Essen

Streetfood heißt auf Wienerisch Würstelstand

Wenn man rund um den Erdball von Streetfood spricht und damit die schnelle und hippe Nahversorgung mit Zwischenmahlzeiten, die man idealerweise ohne Werkzeug verzehren kann, meint, dann wird man in Wien schnell auf Unverständnis stoßen. Der Wiener kennt nur Würstelstände. Vielleicht noch Kebab-Buden und Pizza-Ecken. Aber das sind eher die regelbestätigenden Ausnahmen. Hier ein Best-of.

Text: Franz J. Sauer / Fotos: Peter M. Mayr

Nun hat man als eifriger Teilnehmer am Wiener Nachtleben auch schon einige Jahre Erfahrung am Buckel. Und kennt daher notgedrungen jene Orte in Wien, wo man auch zu unchristlicher Stunde noch passabel schmausen kann. Wiewohl das Angebot an Imbissständen durchaus groß ist – gewusst wo ist leider auch in Wien, der Stadt des feisten Essens, wichtig, will man nicht mit Magenverstimmung in der Notaufnahme landen. Einst die beste Adresse hierfür war der Würstelstand am Beginn des Naschmarkts, direkt vor der Nordsee. Nicht nur die zentrale Lage, auch die Qualität der Würste war sehr gut. Unvergesslich bleibt mir jener Heimweg vom „Club Student“ im Volksgarten mit schwerstem Hunger im Bauch knapp vor vier Uhr früh (und vor gut 25 Jahren). Einige Rekorde brechend pflügte ich die Zweier-Linie hinunter und schliff mich zwei Minuten nach vier vor nämlichem Stand ein. Das Fenster war schon bis auf einen kleinen Spalt geschlossen, eine Verkäuferin war aber noch da. Ich klopfte wie wild und rief durch die Öffnung: „Haben Sie noch offen?“ Ohne eine Miene zu verziehen, mit der unbeugsamen Coolness der Nachtarbeiterin antwortete die Gefragte: „Nein, ich wohne hier. Ich tu nur lüften.“

Der scharfe Rene Kachlir hat nicht nur einen prominenten Standplatz (Schwarzenbergplatz), er ist auch mit der Prominenz auf Du und Du.
Wer des Nächtens einen gepflegten Plausch sucht, macht am Heimweg bei ihm Station. Foto: (c) Peter M. Mayr

Jenen Würstelstand gibt es aber wie gesagt nicht mehr, also sind Alternativen gefragt. Und eine ziemliche Prominenz als gern genommener ­Zufluchtsort für nächtliches ­Schmähführen hat nunmehr der Stand Zum scharfen Rene am Schwarzenbergplatz. Rene Kachlir, seit bald zehn Jahren im Geschäft, pflegt mit Freuden den gesellschaftlich angeregten Austausch mit seinen Gästen. Kennt viele von ­ihnen beim Namen und erfreut sich vor allem daran, dass auch zahlreiche Nachtschwärmerinnen zur ­Kater­prävention seinen Stand wählen, weil sie sich hier sicher vor unangenehmer Belästigung fühlen. Rene ist bezüglich Eigenvermarktung ein ­Naturtalent, hat sich auch schon im WIENER als bester Würstelstand ­punkto Schärfe hervorgetan, legt aber neben aller Gaudee auch viel Wert auf Topqualität der ­angebotenen Ware.

Rene Kachlir und Franz J. Sauer. Foto: (c) Peter M. Mayr

Foto: (c) Peter M. Mayr

So garen seine Frankfurter in feinster Rindsuppe vor sich hin und werden die Öl-Pfefferoni direkt aus der Steiermark angeliefert. Bald plant Rene eine Art Reality-TV-Würstelstand-Format, die entsprechenden Gerätschaften sind schon verbaut. Wann Sendestart ist, steht noch in den Sternen, wird aber sicherlich auch hier kundgetan. Wie immer nährt der Wiener seinen seltsamen Stolz auf seltsame Insti­tu­tionen seiner Stadt durch Historie. Weil während anderswo auf der Welt modische Ständchen mit allerlei ­einheimischem Verzehrgut erst in den letzten 40 Jahren aufpoppten und ­sogenannte Streetfood-Festivals überhaupt erst eine Modeerscheinung des letzten Jahrzehnts sind, gibt es den Wiener Würstelstand bereits seit 100 Jahren, sogar einen, den es heute noch gibt: den Leo vorm Blaustern (mehr zu dessen Geschichte hier weiter unten). Nach wie vor ist der Leo eine Top-­Adresse, wenn es um die Wurst geht. Einfallsreiche Menüs bieten sich dem Kunden, so werden Burger ebenso ­gereicht wie vegetarische Sandwiches, an der„Big Mama“, der fettesten Käsekrainer der Stadt, sind schon einige Hungrige gescheitert. Auch die Getränkeauswahl ist formidabel, das ­Personal freundlich wie eh und je.

Den Leo gibt es seit 100 Jahren. Foto: (c) Peter M. Mayr

Ein Klassiker des Wiener Nachtwürstel-Betriebs ist freilich der Bitzinger hinter der Oper. Auch dies ist seit Jahrzehnten ein Fixbetrieb des Wiener Nacht-Imbissgeschehens, Aufmachung und Ausbau des nämlichen Kiosks könnte man aber getrost als etwas übertrieben bezeichnen. Andererseits – wurscht, solange die Wurst passt. Und die ist nach wie vor großartig, ebenso wie die Qualität der Beilagen, was punkto Brot-Frische vor allem am großen Durchsatz liegen könnte. Empfehlung: Bestellen Sie bisweilen einen Pfefferoni oder ein Ei dazu, auch der Zwiebelsenf macht einiges her, vorausgesetzt, Sie haben das Date des Abends bereits hinter sich gebracht. Einzig störend gelegentlich: die Publikumsdichte. Zuweilen reicht die Schlange bis über den Taxistand, was durchaus Wartezeiten bedeuten kann.

Der Würstelstand hinter der Oper existiert seit den 1960ern. Allerdings hat ihn erst der Bitzinger zum Nobelrestaurant gemacht. Die Schlange vorm Fenster spricht
für Qualität. Foto: (c) Peter M. Mayr

Foto: (c) Peter M. Mayr

Foto: (c) Peter M. Mayr

Alles Wurst? Auch in der Nacht gibt es freilich Alternativen zu Burenwurst und Co. Etwa Pizza Bizi in der Rotenturm­straße/Ecke Wollzeile. Bereits 1979 führte man dort die streetfood- freundliche Variante der Pizza-Ecke ein, lange bevor dies anderswo geschah. Der Gassenverkauf ist zwar nun schon einige Jahre lang geschlossen, die Ecken schmecken aber noch immer gut, erstaunlich gut sogar, gemessen an anderen Kiosk-Pizzas. Einzig ­nachwürzen ist zu empfehlen, aber die große Tabasco-Flasche steht ­sowieso immer bereit.

Pizza Bizi auf der Rotenturmstraße im Ersten bietet des Nachts bereits seit Jahrzehnten eine souveräne italienische Verpflegung an. Foto: (c) Peter M. Mayr

Foto: (c) Peter M. Mayr

Und dann gibt es auch noch eine Kebab-Alternative im Nachtbetrieb, die ­empfohlen werden kann (im Gegensatz zu vielen anderen nächtlichen Pressfleisch-Schnitzlern, die zwar offen ­haben, von deren Ware aber dringlichst abzuraten ist … ehrlich!). Die Rede ist vom Kebab-Haus in der Operngasse, Ecke Faulmanngasse, schräg gegenüber vom legendären Roxy. Allerdings leidet das Brot-Laberl in letzter Zeit, das Ausweichen auf Dürüm ist daher anzuraten. Fleisch- und Zutatenqualität sind aber ebenso fein wie die nette Auswahl an Getränken und die Sitz­gelegenheit im Gastzimmer.

Das Kebab-Haus im Vierten ist zur Nacht eine Empfehlung. Foto: (c) Peter M. Mayr

Frühstück. Ein Höchstmaß an Glückseligkeit zur Tageszeit beschert uns ein Kebab-Stand am Hannovermarkt in Wien 20. Dort gibt es die besten Schnittfleisch- Sandwiches der Stadt, um einen vornehmen Namen für die Begrifflichkeit „Kebab“ aus dem Hut zu zaubern. Ziemlich in der Mitte des Marktes gelegen fällt der Laden vor allem dadurch auf, dass sich in der Schlange vor dem Ausgabefenster viele gebürtige Türken befinden – die wissen klarerweise, wo es gut ist. Das Personal ist ultrafreundlich, die Preise sind wie aus dem vorigen Jahrhundert (unter 5 Euro für Semmel und Getränk), die Umgebung ist urig wie nur, Größe und Geschmack der Portion in Wien ­unübertroffen.

Den besten Kebab Wiens findet man am Hannovermarkt. Foto: (c) Peter M. Mayr

Franz J. Sauer suchte den besten Kebab Wiens und landete dabei am Hannovermarkt. Foto: (c) Peter M. Mayr

Quasi die Antithese zum Fleischer-Flair des Hannovermarkt-Kebabs ist das nobel-stylische Imbisslokal der Brötchenmanufaktur Trzesniewski in der Innenstadt. Seit etwa 1905 werden am Standort Brötchen vertrieben. Lange bevor „Take away“ oder „Food to Go“ geflügelte Begriffe wurden, machte sich Franciszek Trzesniewski Gedanken darüber, wie man ein Brot mit Belag „unfallfrei“ verspeisen könnte: Indem man den Belag zerhäckselt. Die spezielle Art der Herstellung blieb stets geheim, Klassiker wie „Gurke mit Ei“, „Matjes mit Zwiebel“ oder „Geflügelleber“ gibt’s seit ewig. Und auch der Naschmarkt hat Streetfood zu bieten, hier jetzt aber ein Ranking zu etablieren, würde den Rahmen sprengen. Also wenden wir uns einer wohlbekannten Eigenheit zu, die man ebenfalls durchaus als Spezifikum Wiens bezeichnen kann: der wohlfeilen Salzgurke bei jenem Eckstand, wo früher der Gurken-Leo residierte. Es zieht einem echt alles zusammen nach dem ersten Biss. Und erst recht nach dem zweiten und dritten.

Das Buffet Trzesniewski in Wien 1 ist immer für eine Zeitreise gut. Foto: (c) Peter M. Mayr

Eh wurscht …

Würstelstand Leo, Döblinger Gürtel 2, 1190 Wien
Mo-Sa von 10h bis 4h, So von 12h bis 2h

Kebab und Dürüm, Hannovermarkt, 1200 Wien
Mo-Sa von 6h bis 18h30, So geschlossen

Buffet Trzesniewski, Dorotheergasse 1, 1010 Wien
Mo-Fr von 8h30 bis 19h30, Sa von 9h bis 18h,
So und Feiertag 10h bis 17h

Salzgurken Gegenbauer, Naschmarktstand 111-112, 1040 Wien
Mo-Fr von 6h bis 19h30, Sa von 6h bis 18h,
So geschlossen

Würstelstand Bitzinger bei der Albertina
Ecke Albertinaplatz/Hanuschgasse, 1010 Wien
Tägl. von 8h bis 4h früh

 

Wurstgeschichte

Die Bewilligung zum Betrieb eines fahrbaren Verkaufsstandes oder einer beweglichen Garküche zwecks Verkauf kleiner Imbisse und Fleischgerichte wurde ab 1918 an Kriegsinvalide vergeben, um diesen ein Einkommen zu ­sichern. Bis in die 1960er-Jahre hatten Würstelstände fahrbar zu sein und nach Betriebsschluss auch weggeräumt zu werden. Der älteste bekannte Würstelstand Wiens hat heute noch Bestand und wird von der Enkelin des Gründers am Standort Döblinger Gürtel vorm Café Blaustern betrieben. Jener Opa also, ein gewisser Leopold Mlynar, erhielt 1918 nach Abschluss der Kellnerlehre die sogenannte Nachtlizenz und eröffnete seinen Stand vor der heutigen ­Apotheke Auge Gottes. Jeweils nach Dienstschluss um 4 Uhr früh verfrachtete er den ­Karren in den Innenhof des Hauses Nussdorfer Straße 55. Ab 1928 betrieb er den ersten festen Stand vis-à-vis des heutigen Standortes, der seit 1987 besteht. Legendär wurde beim Leo auch der langjährige Nachtverkäufer Fritz Wilfing, der an sechs Tagen der Woche (außer Montag) von 20h bis 4h früh den Stand betrieb und legendäre Storys über allerlei prominente Besucher zu erzählen wusste. So stoppte etwa Bundeskanzler Bruno Kreisky am Weg heim in die Armbrustergasse gern beim Leo, bezahlte regelmäßig 100 Schilling für eine Burenwurst und schrieb Salbungsvolles ins Stammbuch: „Besser als vor Stunden beim Festbankett schmeckt mir jetzt die Heiße am Würstelstand.“