AKUT

Das letzte Wort

Manfred Sax

Ableben. Du bekommst keine zweite Chance, um einen letzten Eindruck zu machen. Aber es braucht Genialität bis zum letzten Atemzug, um letzte Worte zu finden, die nicht umzubringen sind.

Text: Manfred Sax

Zeit für eine Rückblende. Etwa auf den Abgang von Steve Jobs, der vor sieben Jahren verstarb. Bekanntlich war sein letztes Wort „wow“, finale Sequenz einer Wortgruppe, die von seiner – am Totenbett anwesenden – Schwester, der Autorin Mona Simpson verewigt wurde: „Steve’s final words were: OH WOW. OH WOW. OH WOW.“

Ein tadelloser Abgang und Anlass für viele Autoren, die Qualität des Mannes zu würdigen, selbst den letzten Momenten im Diesseits noch offenbar erstaunliche Erkenntnisse abzugewinnen. Aber das wirklich Imposante war sein Management der letzten Minuten. Es war Meisterklasse in Momentanität. Der letzte Atemzug kann ein Hund sein, in  Arthur Penns „Little Big Man“ beschloss Häuptling Dan George, dass  „heute ein guter Tag zum Sterben (ist)“, hockte sich zum Zwecke Stunden lang auf den Berg – und verschob die Sache, als es zu regnen begann.

Für die letzten Worte brauchst du wahrscheinlich Glück. Das Glück einer sinnlichen Wachheit, die nicht von der Widerlichkeit etwa eines Herzanfalls überwältigt wird, wie beim unvergesslichen Wiener Poeten, der zwar auch staunte, nur halt anders („Warum ist mir auf einmal so schlecht?“).

Auch brauchst du das Glück, etwaige Schmerzen durchdrücken zu können, um nicht wie Sigmund Freud in der Pein des Krebses anzumerken, dass es „nichts als Folter (ist) und keinen Sinn mehr (macht)“ und zu verenden. Oder das Glück eines Andreas Hofer, die erste Runde des Erschossenwerdens zu überleben und überliefertermaßen schlagfertig genug für ein paar Worte zu sein, die nicht umzubringen sind („Gott, wie schießt Ihr schlecht“).

”I suddenly feel so sick …“

Zweitens brauchst du Verbündete. Zeugen am Totenbett sind oft zu entnervt und konfus, um die letzten Momente richtig zu erinnern bzw redaktionell für die Nachwelt zu verfeinern. Jobs´ Schwester war eine feine Verbündete. Ich hatte einmal ein Gespräch mit einer Zeugin, die kein Sterbender braucht. Sie hieß Monika Dannemann und war in den letzten Minuten von Jimi Hendrix an dessen Seite, allerdings so vom Hocker, dass sie nach seiner Ansage („I suddenly feel so sick“) Eric Burdon anrief – der ihr riet, dem Gitarrengott ein paar Ohrfeigen zu verpassen, um ihn wieder flott zu kriegen. Zu weiteren Worten („What the fuck, Monika!?“) ist Hendrix denn auch nicht gekommen.

Du brauchst Verbündete, sie müssen nicht schlagfertig sein, nur wachsam dokumentieren. Als der amerikanischen Dichterin Gertrude Stein die letzten Minuten schlugen, fragte sie ihre Zeugen: „Was ist die Antwort?“ – Als keine Antwort kam, schaffte sie noch den Anflug eines Lachens und meinte: „Wenn es so ist: Was ist die Frage?“ Eine Sekunde später, berichteten ihre Verbündeten, war sie tot. Perfekt.

„Die Tapete oder ich: einer von uns beiden muss verschwinden!“

Es heißt, dass auch hart gesottene Atheisten in Todesnähe mit Gedanken an Gott und der Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod liebäugeln. Laut Walter Isaacson, Verfasser der Jobs-Biografie, sei dies beim Apple-Boss der Fall gewesen und natürlich ist es opportun, dessen finales „Oh wow!“ in diesem Licht zu sehen. Wahrscheinlicher, dass er das für seine – anwesenden – Kinder inszenierte. Respektabler sowieso. Und nicht halb riskant. Wie lange kann ein Kind dem Vater beim Sterben zusehen und Fassung bewahren?

Tatsache ist, dass auch hochkarätiges Kaliber nicht vor metaphysischen Fantasien schützt. Als Thomas Edison aus einem Koma erwachte, sagte er „Es ist sehr schön dort drüben“. Von Beethoven ist der letzte Satz „Im Himmel werde ich wieder hören können“ überliefert. Und bekanntlich hatte Jesus das (möglicher Weise zweifelhafte) Glück, vier Spindoktoren bei der Hand zu haben, die seinen letzten Satz „Eli, Eli, lama sabachthani?“ in Richtung „mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ gerade bogen. Andere Zeugen hatten einander nur „mal sehen, ob Elias tatsächlich kommt“ zugeraunt. Ein Disaster fürs Christentum, hätte nur letztere Version überlebt.

Was Gott und Religiösität anbelangt, blieb der Geist Voltaires bis zum Ende hellwach. Als der Priester an seinem Totenbett von ihm als letzten Akt verlangte, den Teufel zu verdammen, erwiderte Voltaire: „Dies ist nicht die Zeit, um neue Feinde zu machen.“ Genialität bis zum letzten Atemzug, ein Geist, der auch Oscar Wilde zierte. Der irische Poet war cool genug, als letzten Akt mit der Hässlichkeit der Tapete in seinem Totenzimmer zu hadern: „Die Tapete oder ich – einer von uns beiden muss verschwinden!“ – Das ist Größe.

Ich dachte lange Zeit, Luis Trenkers letzte Worte („I hob nix auslossn“) stellen eine perfekte Ansage für den finalen Abgang dar. Nur relativiert sich das, wenn du aus einer Generation bist, die prinzipiell nichts ausgelassen hat, ohne am Ende mit irgendwas angeben zu können. Bleiben die letzten Worte, nenne es einen Strohhalm, nenne es den Salon der letzten Chance. Und das ist der Punkt: Du bekommst keine zweite Chance, um einen letzten Eindruck zu machen.