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Archiv 1991: Clubbing – Der neue Boom

Jakob Stantejsky

Wien ist anders. Vor der Volksgarten-Disco stehen am Samstag Menschenschlangen, im Ensemble Theater werden Promis von der tanzenden Menge auf Schultern getragen. Die Clubbing-Szene boomt wieder. Der WIENER verrät die besten Treffs.

Text: Hans Stephan Grasser.

Vor drei Jahren ging’s los: Jeder Wiener zwischen 18 und 30 war nächtens schweißgebadet. Denn Wien lag im Clubbing-Fieber. Kein Abend verging, an dem Szeno-Typen und Schickis nicht an ausgefallenen Orten zu heißen Rhythmen tanzten. David Lauber war Woche für Woche dabei, als „Hack beef“. Seine Veranstaltungen wurden von den diversen Veranstaltern angekündigt. Er war für den Auf- und Abbau zuständig. Von einem auf den anderen Abend änderte es sich. Der Disco-Abend im Lusthaus im Wiener Prater wurde von der Baupolizei verboten, andere Clubs mussten wegen des schlechten Geschäfts schließen. David schwamm gegen den Strom. Seit einem Jahr lädt er jetzt zum Freitag-Clubbing im Ensemble Theater am Wiener Petersplatz ein. Jetzt sind die Feste, die meist ein- bis zweimal wöchentlich stattfinden, wieder en vogue. Findige Veranstalter bringen schnell Kohle ein, und Szene-Typen haben wieder ein Anlaufrevier. David und sein Kompagnon Oliver fühlen sich daher bestätigt: „Wir wollen Leute unterhalten, Geld verdienen und bloß nicht in einem Büro sitzen.“

Stress bleibt den beiden trotzdem nicht erspart. Bevor Models und Freiberufler im Theater zu Dancefloor-Klängen wippen können, muss der Saal binnen einer Stunde umgebaut werden. Ein Team von acht Leuten räumt flink 180 Sessel weg, verlegt einen brandfesten Tanzboden, baut die Musik- und Lichtanlage auf und installiert eine Sektbar. Getanzt wird vor und zwischen der jeweiligen Bühnendekoration. Je nachdem, welches Stück gerade gespielt wird, schmücken 50 Fernsehmonitore oder kühle Mexiglesaufgaben den Raum. Die Nachtschwärmer kommen im ungewöhnlichen Ambiente schnell in gute Stimmung: „Nach dem Devis-Cop-Ficale wurde Thomas Muster von unseren Gästen auf den Schultern getragen, alle sangen ‚We are the Champions™‘,“ sagt David. Damit es so bleibt, scheut das Duo David & Oliver keine Kosten. Unlängst wurde sogar die Popsängerin Jocely Brown aus den USA eingeflogen. Sie sang erstmals live in Österreich ihren Hit „Somebody else’s Guy“.

Unangefochten Nummer eins der Clubbing-Szene bleibt dennoch die „Soulseduction“, die jeweils am Montag in der Volksgarten-Disco stattfindet. Der Initiator, Alexander Hirschenhauser, hilft mittlerweile schon einem neuen „Club“ auf die Sprünge, weil der Andrang von Discjockey-Teams, die unbedingt auftreten wollen, schon zu groß ist. Das neue Projekt steigt gleichfalls im Volksgarten, wo Peter Alexander und Udo Jürgens in den Sechzigern auftraten. Die Schnulzen haben immer noch Saison. Während Twens im linken Flügel des Gebäudes von Hip-Hop angeheizt werden, herrscht im rechten Teil der Evergreen-Takt. Für die Veranstaltungen wurden die Redakteure der deutschen Musikzeitschrift Spex als Discjockeys geladen. Sie setzten Twens unter Strom. Ein anderes Mal zeigte das Ö3-Nachtexpress-Team, Angelika Lang, Werner Geier und Walter Gröbchen, was guter Disco-Sound alles zu locker vermag. Die Menschenschlangen vor der Tür standen sich die Beine in den Bauch. Denn Türsteher achten wie Wachhunde darauf, dass niemand hereinkommt, der nicht dazugehört. Hirschenhauser geht es nicht darum, „nur dem schicken Aufguss“ Einlass zu gewähren, sondern Menschen gleicher Identität um sich zu versammeln: „Erst dann kann ein Club ein Ort der Verbrüderung und Tanz eine Form der Ekstase sein.“ Beim Fest im Ensemble Theater will man kein „G’sindel“ und keine zu Jungen reinlassen. Zu diesem Zweck wurden Absperrungen errichtet.

„Bei uns kommt jeder herein, der freundlich aussieht“, sagt Ingrid Hetzl, Gründerin des Clubs House Nation. Die Ideologie von House sei ja schließlich Liebe, Frieden und Einigkeit. Und da seien Klassen- und Altersunterschiede unangebracht. Die Wurzeln der „Housemusic“, die eine Mischung aus Latino, Soul und Gospel ist, reichen von Chicago bis London. Das Besondere an dem Sound ist, dass er 130 Beats (Anschläge) pro Minute hat und daher besonders aufputscht. Zusätzlich werden mit vier Projektoren Videos auf die Wände, die Decke, den Boden und auf die Tanzenden gestrahlt. Disco total! Von dem Spektakel angezogen werden hauptsächlich Künstler aus der Underground-Szene (sicherlich auch wegen der niedrigen Preise: Z.B. ein Bier 26 Schilling) und die Fangemeinde des Discjockeys Sirius.

Ein Vergnügen ganz anderer Art bietet das im U4 stattfindende Heaven. Dort gibt sich die Wiener Schwulenszene ein Stelldichein. Jeden ersten Donnerstag im Monat heißt es „Show Time“. Travestie-Stars und gutgebaute Jungs mit knappen Tangas treten auf. Im Februar wollen die Veranstalter sogar einen Opernball für Homosexuelle veranstalten. Während sich im Tanzbereich auch Frauen tummeln dürfen, ist ein Teil des Lokals ausschließlich für Männer reserviert. Was in den Nischen vor sich geht, verschluckt die Dunkelheit.

Wer hätte das vor einem halben Jahr für möglich gehalten: Der wahre Clubbing-Freak ist wieder fünfmal in der Woche voll im Einsatz. „Die Nachfrage nach weiteren Veranstaltungen dieser Art ist trotzdem noch groß“, meint Veranstalter Oliver Riebenbauer. Er bietet daher jedem, der ihm einen originellen Raum für diesen Zweck verrät, 50.000 Schilling „Finderlohn“.