Stermann: Achtung, Zug fährt ab

Wenn einer mit der Bahn fährt, dann kann er was erzählen, vor allem, wenn er Dirk Stermann heißt.

Wenn einer mit der Bahn fährt, dann kann er was erzählen, vor allem, wenn er Dirk Stermann heißt. Der WIENER-Kolumnist gewinnt 2:1 gegen eine keifende Alte, staunt über geeichte FP-Funktionäre und zeigt viel Verständnis für einen Rollstuhlfahrer.

Ich saß im Zug. In meinem Abteil saßen zwei Damen, die wütend aus dem offenen Fenster starrten. Die eine Dame sagte: „Könnten Sie das Fenster schließen? Draußen ist es kalt!“ Die andere antwortete: „Wenn ich das Fenster schließe, wird’s draußen auch nicht wärmer!“ Ich schlug mich, wie immer, auf die Seite der Frierenden. 2 zu 1 fürs Fensterschließen. Wir saßen im IC „Erlebnis Demokratie“ nach Graz und die Alte musste in den sauren Apfel der Minderheit beißen.

Wenn man schon Züge braucht, um Werbung für eine Staatsform zu machen, dann stimmt was nicht. Noch dazu, wenn’s ein Zug der ÖBB ist. Wie kommt das wohl bei demokratiekritischen Skinheads in Bruck an der Mur an, wenn der IC „Erlebnis Demokratie“ 30 Minuten zu spät kommt? Da müssen Christoph Fälbl und Ciro de Luca viele TV-Spots aufnehmen, um das wieder wettzumachen. Ich saß einmal im EC „Europäischer Computer Führerschein“ zusammen mit einem angetrunkenen FPÖ-Gemeinderat aus Vorarlberg, der auf die EU schimpfte. Er musste mit dem Zug fahren, weil man ihm den Führerschein abgenommen hatte. „Ich hatte 1,5 Prozent“, erklärte er mir. „Sie meinen Promille?“ verbesserte ich ihn. „Nein, Prozent. Mit 1,5 Promille ist man ja nüchtern. Scheiß EU“, lallte er. „Früher wär ich mit dem Gendarm auf ein Stamperl gegangen, aber in der EU bist du sofort den depperten Lappen los. ‚Europäischer Computer Führerschein’“, sagte er angewidert und spuckte mir auf meinen englischen Maßschuh, der den Wert eines Kleinwagens hat. Aber als ORF-Moderator kann ich es mir leisten. Ich lächelte den betrunkenen Nationalisten an. Ich hatte vorher nämlich im IC „Rote Nasen“ gesessen und ich wollte mir die dort erworbene gute Stimmung nicht von dem blauen Schluckspecht zerstören lassen.

Im IC „Rote Nasen“ kontrollierten Klinik-Clowns. Zwei Jugendliche waren in meinem Abteil beim Schwarzfahren erwischt und festgenommen worden. Die Klinik-Clowns führten sie ab und erzählten den 15-Jährigen dabei Witze, über die schon Fünfjährige nicht mehr gelacht hätten. Ich musste deshalb sehr lachen. Der Vorarlberger hatte vom Saufen eine rote Nase, erzählte aber immerhin keine Witze. „In Deutschland, diese evangelische Bischöfin Margot Käßmann, die ist auch mit 1,5 Promille erwischt worden“, sagte ich. „Prozent!“ Er war wütend, dass ich den Unterschied nicht begreifen wollte. „1,5 Promille, da hast du vielleicht als Bischöfin einen Damenspitz, aber ich brenn’ meinen Schnaps selbst, seit ich in der Volksschule bin. Nach fünf Dopplern gewinn ich dir noch bei jedem Mikadospiel!“ „Jedenfalls ist die damals zurückgetreten“, sagte ich. Er starrte mich wütend an. „Zurücktreten?“ Plötzlich packte er mich am Kragen meines teuren italienischen Anzugs und warf mich aus dem Abteil. Er jagte mich durch die Gänge des EC „Europäischer Computer Führerschein“ und prügelte mich in Kufstein aus dem Zug.

Als der Zug den Bahnhof verließ, sah ich, wie er von innen gegen die Tür spucken wollte, aber die Spucke blieb ihm am Mund hängen. Er sah aus wie an Tollwut erkrankt. Und irgendwie war er das ja auch. Ich blieb am Bahnsteig in Kufstein stehen, bis mit 60-minütiger Verspätung der EC „HANDL TYROL SPECK“ einrollte. Leider mit einem Triebwerkschaden. Traurig stand ich da. Es begann zu regnen. Ein Rollstuhlfahrer bot mir an, dass ich mit ihm unter einen Schirm kniee. Ich nahm dankbar an. Die Festung Kufstein starrte uns an. Am gegenüberliegenden Bahnsteig fuhr ein der IC „Unser soziales Österreich“. Ein Kind glotzte aus dem Fenster und bohrte in der Nase. Das Kind sah aus wie Christoph Fälbl mit 5. Unheimlich. Fälbl und de Luca grinsten von einem ÖBB-Plakat. „Ich bin vom IC ,ROCO Modellbahnträume‘ überfahren worden. War meine Schuld“, sagte der Rollstulfahrer. „Das tut mir leid“, antwortete ich. Der Regen wurde stärker. „Wurscht. Ich arbeite im Call-Center. Sitzende Tätigkeit. Für mich hat sich wenig geändert. Ich hab mich nie viel bewegt.“ Ich nickte und lächelte ihn an.

„Auf Gleis 2 fährt der EC ,Österreichisches Bundesheer‘ ein. Achtung! Zurücktreten!“ „Soll ich Ihnen beim Einsteigen helfen?“ fragte ich den Rollstuhlfahrer. „Nein, nein. Ich fahr nicht mit dem Zug. Soweit bin ich noch nicht. Bahnsteig geht schon, aber näher trau ich mich nicht ran“, sagte er. „Noch nicht. Mein Therapeut sagt, das dauert noch. Man muss warten. Wie auf die ÖBB!“ Ich gab ihm die Hand und stieg ein. „Eigentlich fahr’ ich wirklich gern mit dem Zug“, dachte ich mir, während ich einen freien Platz suchte. Und nicht fand.