Interview
Eine Runde Riesenrad mit Norbert Kettner
Es steht als weltweit einziges Original am Eingang zum Wiener Prater. In „Der dritte Mann“ von Carol Reed spielte es die Hauptrolle. Und jedes Jahr kommen tausende Touristen nur seinetwegen. Zum 120-Jahre-Jubiläum des Wiener Riesenrads drehten wir mit Wiens oberstem Tourismusmanager Norbert Kettner eine Runde.
Interview: Manfred Rebhandl / Fotos: Sandra Keplinger
Herr Kettner, als Wiens Tourismusmanager, der aus Tirol kommt: Haben Sie eine erste konkrete Erinnerung an Wien?
Als Kinder fuhren wir oft mit den Eltern im blau-weiß-beigen Transalpin von Innsbruck nach Wien. Im Süden Niederösterreichs hatten wir Verwandte, die haben wir hin und wieder besucht.
War das der „Blaue Blitz?
Nein, der „Blaue Blitz“ fuhr meiner Erinnerung nach Regionalstrecken und war noch mit Diesel betrieben.
Gab’s dabei eine Reiselektüre, die Sie im Zug auf die Ferne vorbereitete?
Hm, lustigerweise las ich total gerne die Donausagen. Mit dem Taxi fuhren wir dann durch die Stadt zum Südbahnhof, denn die Stadt war irgendwie feindliches Territorium für uns, ein gewisser Respekt war vorhanden.
Der Südbahnhof war sehr schön damals.
Ich mochte aber den Westbahnhof lieber! Das Ankommen in dieser großen Halle, und gegenüber am Gürtel sah man durch die Fenster diese Kirche.
Später gab’s dann die Wienwoche mit erster Sichtung des Riesenrads?
Richtig. Ich war Hauptschüler und in der 2. Klasse, glaube ich, fuhren wir nach Wien und natürlich auch in den Prater. Das Riesenrad war beeindruckend, sehr groß, und der Prater insgesamt aufregend, auch wenn damals alles noch recht grau war.
Da brachte der Operettenbesuch in der Volksoper sicherlich Farbe hinein …
Jetzt, wo Sie es sagen … Aber ich war gar nicht dort, denn ich habe freibekommen. Wir hatten nämlich auch Verwandte in Favoriten, und die durfte ich besuchen.
Haben Sie auf dem Weg nach Wien auch mal beim Minimundus Halt gemacht? Wuchs dort der Wunsch, Tourismusmanager zu werden, als Sie das Mini-Riesenrad sahen?
Nein, bis heute war ich nicht im Minimundus, obwohl das, soweit ich mich erinnere, in meiner Kindheit ebenso Pflicht war wie ein Besuch der Insel Mainau. Und nein, das kam bei mir sehr profan und sehr viel später. Ich studierte ja zunächst Jus, machte aber nicht fertig.
Andere Städte haben andere Denkmäler, größere, mächtigere. Warum ist das Riesenrad immer noch super?
Es ist ein wahres Monument vom Ende des vorvorigen Jahrhunderts. Es ist das einzige Original, das es auf der Welt noch gibt. Es ist eine mächtige Eisenkonstruktion wie der Eiffelturm in Paris, vor dem ich immer noch ehrfürchtig stehe, und dieselbe Ehrfurcht empfinde ich auch beim Anblick des Riesenrads. 120 Jahre sind eine stolze Zeit, und wenn wir gut darauf aufpassen, wird es hoffentlich noch lange so stehen. Es ist jedenfalls ein schönes Jubiläum, und das Rad ist nach wie vor Touristenmagnet.
In wie vielen Sprachen können Sie „Riesenrad“ sagen?
In Englisch und Französisch, Giant Ferris Wheel und Grande Roue.
Nicht mehr?
Ist gar nicht notwendig. Wir haben ein großartiges Team, das die verschiedenen regionalen Märkte bespielt. Und mit Englisch kommt man bekanntermaßen überall durch, außer in den romanischen Ländern, die noch ihre lokalen Sprachen bevorzugen …
Was war das schönste Kompliment, das Sie jemals über Wien gehört haben?
Wien sei mondäner als Paris.
Welche Schelte schmerzt am meisten?
Dass Wien rückwärtsgewandt sei.
Warum muss sich ein Tourismusdirektor in Zeitungsinterviews immer „erfreut zeigen“?
(lacht) Tue ich das? Nun gut, solange die Zahlen so nach oben gehen, aktuell plus 4 Prozent, da zeige ich mich gerne erfreut.
Trotz Hitzewellen ohne Ende ein Plus? Thema Touristenkleidung im Sommer …
Da darf man nicht diktatorisch sein. Mittlerweile lasse ich auch eine gut geschnittene kurze Herrenhose durchgehen. Was ich aber ablehne, das ist diese Oberkörpernacktheit. Man soll sich halt „stadtfein“ machen.
Ihr Lieblingshotel in Wien?
Darf ich nicht sagen.
Ihr Lieblingshotel weltweit?
Wahrscheinlich das Conrad in Tokio, es vereint japanische Perfektion mit westlichem Lifestyle.
Ist Tokio überhaupt Ihre Lieblingsstadt, Asien Ihre liebste Urlaubsregion?
Unter vielen anderen Tokio, ja. Und Asien ist tatsächlich meine liebste Urlaubsregion, obwohl Asien auch Inbegriff der Hektik ist und sehr stressig sein kann.
Gibt’s Hotels, in denen man die Geschichte „spürt“?
Natürlich, das Chelsea Hotel, das schaut man sich halt an, oder das Savoy in London, das Imperial in Wien.
Schon mal einen Bademantel mitgenommen?
Nein, ich trage keine Bademäntel, auch keine Badeschlapfen. Aber Seife nehme ich mit.
Die Russen, die nach Wien kommen, sind alle Verbrecher?
Nein, das sind sie nicht.
Gibt es mittlerweile zu viele Chinesen als Touristen?
Es gibt halt insgesamt sehr viele Chinesen. Mittlerweile aber auch sehr viele Individualreisende, sehr kultivierte, sehr informierte Menschen, die alle ihre Tourismustaxe zahlen. Also sind wir für jeden Chinesen dankbar.
Richtig, dass die Japaner immer noch am meisten fotografieren?
Falsch. Die Chinesen führen ja praktisch ein zweites, paralleles Leben im Internet. Wenn sie nicht alles übertragen, was sie gerade machen, dann sind sie gesellschaftlich zu Hause unten durch.
Essen Sie das Wiener Schnitzel mit oder ohne Marmelade?
Mit. Wobei am liebsten mit „Garnitur“, aber die macht heute keiner mehr. Das sind Sardellen mit Zwiebeln dazu.
Wie viele Rollkoffer haben sie?
Drei. Einen großen, einen mittleren und einen kleinen.
Farbe?
Schwarz.
Schon mal vertauscht worden?
Gott sei Dank nicht! Dabei bin ich ein Drittel des Jahres unterwegs, und das seit zehn Jahren. Ich liebe einfach den Geruch von Kerosin. Meistens aber fliege ich nach zwei Tagen wieder zurück, auch von Sydney oder Tokio.
Das schaffen Sie noch ohne Stützstrümpfe?
Ja, noch geht es.
Was kommt als Erstes in den Koffer?
Die Schuhe. Zwei Paar, schwarz und bordeaux, jeder Schuh in einem eigenen Sackerl.
Schuhbürste kommt mit?
Nein, aber alte Strümpfe der Mutter, die eignen sich am besten zum Polieren. Der amerikanische Zoll wird sich was denken, wenn der Koffer durchsucht wird.
Wo gibt es die besten Tourismusmessen?
Die Travelweek in São Paulo ist sehr gut. Aber die irrste ist vielleicht die Virtuoso Travel Week samt „Speed Dating“ in Las Vegas. Eine Messe für Luxusreiseveranstalter mit rund 6.000 Anbietern. Da hat man genau sechs Minuten Zeit, einem Interessenten sein Produkt schmackhaft zu machen, dann heißt es: „Okay, ich kaufe 4.000 Room-Nights“ oder eben nix. Pro Tag hat man vielleicht 70 Kontakte, das ist anstrengend. Es ist erholsam, wenn sich mal zwei gegenübersitzen, die kein Interesse aneinander haben und über irgendwas reden.
Über das schöne Wiener Riesenrad zum Beispiel.
Ja, genau.
Norbert Kettner
Jahrgang 1967, aufgewachsen in Tirol, ist seit 1. September 2007 Geschäftsführer des WienTourismus. Zuvor war er (ab September 2003) Gründungsgeschäftsführer der departure wirtschaft, kunst und kultur GmbH, Österreichs erster Wirtschaftsförderinstitution für die Creative Industries. Kettner ist seit 2010 Mitglied des Stiftungsrats von Österreichs öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalt ORF, 2015 leitete Kettner das städtische Organisationskomitee für den Eurovision Song Contest in Wien.
120 Jahre Riesenrad
Wahrzeichen Wiens: Das Riesenrad im Wiener Prater wurde 1897 zur Feier des 50. Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. errichtet und ist somit das älteste Riesenrad der Welt, weshalb es auch als das „Original“ bezeichnet wird. Konstruiert wurde es von zwei englischen Ingenieuren namens Walter Basset und Cecil Booth. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde es durch einen Brand zerstört, am 1. Mai 1947 drehte es bereits wieder seine Runden. Das „senkrechte Karussell“ dient immer wieder als Filmkulisse, weltweit berühmt wurde es durch den Klassiker „Der dritte Mann“. wienerriesenrad.com