen die gleiche Sportart. Und wir spielen unsere Rolle, nicht eine ausgedachte. Wladimir: Wir machen alles, wie es uns gefällt. Das Gleiche haben wir auch ohne Öffentlichkeit gemacht, als Kinder. Wir haben nie über Vermarktung nachgedacht. Wir leben unser Leben.
Gibt es Konkurrenz unter den Brüdern Klitschko?
Wladimir: Ich glaube, Familien sollten immer zwei Kinder haben. Weit einer dem anderen in der Entwicklung hilft. Wenn einer was geschafft hat, möchte der andere es wiederholen. Kinder versuchen ja von klein auf zu kopieren, was ihre Eltern oder eben der Bruder vormachen. Was sie beeindruckt, wollen sie wiederholen. Das ist eine gesunde Konkurrenz, weil man immer hochgepusht wird. Beim Boxen ist das auch so. Ich sage immer, dass Vitali der bessere Boxer ist, weil er unberechenbar ist. Vitali: Wladimir hat bessere Voraussetzungen als ich. Wenn er sie nutzt, wird er unschlagbar. Ich glaube, er ist begabter als ich. Die Frage ist, wie er das Talent nutzen kann.
Stimmt es, dass es nie einen Kampf zwischen Vitali und Wladimir Klitschko geben wird, weil Sie beide das Ihrer Mutter versprechen mussten, um Boxer werden zu dürfen?
Vitali: Das ist eine wahre Geschichte.
Sie sind viel unterwegs. Wo und wie leben die Klitschkos?
Vitali: In Deutschland leben wir in Hamburg. Wir kommen aus der Ukraine, Kiew ist unsere Stadt. In den Staaten ist es Los Angeles. Fürs Training ist es wegen des Klimas perfekt, speziell im Winter. Wladimir: Wir haben überall eine eigene Wohnung. Es ist angenehmer, wenn man nicht im Hotel wohnen muss.
Vitali: In einem Haus muss man leben. Eine Wohnung kann man zu- und in einem Jahr wieder aufsperren. Wir fahren große Autos, weil wir in kleine nicht hineinpassen.
Wohnen in Hamburg, Kiew und L.A., große Autos fahren. Das klingt nach ziemlichem Luxus, oder?
Vitali: Wenn Kinder auf dich warten und du kommst zu einer Frau nach Hause. Das ist Luxus. Den hat Wladimir noch nicht. Luxus ist, wenn man sich wohl fühlt. Überall. Bei der Arbeit, zu Hause, beim Fahren, beim Gehen, beim Schlafen. Meine Freunde, meine Verwandten, das ist Luxus, den eigentlich jeder haben kann, aber nicht jeder hat. Für mich ist Zeit Luxus, weil mir die fehlt mit der Familie. Und mein Bruder ist Luxus.
Klingt sehr bescheiden. Liegt diese Zufriedenheit daran, dass Sie zu viert auf 20 Quadratmetern aufgewachsen sind?
Vitali: Wir haben uns dort wohl gefühlt. Aber es war zu eng. Wladimir: Im laufe der Zeit kann man vieles vergessen. Durch unsere Tätigkeit für die UNESCO haben wir die Möglichkeit, in Länder zu reisen, wo Kinder echte Probleme haben. In Brasilien etwa haben die Menschen nichts. Sie leben weit unter der Armutsgrenze. Das beeindruckt dich so, dass dir die Tränen kommen.
An manchen Stellen Ihres Buches „Unter Brüdern“ zeigt sich ein starker Hang zur Romantik an der Grenze zum Kitsch. Passt das zu zwei Meter großen, 112-Kilogramm-Schwergewichts-Weltmeistern?
Vitali: Das sind Klischees. Hängen die Gefühle der Menschen von ihrer Größe ab? Kleine Menschen also kleine Gefühle,große Menschen große? Oder umgekehrt?
Wladimir: Als das Buch rauskam, ist das NDR-Radio den Klischees nachgegangen und hat ausgedachte Geschichten im Stil des Buches mit russischem Akzent gebracht. Eine Geschichte war: ,,War eine schene Zeit in Heimat, haben wir uns mit Babuschka getroffen, haben Babuschka Geschichten erzählt, dann kam Nachbarsohn vorbei, hat er Vitali angesprochen, hat ihm Wladimir fürchterlich auf die Schnauze gehaut, war eine schene Zeit.“ Ohne Romantik geht im Leben gar nichts.
In den vergangenen Monaten waren Sie vor allem aufgrund Ihres Engagements für eine Demokratisierung der Ukraine und die logische Unterstützung von Juschtschenko zu sehen. Fühlen Sie eine Schuldigkeit gegenüber der Heimat?
Vitali: Das war schon die vierte Präsidentenwahl in der Ukraine seit der Unabhängigkeit. In diesem Fall war es besonders: Es musste sich entscheiden, in welche Richtung es läuft:
Totalitarismus oder Demokratie. Das ist für uns sehr wichtig, denn wir verbinden mit der Ukraine unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Und wir hoffen, dass unsere Kinder in der Ukraine leben werden. Die Ukraine gehört in die Europäische Union. Jetzt ist das möglich, weil Juschtschenko gewonnen hat. Dir tut das Herz weh, wenn deine Heimat zu den korruptesten Ländern der Welt zählt, es keine Pressefreiheit gibt und du nur die schlimmsten Sachen hörst. Und nie, dass es ein wunderbares Land ist, mit wunderbaren Menschen.
Das Land war gespalten. Hatten Sie nie Angst vor einem Attentat oder einer Eskalation der Lage?
Vitali: Es war ein großes Risiko und wir wussten: Wenn das alte Regime gewinnt, kann es zu Repressionen kommen. Für die Opposition, für uns und unsere Familien. Und wenn man sich das Gesicht des jetzigen Präsidenten anschaut, weiß man, dass den anderen jedes Mittel recht war. Aber wir wissen, was Diktatur ist, denn wir haben in der Sowjetunion gelebt. Und wir wissen, was Demokratie ist. Wir wollen Gehirnwäsche und Propaganda nicht mehr erleben. Die Menschen haben Angst. Und ich will nicht, dass meine Eltern, meine Freunde und meine Kinder in Angst leben. Das war der Hauptgrund für unser Erigagement.