AKUT

Archiv 2009 – Gib Stoff mit Strom

Christian Jandrisits

Der Tesla-Roadster mit Elektroantrieb sollte uns zeigen, dass umweltfreundliches Autofahren auch Spaß machen kann. Das ist gelungen. Allerdings werden vor der Stromauto-Flutung unserer Straßen noch einige Fragen zu klären sein.

Text & Fotos: Franz J. Sauer

Die grundsätzliche Botschaft zum Thema Strom-Auto hatte bislang viel mit Strickwesten, Birkenstockschuhen oder Rippunterwäsche gemein: wahnsinnig praktisch, aber null sexy. Ein Fiat Elektro-Panda der Achtzigerjahre etwa ließ sich mit neunzig Sachen Spitze über ebene Fahr-bahnen reiten, und das gerade mal 100 Kilometer weit, von Serienreife keine Red‘. Auch ambitionierte – und millionenteure – Experimente wie der General Motors EV1 glänzten nicht gerade durch übertriebene Alltagstauglichkeit. Erst das Schlagwort Hybrid ließ Strom als (teilweise) Antriebsquelle für herkömmliche PKWs ein wenig in Realitätsnähe rücken. Während hier ein Toyota Prius tatsächlich Pionierarbeit leistete, entpuppte sich die Strom-Attitüde eines Lexus RX 400h ein bisschen als Mogelpackung: Verbräuche jenseits der zehn Liter trotz Strombeigabe haben eher was von Feigenblatt.
Und dann kam Tesla. Man hörte schon länger von dem kalifornischen Wettergeleuchte, von Gouvernor Arnie höchstpersönlich gepusht, finanziert von Leuten wie New Economy-Pionier Elon Musk (der Erfinder des Internet-Bezahldienstes PayPal hatte diesen für rund 1,5 Milliarden Dollar an eBay verkauft und verfügte daher über die nötige Barschaft).

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Das technische Konzept: mehrere tausend Laptop-Akkus werden aneinanderge-schaltet und so zu einem einzigen, großen Akku, der einen Drehstrom-Elektromotor befeuert, der wiederum direkt an der Hinterachse sitzt und diese antreibt. Das alles fesch veranschaulicht in einem verlängerten Lotus-Chassis, die Message lautet: Stromautos dürfen ab sofort gefallen und auch Spaß machen. Die ersten 100 Einheiten des Tesla-Roadsters gingen weg wie die warmen Semmeln, trotz eines g‘schmackigen Einstiegspreises von über 100.000 Dollar. Hauptsächlich risikogewohnte Silicon Valley-Unternehmer konnten sich für das stylische SauberVehikel begeistern. Und auch Filmstar George Clooney unterschrieb nach einer kurzen Testfahrt unverzüglich den Kaufvertrag.


Seit rund einem Jahr erobert Tesla nun auch die europäische Autowelt. Der Mann für die frohe Botschaft heißt Craig Davis, er ist mit einem in Großbritannien registrierten, blauen Tesla seit Monaten auf Europatour und führt die flache, automobile Revolution Entscheidungsträgern, Prominenten, Kaufinteressenten und Journalisten vor. All jenen also, die sich bislang unter dem Begriff E-Fahrzeug wenig bis gar nichts (positives) vorstellen konnten, allerdings für gute Mundpropaganda sorgen könnten. Craig sieht sich tagaus tagein hauptsächlich mit Vorurteilen konfrontiert, die er mit unbiegbarer Freundlichkeit und Enthusiasmus pariert. Der Mann ist US-Amerikaner und lebt seit Jahren in München, werkte vorher bei Mini. Insofern sollten die Skills, die er für seinen Job mitbringt, eindrucksvoll untermauert sein.

Die erste Begegnung verstört erwartungsgemäß. Zwar ist das Ding auf den ersten Blick nichts viel anderes als eine längerere Lotus Elise. Aber dort, wo bei anderen Autos der Tankzutz steckt, klafft ein eiskaltes Steckdosen-Weiberl. Außerdem, most offensichtlichly – fehlt der Auspuff. Und damit eines der wesentlichsten Geschlechtsmerkmale des gemeinen Automobils. Ich meine: Hunde beschnüffeln sich am Anus, die Pheromone des Vater-Schweißes beru-higen Kinder. Und ein 69er-Mustang verströmt sogar im Stillstand Benzinduft. Aber dieses Ding ist geruchslos. Absolut. Wenn es parkt, wenn es fährt, wenn es bremst. Es stinkt erst, wenn Du es abfackelst.

TESLA 2009: Einzig störend dabei: die völlige Stille. Du kennst das nicht, zu rollen ohne einen Mucks …


Craig kennt diese Art von Skepsis, weiß aber, dass eine kurze Probefahrt hier tadellos Abhilfe schafft. Er erklärt den Bordcomputer inklusive Reichweitenanzeige (390 Kilometer bei engagierter Fahrweise), Motormanagement und Fahrprogrammen. Bloß Licht, ESP oder Warnblinkanlage funktionieren wie bei normalen Autos, nebst Blinkern und Scheibenwischern. Sogar der Zündschlüssel steckt dort, wo er bei Verbrennern üblich ist, und er ist auch nicht bloß Makulatur: mit ihm wird gestartet, wie bei normal. Erste Raste, zweite Raste, über den Druckpunkt. Uiuiuiuiui – Dong. Dann Stille. Craig: „Jetzt läuft er.“

In Bewegung setzt sich ein Tesla, indem man ihn von der Bremse lässt, wie ein x-beliebiges Automatikauto. Einzig störend dabei: die völlige Stille. Du kennst das nicht, zu rollen ohne einen Mucks. Dein Sensorium für das Zusammenspiel von Gasfuß, Lenkhand und Motorleistung gerät völlig aus den Fugen. Die vorbeirauschenden Bäume, die am Feld grasenden Pferde, die am Dorfplatz spielenden Kinder: Sie alle gefährdest Du nicht mehr unmittelbar mit deinen Abgasen. Dafür wirst Du zur veritablen Bedrohung für Fußgänger und Radfahrer, weil man dich nicht ankommen hört. Erst mit einem Tesla unterm Hintern merkst Du, wie sehr deine Mitverkehrsteilnehmer mit den Ohren schauen. Und da-nach bemessen, ob sie ein Manöver ankündigen wollen oder auch nicht.


Die Reifen stellen neben Bremsen und Fahrwerk die einzigen mit einem normalen Auto vergleichbaren Verschleißteile dar. Beim Motor aber driften die Welten aus-einander: Das direkt auf der Hinterachse hockende Ungetüm (das in seinem Grundprinzip anno 1880 vom serbischen Wissenschafter Nikola Tesla erfunden wurde, daher der Name) übersetzt seinen Morch per Eingang-Borg-Warnergetriebe auf die Antriebsräder. Du jodelst demnach von Null bis 205 im ersten Gang und hast dabei immer das volle Drehmoment zur Verfügung, was für atemberaubende Beschleunigungswerte sorgt. Außerdem hat der Murl insgesamt bloß 16 bewegliche Teile an Bord, der Ölstand beschränkt sich also auf den einer mittelfetten Pizza. Getauscht ist das Ding notfalls in einer Dreiviertelstunde. Und ein echter Craig macht sich dabei nicht einmal die Hände schmutzig, sagt er.

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Überhaupt genießt Mr. Davis unsere sichtliche Begeisterung und nutzt die Gelegenheit für ein Referat. Der Roadster, so wie er dasteht, ist nah an der Serienreife, wird ungefähr 100.000 Euro kosten, repräsentiert aber den Akku-Technostand von vor zwei Jahren. Soll heißen: die Effizienz steigert sich nunmehr im Minutentakt, man ist schon heute viel weiter als man zugibt. 2011 kommt das „Model S“ auf die Straße. Dies wird eine Limousine im Audi A6-Format sein, die stark nach Maserati Quattroporte aussieht, etwa 50.000 Euro kostet und Platz für fünf Personen mit oder sieben Personen ohne Gepäck bietet. Die dann unter dem Auto angebrachten Batterien werden eine Reichweite von 490 Kilometern bringen, und das schon nach 45 Minuten Ladezeit. Auch in punkto Soundtrack weiß Craig Rat: Es wird MP3s geben, die nach Auto klingen und die man über die Soundanlage einspielen kann. Heute mal Ferrari, Liebes? Oder doch besser Lamborghini?


Dass es zwecks Markteinführung einer neuen Automarke mehr braucht als ein paar schicke Modelle, weiß sogar der coole Craig. Will Tesla ja auch gar nicht, sagt er: „Der Roadster soll zeigen: Stromautos können Freude bereiten, Fahrfreude. Ich kann genießen, emissionsfrei zu fahren.“ Im Klartext: Tesla würde am liebsten bloß Strom-Antriebssätze verkaufen. An Benz, Fiat, Ford oder wer sonst Interesse hat. Die müssten nicht erst ein eigenes Händlernetz aufbauen und Milliarden ins Produkt-Marketing investieren. Außerdem wären es dann jene, die sich mit eventuellen Kinderkrankheiten und den daraus resultierenden Gewährleistungsansprüchen herumzuschlagen hätten.