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Archiv 1994: Die Rache des eiskalten Engels
Sie war die heißeste Frau der achtziger Jahre. Schönster Teenager der Welt, schärfstes Playmate und vergoldete Gespielin von mächtigen Männern. Jetzt hat man sie durch die Bild-Zeitung geschleift, als abgefucktes Porno-Starlet, kaputt und am Ende. In München erzählte Brigitta Cimarolli, wie es wirklich um sie steht. Schamlos und ohne Schminke.
Beobachtung von Marga Swoboda.
Irgendwo sonst liegen so viele Herrenhandtäschchen und Handys herum wie auf den Bistro-Tischen in der Münchner Leopoldstraße. Unter einer Dunstglocke aus Pollen und BMW-Gestank sitzt man auf der Pirsch. Die Mädchen haben die obersten Blusenknöpfe offen, und die Männer tragen diese Schwabinger Fön-Frisuren, die nicht umzubringen sind. Alles will irgendwie französisch sein – die geflochtenen Straßenstühle, das Mineralwasser und das Baguette; es ist aber alles plump und nur bayerisch. Besonders der Schmäh.
Im Roxy schütten sie am Nachmittag zum Frühstück frische Säfte in sich hinein; gegen den Restalkohol und gegen die Lederhaut. Sie haben diese unerträgliche Fröhlichkeit. Und sie haben alles im Griff. Da taucht auf einmal sie auf. Die Männer halten sich an ihren Handtaschen fest, und die Frauen schieben die Sonnenbrillen zurück.
An allen Tischen Themawechsel und Münder, die sich bis zum Anschlag öffnen. Sie trägt nichts außer einem Handy am Ohr und einem Body am Leib und einem Jäckchen über dem Arm. Die Haare hängen bis zur Mitte der Oberarme, und ungefähr so weit ist auch der Reißverschluss am Busen offen. Aus der Weite sehen die Beine blutjung aus – spanisch gebräunt und staksend. Sie steuert auf ihren Stammplatz zu, erste Reihe fußfrei zur Straße hin, und während sie Platz nimmt, schüttet einer am Nebentisch das Bier in den Thunfischsalat.
Aus der Nähe ist nur noch der Busen taufrisch. Er ist erst drei Jahre alt, hat Körbchengröße X-Large, und tut ein bisschen weh, wenn sie sich drauflegt oder sonst jemand. Er ist noch aus diesem etwas härteren Silikon, sonst aber sehr gelungen und nahtlos. Nur kleine Narben in den Achselhöhlen. Das Jäckchen hat sie nicht für die Nieren dabei, sondern als Sitzpolster. Sie mag nicht, wenn sich das Stuhlgeflecht in den Hintern schneidet. Das sieht dann aus wie Cellulitis, und Cellulitis findet Brigitta sehr ungeil.
Den ganzen Tag bimmelt das Handy. Heute war schon ein halbes Dutzend Kerle dran. Sie haben ihr französisches Service angeboten oder gesagt, sie wollen sie niederreiten. Die Schüchternen sagen nur, sie wollen mit ihr essen gehen. Seit der Story in der Bild-Zeitung sei es wieder besonders arg. „Ich sag zu allen, fick dich selber in den Arsch“, sagt Brigitta. Rund um uns spitzen die Ohren, denn Brigitta spricht ein sehr unbefangenes Porno-Deutsch. Das Gesicht scheint heute etwas mitgenommen. Seit Sonnenaufgang Reizwäsche gedreht für ihre italienischen Auftraggeber. Ein sehr, sehr reicher und sehr, sehr netter italienischer Freund hat diesen Job vermittelt. Seit fünf Jahren verrenkt sie sich dafür, und die Italiener sind noch immer scharf.
Das Gesicht ist ungeschminkte 35, viel blasser als die prallen neuen Kugeln und passt nicht ganz zum Rest des Körpers, weil es ein bisschen aussieht wie vom Körndlfressen ausgezehrt und nicht vom Ausschweifen. Brigitta kann es aber, wenn sie will, auch ungeschminkt zum Glühen bringen. Und dann ist immer noch etwas da von dieser atemberaubenden Schönheit, mit der sie vor 17 Jahren zunächst Miss Salzburg und dann gleich schönstes junges Mädchen der Welt und Playmate des Jahres und so weiter wurde. Damals sprach sich schnell herum, dass niemand im Bett und am Schachbrett so gut ist wie sie.
Das Neueste, was über sie in der Zeitung stand, war nicht mehr schmeichelhaft: Absturz in miese Pornohütten. Armseliges Ende, letzte Zuckungen auf allen vieren. „Alles nicht wahr“, sagt Brigitta Cimarolli. Das war nur eine Ledermodenschau, sehr exquisit. „Und was der kleine Wichser geschrieben hat, ist mir völlig egal. Ich bin on Top, ich bin nicht arm, und ich habe gerade einen neuen Kerl. Ein saftiger, wahnsinnig geiler Wiener, ein richtiger Mann.“ Geschäftsmann mit heftiger Vergangenheit im Rotlicht-Milieu. Ein blasses, blondes Geschöpf, das einmal der schönste Körper für Piz Buin war, kommt auf einen Schwatz im Roxy vorbei. Man geht die Kerle der letzten Monate durch; vielfach hat man authentische Vergleichsmöglichkeiten. Brigittas neuen scharfen Wiener etwa hat die Blonde schon vor zehn Jahren abgehakt nach einer Nacht; war irgendwie nicht ihre Nummer. Brigittas Nummer ist er schon, und sie sagt auch gleich, wie diese Nummer geht. Da fällt der Blondine die fünfjährige Tochter wieder ein, die dabeisteht, und sie hält dem Kind die Ohren zu. Dann füttert Brigitta das Kind mit Erdbeeren und mit Brioche und mit Streicheleinheiten. Eigentlich mag sie Kinder nicht, aber dieses ist ja ganz nett. Wirst du noch einmal eine schöne Maus? So wie diese Blonde möchte Brigitta nie sein. Ein Kind am Hals, einen Job in der Kanzlei und alle Gagen für diese feigen, schönen, jungen Männer ausgeben, die unbedingt ein Motorrad brauchen oder einen Spieler-Urlaub in Monte Carlo. Junge, arme Männer sind das Ungeilste, das sich Brigitta denken kann. So mit zwölf hat sie beschlossen, berühmt, reich, begehrt und hemmungslos frei zu werden und nie einem Mann auch nur einen Schilling zu geben. Ziemlich genauso kam es dann auch. Gewissermaßen kam es 40- oder sogar noch schlimmer. Die Wohnung gleich ums Eck vom Roxy, mit Innenhof-Terrasse und arbeitsamen Nachbarn, ist merkwürdig mädchenhaft. Ein Wohnzimmer wie eine Puppenstube, nach Art sehnsuchtsvoller Teenager. Vier amerikanische Riesenkater dösen in ihren Körben: der Kratzbaum um 15.000 Schilling juckt sie heute nicht. Wände und Regale voll mit Trophäen von Katzenwettbewerben. Einen Kater nennt sie Mamas Liebling, er ist Europameister von irgendwas. Sogar das Schlafzimmer wirkt irgendwie keusch. Es ist zwar verspiegelt, aber wie bei braven Ehepaaren, die in allen Ehren und im Halbdunkel manchmal ein bisschen unartig sind. Wenn nicht ein paar Pornovideos lose herumlägen, du könntest meinen, es sei die Wohnung von Barbara Wussow oder Witta Pohl. Nun zieht Brigitta auch noch lange Hosen und Pullover an, und auf dem Sofa sitzt auf einmal ein Geschöpf, so mondän und frivol wie eine Handarbeitslehrerin nach Feierabend. Nur ist Brigitta eben nicht vom Stricken müde. Ihr Leben, denken die Leute, ist ein einziger Pornofilm. Das stört sie nicht, denn in dieser Seele gibt es sowieso nichts mehr zu zerstören. Das ist alles schon viel früher passiert, und es ist irreparabel. Sie wollte es so, und sie hat sich auch selber keine andere Wahl gelassen. Zuerst erzählt sie ganz salopp von ihren Jahren im Kloster, von der erotischen Faustregel, wonach alle Verbote einen scharf machen. Wie geil das war, die ersten Playmate-Fotos noch vom Kloster aus zu checken, und dass die Oberin halb der Schlag traf. Und wenn er sie ganz getroffen hätte, hätte Brigitta nur gelacht.
Brigitta redet gern in diesem Jargon, aus dem die Fantasien der Männer beim Kabinensex sind. Und vor dem Gedanken, dass sich Millionen Schmuddel-Männer an ihren Fotos anturnten, hat ihr noch nie gegraust. Sie sagt, dass es mit ihr gar nicht anders kommen konnte, als es kam. Und dass sie alles erträgt, nur kein Mitleid. Dann will sie wieder von der Kindheit reden, aber die Schmerzen von damals sind nicht mehr gespeichert in ihr. Alle Gefühle gelöscht, sodass selbst die bittersten Episoden sie nur noch zum Lachen bringen. Oder zu vulgärem Genuss. Sie holt aus einer Schublade einen Stapel Manuskripte. Ein einziges Mal ist ihr die Erinnerung an damals gelungen, da hat sie alles gleich aufgeschrieben, und nun liest sie aus ihrer Vergangenheit wie über ein fremdes, geiles Aschenputtel. Von der Mutter liest sie, die sich einen Tag vor Brigittas Geburt umbringen wollte und dann im Koma gebar. Von den ersten vier Lebensjahren daheim; der Vater zuerst gewalttätig und dann über alle Berge. Die Liebhaber, die ihre Mutter durch Sonne und Mond watschten. Und die Liebhaber, vor denen sie als Kleinkind nackt posierte. Erst musste, dann wollte. Dann mit dem kleinen Bruder ins Heim. Und wer nicht parierte, kam in die dunkle Kiste auf dem Dachboden. Die Kiste nannten
sie Besinnungsraum. Und wer sich noch immer nicht besinnen konnte, vor lauter Angst und Trotz mit vier, fünf Jahren, den lehrten sie fasten. Und als sie einmal den ausgehungerten kleinen Bruder mit dem vollen Mund fütterte, verdrosch man sie beide. Wer lieb war, durfte mit den Erziehern manchmal nach Hause, durfte dann Nächte des Grauens in grausigen Ehebetten verbringen. Damals hatte Brigitta noch Angst, und es hat ihr gegraust. Später nie mehr. Sie weiß, daß in diesen Jahren alles verpfuscht wurde in ihr, was es an einem Kind zu verpfuschen gibt. Sie beschloß, daß es niemals heilen sollte. Sie beschloß, niemals zu lieben, und das ist ihr bis heute gelungen. Die Kälte wurde ihr Kapital und der
Körper ein tadelloses Instrument. Zum Körper kam ein IQ von 138. Das haben sie gemessen im Kloster und ihr ein Studium versprochen, als bester Schülerin der ganzen Anstalt. Sie haßt die Nonnen noch heute dafür, daß sie sie darum betrogen haben, daß sie sie verschimmeln ließen in der Handelsschule. Aber irgendwie ist sie allen auch dankbar, die sie verdreckt und kaputtgemacht haben. Nie gab es Illusion von Liebe und Familie, es gab nur Sex als Triumph über alt diese frigiden Ziegen.
Sex gemischt mit dieser kalten Intelligenz, die aus Miesern Material mache, oder junge Herren, gehorsam, gern gefällig und geil. Mit 16 suchte sie sich am nächstbesten Bahnhof unter räudigen Hunden einen 50-jährigen Ausländer aus, um in der Baracke nebenan entjungfert zu werden. Das hatte
aber noch Symbolwert. Denn zum Bluten hatte man sie schon als Kind gebracht. Mit allem, was sich in ein Herz und in einen Unterleib rammen ließ. Außer Liebe machte sie alles. ich war bis heute mit
keinem Mann im Bett, den ich liebte“, sagt sie. Und wenn, dann hat sie ihn vergessen. Tausende hat sie ausprobiert. Die wenigsten würde sie auf der Straße wiedererkennen. Aber alle haben sich mich
gemerkt“, sagt sie. Mit 25 wusste sie über Männer so viel. daß sie selbst in den bizarrsten erotischen Belangen hätte promovieren können.
Es gab Männer für mehr als eine Nacht. Acht Jahre mit dem rüden Boxer René Weller. Überall, wo sie auftauchten, dachte man, die zwei würden einander gleich die Kleider vom Leib reißen. An Wellers Freundin und die zwei kleinen Kinder dachte man weniger.
Ein anderer hieß Walter Staudinger. Der Puff-Dichter Wolf Wondratschek hat ihm, dem „König der Rotlichtszene“, einen Heldenroman gewidmet, der dir die Schuhe auszieht. Der Staudinger hat Brigitta an den Rand der Liebe gebracht und an den Rand des Abgrunds. Heilung in letzter Minute durch eine Psychotherapie. „Geheilt für immer“, sagt sie. Nie mehr ein Mann mit Frau und Kindern. Nie mehr die Macht beim Sex vertieren.
Wir greifen in die fette Fotosammlung „Prominente Männer“. Da sind viele dabei, die man verschweigen muss, und viele, die sie gerne vergaß. Ausgelassen wurde so gut wie keiner, sofern er Geld und Macht hatte. Geld allein ist zu wenig, jedenfalls im Bett. Aber Macht macht scharf, das sei ein weiblicher Urinstinkt, sagt Brigitta: „Schöne junge Männer kannst du mir auf den Bauch binden, ich mache die Beine nicht breit.“ Ausnahmen gibt es schon. Als Anthony Delon nass und nackt vor ihr stand, mit diesen Augen und diesen Lippen, da blieb sie halt für eine halbe Nacht an ihm kleben.
Frühstücken müssen sie alle fast immer ohne sie. Und mit einem Mann leben, das käme sowieso nicht in Frage. Die meisten anderen durften sich trotzdem erkenntlich zeigen, und sie taten es gern. Der sehr, sehr reiche und sehr, sehr nette Italiener wollte immer so viel Shoppen gehen mit ihr, dass ihr die Lacroix-Kostüme und die Chanel-Fetzen schon zum Schrank und zum Hals heraushingen. An schönen Steinen jedoch hat sie sich bis heute nicht satt gesehen. Zum Beispiel die da: Diamanten-Collier, schätzungsweise eine halbe Million wert, schätzungsweise vom Italiener. Sorglos verwahrt zwischen den Sofa-Polstern.
Die 1000-Mark-Nummer im Pornoshop hat sie jedenfalls nicht nötig. Und dass sie nie, niemals im Leben arbeiten will wie die verarmte magere Piz-Buin-Blondine, das ist auch beschlossen.
Über Schwabing brodelt inzwischen die dumpfe, bayerische Alpen-Gaudi. Auf dem Weg in die Gastwirtschaft beschreibt Brigitta ihren ständigen Lebenszustand als den des Glückes, das wie ein einziges Fest sei: egoistisch, rücksichtslos und frei von Liebe, bis auf die Katzen. Das Äußerste ist, dass einer manchmal der fünfte Kater sein darf, wie jetzt der geile Wiener. Und später, wenn der Körper ausgedient hat? „Es ist noch lange nicht später“, sagt sie. Und: Ich werde jedes Lifting machen. Ich lasse meine Haut in Streifen schneiden für einen geilen Körper. Ich werde immer schöner, ich mache alles mit dem Kopf. Und nie waren sie so scharf auf mich wie heute. Alle, die Männer und die Frauen. Tabus gibt es keine, „außer, dass ich mich nicht misshandeln lasse.“ Doch, eines noch: „Einmal, als mir einer, ein Oscar-Preisträger, einen Kinderporno zeigen wollte, da bin ich einfach gegangen.“
Die Kindheit zwischen Sadisten, Pädophilen und prügelnden Stiefvätern ist gelöscht. Die Jahre im Kloster sind gerächt. Die Mutter ist so fremd, dass es nicht einmal etwas zu verzeihen gibt. Nichts tut mehr weh. So, wie sie es damals beschlossen hat, ist alles geworden.
„Heimkatzen, Wasserratzen schlafen nur auf Strohmatratzen“, haben die anderen Kinder von draußen immer durch die Gitter der Erziehungsanstalt gehöhnt. „Ich habe es allen gezeigt“, sagt sie. „Ich bin in goldene Betten geraten. Ich habe die Macht, nicht zu lieben. Das ist meine Formel der Rache und des Glücks.“
Am Handy ist wieder ein Gedränge von Männern; die meisten sind Idioten. Der geile Kater aus Wien ist auch dran und das Haustier, der gute Polizist. Und irgendwann ist zum Glück der Akku leer. Sie stakst heim durch das schwüle Schwabing, inzwischen doppelt so alt wie die Miezen rundherum, die mit strohdummen Träumen zu abgewrackten Gockeln in die geleasten Porsches steigen. Einsam? Traurig? Kaputt? Zum Lachen. „Ich bin on Top. Ich habe alles erreicht, und es wird noch mehr. Ich saufe nicht, ich kokse nicht, und ich will nicht zum Film. Reden und spielen ist was für Schauspieler. Ich habe meinen Arsch und meine Titten, und ich mache alles damit. Ich habe immer Sex und niemals Angst.“
Sie würde lieber verrecken, bevor sie einen an ihre Seele ließe. So, wie sie es sich geschworen hat damals, in den Betten der Gewalt zwischen grunzenden Körpern, die ihr die Kindheit geraubt und das Herz aus dem Leib gerissen haben. Aber das ist vorbei. Gelöscht von tausend geilen Nummern und einem scharfen, kalten Verstand.