Motor

Bring your Family: 50 Jahre Volvo 240

Nie zuvor oder danach wurde ein Auto derart raumgreifend vom Nimbus umhüllt, das sicherste seiner Art zu sein. Dass sich der Volvo 240 dennoch zum Klassiker, vor allem in Individualisten-Kreisen entwickelte, hatte weitaus feinstofflichere Gründe, als sie unbeugsame Crashtests hätten liefern können.

Text: Franz J. Sauer / Fotos: Volvo

Die Niederkunft des Volvo 240 im Jahre 1974, also vor genau 50 Jahren, kam weder überraschend noch unerwartet. Eigentlich umriss der neue, große Volvo streng genommen nichts anderes als ein ziemlich opulentes Update der bereits 1966 eingeführten Baureihe 140, mit der sich die Automarke aus Göteborg endgültig von den barocken Formen eines Amazon (P120), eines Buckelvolvo (PV544) oder des zwar wunderschönen, aber im Wesen veralteten P1800 verabschiedet hatte. Und mit der erstmals das Schlagwort Sicherheit ins Zentrum aller Marketingaktivitäten gerückt wurde. Die kastelige Form, die von Facelift zu Facelift massiver werdenden Stoßstangen und die robusten Anti-Rost-Vorkehrungen machten das neue Mantra der Marke äußerlich sichtbar, Verbund-Sicherheitsglas oder Dreipunkt-Sicherheitsgurte hatten Volvos bereits seit Anfang der Sechziger-Jahre serienmäßig an Bord. Aber erst der VESC (Volvo Experimental Safety Car) von 1972 untermauerte die zunächst in der Kommunikation verlautbarte Sicherheit sozusagen mit handfest greifbaren Tatsachen. So wurde mit dem „Rollenden Sicherheitslabor“ durch speziell konstruierte, hintere Motorlager sichergestellt, dass der Motor im Falle einer schweren Frontkollission nicht in die Fahrgastzelle eindringt, sondern unter das Auto wegtaucht. Auch Sollbruchstellen in einer vorgespannten Lenksäule, die sie bei einer Frontalkollision nach vorne hin „wegzogen“, oder Airbags in den Kopfstützen wurden bei Crashtests erprobt. Nicht nur optisch klar erkennbar floßen die Erkenntnisse aus dem VESC-Betrieb in das Upgrade der 140er-Volvos zur Baureihe 240 ein (deutlichstes Erkennungs-Detail: Die riesigen, mit Kunststoff ummantelten Stoßstangen), auch das Marketing wälzte die gewonnenen Erkenntnisse mit Wonne aus. Wären damals Kommunikationspraktiken eingesetzt worden, die heute zum guten Ton gehören: Es wäre jeder Familienvater als unverantwortlich gebrandmarkt worden, so er spätestens ab der Niederkunft des Nachwuchses ein anderes Auto als einen Volvo 240 gefahren wäre.

Werbung und Wirklichkeit
Für das Design zeichnete, ebenso wie schon beim 140er, Jan Wilsgaard verantwortlich, der das Volvo-Outfit bis 1991 verantwortete. Zuvor waren auch der Amazon und der Schneewittchensarg (Volvo 1800ES) aus Wilsgaards Feder gefloßen, umso radikaler erschien daher sein Schwenk hin zur „Kante“, die das Volvo-Design auch über die Baureihen 700 und 900 bis hin zum 850 und dem daraus entstehenden S60/V70 beherrschte. Das Unterordnen ästhetischer Sachzwänge unter das Postulat „Sicherheit“ schlug sich aber nicht nur im sprichwörtlichen Ziegel-Design nieder. Auch ein überdurchschnittlich hohes Gewicht bei gleichzeitig eher drögen Fahrleistungen der überschaubaren wie in die Jahre gekommenen Motorenpalette (gerade mal 156 PS leistete der stärkste 240er in Gestalt des Turbo ab 1982) lenkte den Marketing-Fokus zwangsläufig auf die Robustheit und Unverwüstbarkeit der Modelle. Eine aufwändig errechnete, durchschnittliche Lebensdauer von rund 17 Jahren sowie üppig publizierte Crashtest-Aufnahmen transportierten den Nimbus der Unzerstörbarkeit in alle Welt. Speziell in den USA, wo Langlebigkeit und Insassenschutz Atouts wie Spritzigkeit (Wozu, bei den Tempolimits?) oder geringen Verbrauch (Wozu, bei den Spritpreisen?) easy ausstachen, erlangte der Volvo 240 speziell als Kombi regelrechten Kultstatus. Ganze Künstlerviertel, etwa in Greenwich Village fuhren ausnahmslos Volvos. In nahezu allen US-Blockbustern der Achtzigerjahre spielte ein Volvo-Kombi die verlässliche Nebenrolle als solide Familienkutsche. Und in Europa überlebte der Volvo 240, zuletzt nur mehr als Kombi ausgeliefert, entgegen allen in ihn gesetzten Erwartungen sogar seinen Nachfolger, den Volvo der 7er-Baureihe, um ein ganzes Produktionsjahr. Einfach deshalb, weil die Nachfrage nach ihm nicht und nicht abreißen wollte.

Vorbildwirkung
Natürlich war der Sicherheitsaspekt der 240er-Volvos weit mehr als nur Marketing, tatsächlich setzte der Wagen internationale Standards, was Safety-Features betraf. So machte man etwa in den USA noch tief in den 1980er-Jahren Richtlinien und gesetzliche Vorgaben im PKW-Bereich am Volvo 240 fest. Die Langlebigkeit stellte alleine das Faktum unter Beweis, wie lange selbst frühe Modelle des 200er-Volvo im Alltagsverkehr mitschwammen und Jahr für Jahr die immer strenger werdenden Überprüfungen bestanden. War der Gebrauchtwagen-Markt bis lange nach Produktions-Schluss noch mit übertragenen 240ern gesättigt – und Kilometerleistungen zwischen 200.000 und 400.000 Kilometern gehörten hier unhinterfragt zum guten Ton –, so setzte der Wandel hin zum spärlicher gesäten Klassiker mit gleichzeitigem Preissteigerungs-Potenzial langsam aber sicher ab etwa 2010 ein. Hätte ich etwa meinen hochseltenen 244 GLT von 1980 nicht irgendwann um diese Zeit auf Drängen eines Grazer Vollblut-Volvoisten zum vermeintlich guten Preis weiterverkauft – ich säße heute auf unbezahlbarem Garagengold.

Aber nicht nur in Form von Klassikern auf dem Oldtimer-Markt oder aufgemotzten Rallye-240ern im legendären „Volvo Original Cup“ (der WIENER berichtete) lebt das Erbe der legendären Volvo Serie 240 bis heute weiter. Vor allem die frühzeitige Fokussierung auf Insassen-Sicherheit, lange bevor
EURO-NCAP-Tests nebst Sternderl-Bewertung ein Begriff wurden, zeitigt bis heute merkbare Nachwirkungen. So verwundert es wenig, dass es auch im Elektroauto-Zeitalter für jeden Volvo neue, selbstgesetzte Sicherheits-Standards zu erreichen gilt, die man noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten hätte. Ein gutes Beispiel dafür liefert der brandneue Super-SUV EX90, der dieser Tage seinen Serienstart hat. Freilich kann man anno 2024 nicht mehr mit selbstbrechenden Lenkstangen oder großdimensionierten Stoßfängern brillieren, das mitdenkende und gegebenenfalls auch -lenkende Automobil ist längst erprobte Realität und wie bei allen anderen Safety-Achievements der letzten 50 Jahre ist die Marke Volvo auch bei dieser Entwicklung Vorreiter. Gestützt auf Erfahrung und Erfahrungen leistet man es sich bei Volvo sogar, das Verprechen zu geben, dass in absehbarer Zeit kein Verkehrsunfall mehr tödlich sein muss, solange man in einem Volvo sitzt.

Immer ein paar Schritte voraus
Den möglicherweise überlebenswichtigen Vorsprung in Sicherheitsdingen erkauft man sich damit, bereits Entwicklungen in die Zukunft vorwegzunehmen, um deren Komponenten schon heute zu nutzen, Stichwort autonomes Fahren. Eine umfangreiche Überwachung des Fahrer-Zustandes sowie hochexakte Umfeld-Messungen per Lidar-Sensor (das ist ein hochpräziser Impulslaser, der kleinste Objekte oder Hinternisse in bis zu 100 Metern Entfernung klar erkennt und, anders als beispielsweise eine Kamera, dabei nicht auf Licht angewiesen ist, also in der Nacht ebenso zuverlässig funktioniert wie bei Tag) ermöglichen dem EX90 bereits ab Serienstart (diesen Sommer) Level-3-Autonomie. Durch die Kombination aus Sensoren, eigener Software und Core-Computing-Redundanz soll der EX90 mehr potenzielle Gefahren sowohl im Inneren wie außerhalb des Fahrzeuges erkennen als jedes Auto vor ihm. Oder wie es Joachim de Verdier, Leiter Safe Vehicle Automation bei Volvo, bei einer ersten Ausfahrt mit dem EX90 gegenüber dem Automagazin „Auto, Motor und Sport“ ausdrückte: „Wir glauben, dass der Volvo EX90 der sicherste Volvo ist, der jemals auf die Straße gerollt ist. Wir verschmelzen die äußere Fahrzeugumgebung mit unserem detaillierten Verständnis über die Aufmerksamkeit des Fahrers. Wenn all unsere Sicherheitssysteme, Sensoren, Software und Rechenleistung zusammenkommen, schaffen sie einen präventiven Schutzschild um den Fahrer herum – und dieser wird nicht einmal merken, dass er da ist, bis er ihn braucht.“