Motor
Mercedes-AMG GT 63: His Name was Peparelli!
Zugegeben, diese Headline können nur eingefleischte Fans der TV-Serie „The Sopranos“ einordnen. Inwiefern sie mit dem Wesen des superen Mercedes-AMG GT 63 matcht, erklären wir im Text.
Fernseh-Serien schauen nur alte Menschen, werden Sie jetzt vielleicht sagen. Drauf sage ich: mag sein. Aber die Sopranos spielen da schon eine Sonderrolle, schließen haben sie erst den Weg geebnet für spätere Serienhits wie Breaking Bad oder Mad Man oder Suits. Erst jüngst habe ich mir alle Folgen im US-englischen Original auf Amazon Prime gekauft, um sie immer und überall per Smartphone oder Tablet zur Verfügung zu haben und wenn ich so durch meine Sopranos-Fangruppen auf Facebook scrolle habe ich das Gefühl, wir sind gar nicht mal so wenige. Joseph Peparelli jedenfalls zeitigte einen recht unrühmlichen Abgang in Staffel 6. Und er hatte einen Nicknamen, den Tony Sopranos Schergen in unachtsamer Ignoranz auf seinen Grabstein meißeln ließen – wie hätte Consigliere Silvio Dante auch wissen sollen, das Joey aus New York, den alle immer und überall ganz anders gerufen hatten, in Wirklichkeit Peparelli hieß, und gar nicht Peeps?
Die gute Nachricht zuerst: Obwohl der von uns getestete Mercedes-AMG GT noch lebt (was auch nicht sein müßte, doch dazu später), erinnerte er uns doch eine Spur zu oft an den guten Joey Peeps (er ruhe in Frieden!). Dass er sich bei der gesamten Redaktion schon nach wenigen Kilometern den gleichen Kosenamen wie dieser einfing, vielleicht in der deutschen Variante Pieps, liegt am anachronistischen Bestreben der Autohersteller, ihre Autos mit soo vielen, akustisch auftretenden Warnassistenten auszustatten, dass man das Cruisen durch die Stadt, das Anhalten bei einer Kreuzung, das Rechtsabbieren, das Cruisen auf der Autobahn, aber vor allem das Ausparken aus Garagen oder ähnlich engen Autoansammlungen am besten mit Gehörschutz vornehmen sollte. Anachronistisch ist das panische Gepiepse, das man bald vorm geistigen Ohr als Gebrüll wahrnimmt, vor allem deshalb, weil man dem Piloten eines Fahrzeuges in Supersport-Adjustiertung mit permanent alle Räder erregenden 585 PS, erzeugt von einem ehrlichen Biturbo-V8-Verbrenner-Benziner, doch etwas mehr Intelligenz als einem Schnittlauchbrot zutrauen sollte. Tut er aber nicht, der Super-Benz. Er verbringt gefühlt die Hälfte seiner Denkleistung (und hier fahren viele Elektronengehirne mit!) damit, hochalert jeden Blödsinn vorauszusehen, den der Trottel von Fahrer in den nächsten Minuten potentiell anstellen könnte. In den meisten Fällen tut er das freilich umsonst. Bloß als wir uns nach zwei vom Auto durchgeführten Not-Vollbremsungen beim aus der Garage winden die zwei kleinen Metallstangerln, welche die Lichtschranke der Ausfahrt schützen sollten, bereits tief in den Frontflügel gerammt hatten, brüllte, schnarrte oder piepste rein gar nichts. Totenstille. Und jetzt wollen die von Mercedes einen Unfallbericht von mir …
Vielleicht will das schreihalsige Wesen des AMG-GT aber auch nur davon ablenken, welch grandiose Sicherheitsfeatures subkutan in diesem Auto verbaut wurden. Solche, die in äußerster Bravour erst dann eingreifen, wenn wirklich was passiert. Als ich etwa beim engagierten Befahren der famosen Leitha-Bundestraße zwischen Hof und Breitenbrunn eine enge Rechtskurve zu schnell nahm, mir dann plötzlich wer halb auf meiner Spur entgegen kam und die Fahrbahn in ihrer Bombierung plötzlich ein paar Grad zu veritabel nach innen hing, blieb mir nach einem ernsthaft souverän abgefangenen Near-Miss nur noch, den Systemen baff zu applaudieren. Obwohl mit wenig Haftung und vier eingeschlagenen Rädern über den Vorderwagen schiebend eigentlich nichts anderes mehr angezeigt war, als solide in den entgegenkommenden Sharan (oder was das war) einzuschlagen, erfaßte eine ganze Reihe von Assistenten akkurat, was da gerade am Schiefgehen war und nahm nicht nur so sensibel wie irgend denkbar Speed raus, sondern veränderte auch den Lenkwinkel aller vier (!) Räder in Millisekunden dahingehend, dass aus kläglichem Untersteuern ein fein zu kontrollierender, leichter Drift wurde der letztlich genau die richtige Menge Tempo vernichtete und mich vor der auf den Fuß folgenden Gegenkurve leichtfüßig auf die richtige Spur setzte, so als ob nie etwas geschehen wäre. Eindrucksvoll.
Tatsächlich ist der AMG-GT 63 4MATIC eines jener Autos, dass seinen Fahrer ob hervorragender Profi-Skills, was Traktion, Motorzugriff, Allradlenkung, Handling und das Zusammenspiel des ganzen betrifft, eine ganze Menge Selbstvertrauen zuschanzt. Man meint, nach wenigen durcheilten Ecken, sich eh voll auszukennen, das Auto total im Griff zu haben – was eben ein völliger Blödsinn ist. Aber dann kommt halt die Elektronik-Kavallerie zum Einsatz und verhindert, wenn man es nicht allzu sehr übertrieben hat, mit beruhigender Nonchalance Schlimmeres. Schön wärs noch, wenn die hier verbaute Telemetrie den Fast-Crash aus ein paar Blickwinkeln mitfilmen und dir nebst aller Fahrdaten ans Handy schicken würde. Dann hätte man endlich mal ein Reel für Insta, das wirklich oft geklickt wird. Und wenn ich mir da gerade so beim Schreiben zulese, dann hat der Wagen eigentlich alles Recht der Welt gehabt, mich schon ab der Garage für einen festen Trottel zu halten.
Nun zur Optik, zum Auftritt, zum Gesamtpaket. Klar braucht niemand so viel Leistung, klar braucht niemand soviel Fahrwerk (obwohl …). Den Auftritt braucht so mancher, jedenfalls kriegen Menschen Stielaugen angesichts des Super-Benz, denen man eigentlich eher ein Lastenrad als Hauptvehikel zugeordnet hätte. Daher stellen wir fest: Das Mattblau, die Falze, das Mega-Maul, der Diffusor nebst Zweitwohnsitz-Endrohren: All das entspricht offenbar dem automobilen Zeitgeist ziemlich punktgenau. Innen drinnen lässt ein Screen, eh wie auch sonst überall, den faulen Performer verzweifeln, dafür sind die brettelharten Schalensitze auch auf der Langstrecke bequem. Kopffreiheit und Konsorten passen auch, erstaunlich heutzutage, obwohl: Es lagern hier ja auch keine raumgreifenden Batterien unter dem Sitz. Apropos Sitz: Warum im Zulassungsschein der Fuhre von 2+2 Sitzen die Rede war, bleibt schleierhaft. Da hinten war ein Brett und sonst nix. Genausogut hätte man den Wagen als LKW typisieren können. Aber für den Familienurlaub nimmt der stolze AMG-GT-Eigner ja sowieso den vollelektrischen G aus der Garage, sofern er ihn zeitgerecht bestellt hat.