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Eine Träne für Falco – Kritik-Remix aus dem Jahr 1985

„Falco 3“ ist nicht so gut wie „Junge Roemer“, sagt Hopp. Wahrscheinlich hat er wieder nicht recht. Dieser Text erschien ersmals im der Ausgabe November 1985 des WIENER. Und erreicht jetzt gerade, 40 Jahre später, wo Falco 3 erneut die Charts toppt, frische Aktualität.

von Michael Hopp (erstmals erschienen im November 1985)

Ich weiß, die Gleichaltrigen. Während ich meine Zeit damit vertrödle, akribisch die Entscheidungsschlacht zwischen Modern Talking und Bad Boy Blue zu verfolgen, haben sie das Miles-Davis-Œuvre längst hinter sich gelassen. Während ich mit roten Wangen grell bedruckte Maxis sammle, stauben sie nur dann und wann ihre ECM-Covers ab, deren unterkühlt-sparsames Design so wunderbar in ihre Wohnzimmer passt. Und als ich aus nichts als lauterer, hehrer, überbordender Begeisterung vor anderthalb Jahren eine Hymne auf Falcos „Junge Roemer“ vom Stapel ließ, hielten sie mich – ich konnte es mir aussuchen – für a., leicht unterbelichtet oder b., korrupt. (Jene, die mich mochten, gaben öffentlich vor, mich für b., zu halten. Sie wollten damit zum Ausdruck bringen, erzählten sie mir später, dass sie an meine Intelligenz glaubten.)

Ich hatte zu leiden wie ein Hund, als die Verschwörung der Miesmacher recht zu behalten schien: Beste Platzierung, die Falco mit der Junge-Roemer-Auskoppelung „Kann es Liebe sein“ erreichte, war, soweit ich mich erinnere, ein bescheidener sechster Platz – und der währte nur eine Woche. Lange Nächte fand ich mich diskutierend mit Franzl und Fritzi, mit Fredl und Ferdi (schützen wir meine wenigen Gleichgesinnten mit diesen Pseudonymen vor öffentlicher Häme): Kein Wunder, die falsche Single sei ausgekoppelt worden, wusste Franzl sofort. Viel ärger, die ganze Promotion fuhrwerke gänzlich konzeptlos herum, diagnostizierte Ferdi. „Die Fernsehinterviews sind immer peinlich“, bereicherte Fredl die Diskussion um einen Nebenaspekt. Darauf Fritzi: „Die Platte is a Wahnsinn, aber er als Person kommt halt nicht rüber.“

Viele dieser Nächte gab es, die mich gebeugten Hauptes nach Hause trotten sahen. Meine Tochter war vom Rauschgiftdezernat aufgegriffen worden und meine Frau drohte, freiwillig ins Haus für geschlagene Frauen zu ziehen („Deine Interesselosigkeit, das is eh dasselbe“) – ich aber, keine Sekunde von Sorgen wie diesen angekränkelt, wusste: Nächste Woche wird es besser. Und wenn er’s hier schon nicht packt, dann drüben, überm großen Teich, wie schon mit „Der Kommissar“. Weder das eine noch das andere trat ein. Und nach Falco selbst war wohl ich einer der größten Verlierer der Junge-Roemer-Affäre. Erstens stand ich als falscher Prophet da (in jugendlichem Überschwang hatte ich der Platte Hitparadensiege en gros prophezeit). Zweitens als ein in ein merkwürdiges Stadium der Postpubertät verfallener, mit der Libido einer zwölfjährigen Hauptschülerin versehener Kindskopf.

„Munich Girls“ ist gut, aber von den Cars. „Jeanny“ klingt wie Morak mal Heller dividiert durch Udo Jürgens.

Grob gesprochen, gibt es zwei Möglichkeiten, Traumata dieser Art zu überwinden: Das exzessive Ausagieren wäre die erste. Sie kennen ihn, den komplexbeladenen Dicken, der Jahre später nicht umhin kann, seine einst so gemeinen Schulkollegen einen nach dem anderen hinzuschlachten. Die zweite: Man lässt sich nach außen nichts anmerken, panzert sich ab und überträgt die Sehnsucht auf ein anderes Objekt (Hitparaden laden dazu ein). Ich entschied mich vorerst für Weg Nummer zwei.

In dieser Stimmung befand ich mich, als „Rock Me Amadeus“ und „Falco 3“ erschienen. Äußerlich bemühte ich mich, mich nicht zu äußern. Aber als sie mich boshaft fragten, sagte ich leise: „Amadeus ist ein Flop. Der Sound ist nur mit außerordentlich nervtötend zu beschreiben. Und sich jetzt noch an die Amadeus-Welle anzuhängen …“

„Rock Me Amadeus“ hielt sich sechs Wochen lang auf Platz 1 der Ö3-Hitparade, vier Wochen lang an der Spitze der deutschen Charts, wurde in Österreich 60.000- und in der BRD 600.000-mal verkauft – das bedeutet Gold in beiden Ländern. Gut, dass ich nur Journalist bin, denn wäre ich Chirurg, wäre das für meine Patienten schlimmer ausgegangen.

Am 24.10.2025 erschien „Falco 3“ neu remastered als LP, CD und (!) MC mit zahlreichen Bonus-Tracks versehen und erklomm flugs die Chartsspitze, auch heuer wieder. Infos: sonymusic.de

Verzweifelte Selbstironie wie diese auf den Lippen legte ich „Falco 3“ auf den Plattenteller. Das Cover ist hässlich. Die Platte ist rot (hält man mich für einen Teenie-Popper, der sich über so etwas freut?). Die Salieri-Version (Anm. d. Red.: genau diese Version wurde 1986 zur Nummer 1 in den USA) von „Rock Me Amadeus“ ist weit aufregender als der auf der LP befindliche „Gold Mix“. „America“ klingt wie Ambros. „Tango The Night“ wollte Falco schon auf „Junge Roemer“ tanzen, es hat dort aber nicht gefehlt. „Munich Girls“ ist gut, aber von den Cars. „Jeanny“ klingt wie Morak mal Heller dividiert durch Udo Jürgens. „Vienna Calling“ ist dünn, „Männer des Westens“ sind die neuen „Helden von heute“. „Nothin‘ Sweeter Than Arabia“ ist ein von mir aus talentiertes Bowie-Plagiat. „Macho-Macho“ ist infantil. „It’s All Over Now, Baby Blue“ ist von Bob Dylan.

Ist es das, was Ihr lesen wollt? Es ist natürlich nur zur Hälfte wahr. „Falco 3“ ist eine ziemlich gute Platte und gerade die Kritikpunkte des vorhergehenden Absatzes könnte man postwendend als Attraktivitätsbelege interpretieren. „Falco 3“ ist nicht so elegant und nicht so intelligent wie „Junge Roemer“, dennoch sympathisch in ihrer unverfrorenen Spekulation und ihrer handwerklichen Raffinesse. Falco entpuppt sich einmal mehr als der im Moment beste Sänger des deutschen Sprachraumes und als wunderbar talentierter Texter. Die neuen Produzenten Bolland & Bolland stehen ihm ganz gut, wenn es auch ewig schade ist, daß er mit Robert Ponger nicht mehr arbeitet.

Nur: ich lege „Falco 3“ so gut wie nie auf. Sie ist insofern ein österreichisches Produkt, als sie einem professionelles oder herablassend-sympathisierendes Interesse abverlangt – anders als „Junge Roemer“, die man just for fun und zum privaten Amüsement immer wieder anhörte.

Oder hat es mit meinem Alter und meinen ECM-Freunden zu tun? Wäre es ein schlechtes Zeichen für den kommerziellen Erfolg von „Falco 3“ wenn ich sie gut fände? Die Platte ist einfach nicht für mich gemacht. Soll ich das einsehen oder ist es bloß wieder eine Attitüde? Warum mische ich mich überhaupt ein? Was ist daran wichtig?

Es gibt Dinge, die soll man nicht zu Ende denken. Es genügt, wenn die Hitparade immer recht hat. Und das hat sie doch?

Michael Hopp, geboren 1955, war in den Heydays des WIENER von 1982 bis 1985 dessen Chefredakteur. Heute lebt er in Hamburg und leitet mit Elisabeth Frenz das Hopp und Frenz Content House (hoppundfrenz.com).