Killerinstinkt: Raab, Elsberg, Aichner – Österreichs Krimi-Elite

Bernhard Aichner, Marc Elsberg, Thomas Raab: Drei Österreicher erobern die Krimi-Szene. Und ohne zu übertreiben, fügen wir noch hinzu: weltweit. Hier ist ihre Erfolgsstory.

Der große Hagere greift nach dem Gewehr. Mit seinen schmalen Händen, den Händen eines Mannes, der nicht nur im Umgang mit Waffen geübt ist, sondern auch mehr als nur eine Ahnung davon hat, warum es schwarze und weiße Klaviertasten gibt, umfasst er den Kolben. Scheinbar ohne jede Regung. Doch da ist dieses verräterische Zucken in den Mundwinkeln, da kräuseln sich mit einem Mal Fältchen um die funkelnden Augen. Er hebt die Waffe an. Reckt das ausgeprägte Kinn in die Höh‘. Dann hält er das Gewehr seinem Gegenüber an den Kopf. Das Gegenüber grinst. Der große Hagere grinst. Nur der Dritte im Bunde, der bisher nur zugesehen hat, grinst nicht. Er verharrt in der Position des Beobachters -mit der Souveränität eines Mannes, der weiß, dass er jederzeit Schicksal spielen kann.

Dieser Mann ist Marc Elsberg, 47. Ein zurückhaltender Herr, ja, Herr, von angenehm unaufdringlicher Präsenz. Rechts von ihm der große Hagere, Thomas Raab, 43. Mit seinen sechs Metzger-Romanen längst eine österreichische Krimi-Größe, einer, der auffällig gerne lacht. Links von Elsberg: Bernhard Aichner, mit 42 der jüngste in der Riege der drei Mittvierziger. Mit seiner ruhigen Art zu sprechen, dem leichten Tirolerisch, wirkt der 42-jährige Innsbrucker wie ein sanfter Bär, ist aber ganz sicher ein überaus schlauer Fuchs. Vor den drei Männern, die hier, in den Wiener Artwerkstudios, auf Einladung des WIENER zusammengekommen sind: die Umrisse einer Leiche; Tatort live, sozusagen, von unserem Set-Designer mit Hingabe aufgeklebt, um auf einen Blick sichtbar zu machen, was diese drei Männer vereint. Es sind Tote. Präziser: gewaltsam zu Tode gekommene Menschen und die zugrundeliegenden Geschichten

Denn nicht nur Thomas Raab schreibt Krimis, auch die beiden anderen Herren sind in diesem Metier tätig, und zwar ungemein erfolgreich.

Alle drei (und das ist eine weitere Gemeinsamkeit) sind bei namhaften deutschen Verlagen unter Vertrag. Marc Elsberg hat vor zwei Jahren, nach einigen bei kleineren Verlagen erschienenen Büchern, mit „Blackout“ einen veritablen Bestseller abgeliefert, in dem er Schicksal gespielt und europaweit den Strom ausfallen hat lassen. Aber: „Es geht letztendlich nicht nur um einen großen Stromausfall, sondern darum, wie sich die Organisation unserer Gesellschaft in allen Bereichen in den letzten 20 Jahren verändert hat und was das für Auswirkungen hat.“ Dermaßen spannend geriet die Analyse, dass „Blackout“ binnen kürzester Zeit zum Bestseller wurde: „Blackout hat sich im deutschsprachigen Raum seit Erscheinen – also seit März 2012 – 600.000-mal verkauft. 2012 waren es in Japan immerhin auch 100.000. Das Taschenbuch gehörte 2013 im deutschsprachigen Raum zu den fünf meistverkauften Spannungsromanen und steht seit Erscheinen im Juni 2013 durchgängig auf der Spiegel-Bestsellerliste.“

Neues Buch im Juni

Marc Elsberg ist also ein erfolgreicher Schriftsteller. Aus der Werbung, die den Kreativdirektor und Strategieberater, der für einige Jahre in Hamburg lebte, zuvor ernährte, hat er sich sukzessive zurückgezogen. Außerdem ist er, wie er selbst sagt, „inzwischen einer der gefragtesten Referenten, Diskutanten, Experten bei Firmen, Politik und Verbänden, die mit Infrastruktur, Energie oder komplexen Systemen zu tun haben. Ich habe alleine im letzten Jahr 40 oder 50 derartige Termine gehabt.“ Er reist viel, praktisch immer mit seiner Frau, mit der er seit 25 Jahren zusammen ist (was er als großen Erfolg bezeichnet), und die ihn auch betreut. Spätestens Anfang Juni wird sein neues Buch „Zero“ erscheinen. Bei seinem Verlag Blanvalet ist es der Spitzentitel: „Verpackt in eine spannende Geschichte erzähle ich, welche Auswirkungen die Themen ,gläserner Mensch‘, Daten sammeln und ,Predictive Analytics‘, also die Fähigkeit mittels Computer-Programmen unser Leben vorauszusagen, bereits auf uns haben und in naher Zukunft noch stärker haben werden.“ Seine ganz persönliche Zukunft will er allerdings nicht prognostizieren.

MARC ELSBERG

HERKUNFT: WIEN ALTER: 47 FAMILIENSTAND: VERHEIRATET SCHWÄCHEN: ICH WEISS GAR NICHT, WO ICH ANFANGEN SOLL STÄRKEN: NEUGIER, KONSEQUENZ, DISZIPLIN, KREATIVITÄT MAG: FUNK, SOUL, RHYTHM & BLUES DER SPÄTEN 1960ER, FRÜHEN 1970ER UND GUTE

Wie ist der Erfolgsdruck bei Ihrem zweiten Buch? Sind Sie nervös?

Noch nicht. Schauen wir einmal, wie es ist, wenn das Buch draußen ist. Derweil habe ich keine Zeit, nervös zu sein. Wir sind in der Endredaktion von „Zero“, und ich habe für das kommende Jahr schon wieder viele Vorträge, zu denen ich durch halb Europa fahre.

Eine Rolle, die Marc Elsberg sichtlich genießt. Verständlicherweise. Schon vor seinem Bestseller „Blackout“ hat er mehrere Romane geschrieben, aber nicht annähernd dieses Echo erhalten. Was auch damit zu tun hat, dass ein Überleben als Schriftsteller praktisch nur mit einem großen deutschen Verlag im Rücken möglich ist. Bernhard Aichner war jahrelang beim österreichischen Verlag Haymon unter Vertrag, strebte aber nach Deutschland und erlebte den Traum jedes Autors: Um sein Buch „Totenfrau“, damals erst knapp 30 Seiten stark und mit einem anschaulichen Exposé ergänzt, rissen sich mehrere namhafte Verlage. „Eine Bieterschlacht ohnegleichen“, schreibt Verlagsleiterin Regina Kammerer in einem vorab erschienenen, liebevoll gestalteten Booklet. Darin wird auch die Krimi-Grande-Dame, nämlich Ingrid Noll, als Zeugin für die Qualität des Aichner’schen Werkes angeführt. „Ein äußerst spannender, atemlos geschriebener Thriller. Ich konnte ihn nicht mehr aus der Hand legen.“

Die haben regelrecht um Sie gekämpft?

Der Agent hat mich gefragt: Wo möchtest gerne hin? Ich habe laut geträumt, er hat das Manuskript rausgeschickt, und alle Träume sind wahr geworden. Wie im Märchen war das. Ist es immer noch. Mit dem Btb-Verlag habe ich einen ganz großen Treffer gelandet.

Sie haben erzählt, dass Ihre Verlegerin gesagt hat, dass sie es in ihrer Laufbahn selten erlebt hat, dass alles so g’schmiert läuft. Woran liegt das?

Dieter Bohlen würde sagen, „es liegt am Gesamtpaket“.

Bitte beschreiben Sie dieses Gesamtpaket.

Es gibt eine gute Geschichte, die vom Plot her einfach neu ist. Es gibt diese Heldin, Mutter zweier Kinder, eine Mörderin. Sie tötet, und trotzdem bleibt sie bis zum Ende sympathisch. Man mag sie.

Und deshalb sind alle so euphorisch?

Da ist natürlich auch die Sprache, die ich mir in den letzten zehn Jahren „erschrieben“ habe. Mein Ton, mein Sound, der den Leser durch das Buch treibt. Und das Ganze erst rund macht.

Aichners „Totenfrau“ ist Spitzentitel bei Btb, Elsbergs „Zero“ Spitzentitel bei Blanvalet. Nur einer, der große Hagere, hat aktuell kein Eisen im Feuer, obwohl er – zumindest in Österreich – zu den absoluten Top-Autoren zählt. Mit seinen sechs Metzger-Büchern, in denen der gleichnamige Held, ein grantelnder Restaurator, mit Bravour die unterschiedlichsten Mordfälle löst, hat der frühere Gymnasiallehrer Thomas Raab (im Bild oben) durchwegs Bestseller geschrieben, dreimal war er für den Leo-Perutz-Preis nominiert (und hat ihn zuletzt auch gewonnen).

THOMAS RAAB

HERKUNFT: WIEN ALTER: 43 FAMILIENSTAND: VERHEIRATET, ZWEI TÖCHTER MIT SCHAUSPIELERIN SIMON HEHER SCHWÄCHE: ICH VERGESS‘ NIX STÄRKE: ICH VERGESS‘ NIX MAG: BOHNENSALAT UND GRÜNEN TEE, AKTUELL DEN FILM „DIE GRUBERIN“ UND DAS LIED „MANFRED MUSTERMANN“ VON BLUMENTOPF

Sind Sie neidisch auf Ihre Kollegen?

Nein. Ich bin eh schon gesegnet, mit dem, was ich erleben durfte. Und der Bernhard ist einer meiner liebsten Autorenfreunde. Den habe ich so gerne. Und ich weiß, was er hinter sich hat. Ich wünsche ihm, dass er diesem Druck standhält. Und ich wünsche ihm, dass das Buch wirklich ein Spitzentitel wird – nicht nur im Programm.

Wie hoch ist der Druck mit jedem weiteren Buch?

Der Erwartungsdruck von außen wächst schon -damit muss ich noch umgehen lernen. Sich irgendjemandem beweisen wollen, damit kämpfe ich jeden Tag und sag‘ mir: Jetzt lass‘ das, Thomas, denk‘ an dich.

Werden Sie immer am ersten Buch gemessen?

Nein, ich werde immer am Vorgängerbuch gemessen, weil das Vorgängerbuch immer erfolgreicher war als das davor.

Wann sein neues Buch erscheinen wird, ist ungewiss. Ob noch im Herbst, ob erst im Frühjahr nächsten Jahres muss noch mit dem Verlag geklärt werden. Fest steht, dass es mit Sicherheit nicht Metzgers siebenter Fall werden wird. Obwohl es der ungewöhnliche Ermittler war, der Raab den ersehnten Schritt nach Deutschland, zum angesehenen Droemer-Verlag, ermöglichte. Kolportiert wird die schöne Anekdote, wonach die Frau von Droemer- Geschäftsführer Hans-Peter Übleis von einem Metzger-Roman so angetan war, dass sie ihrem Mann empfahl, Th omas Raab zu engagieren. „Ja“, sagt Raab, „diese Geschichte stimmt.“ Wovon das neue Buch handeln wird? „Ich schreibe die Geschichte eines Mörders -von der Geburt bis zum Ende.“

Das Ende dieser Geschichte ist noch längst nicht erzählt. Denn sein Killer-Instinkt lässt dieses Trio Grenzen überschreiten. Länder-Grenzen. Genre-Grenzen. Elsbergs Th riller werden wie der Btb-Erstling Aichners in mehrere Sprachen übersetzt (erscheinen u.a. in den USA, Frankreich und Italien). Alle drei Autoren harren der Verfilmung ihrer Werke. Marc Elsberg: „Die Filmrechte sind vergeben. Wie weit die Verfilmung und das Vordrehbuch sind, weiß ich nicht, nachdem ich darauf keinen Einfluss habe.“ Wie schaut es mit der geplanten Metzger-Verfilmung aus? „Heuer dürfte einiges passieren. Aber das darf ich jetzt noch gar nicht sagen“, sagt Th omas Raab. Bernhard Aichner, seit einer gemeinsamen Kriminacht Raabs geschätzter Spezi, verrät zumindest, dass sich eine Berliner Produktionsfirma die Rechte gesichert hat, mit dem Plan, einen internationalen Kinofilm zu machen: „Toll wird das.“ Nachsatz: „Weil du noch einmal ein ganz anderes Publikum kriegst. Die mediale Aufmerksamkeit, die der Film bringt, kann man wunderbar für den Buchverkauf nutzen.“

BERNHARD AICHNER

HERKUNFT: INNSBRUCK, AUFGEWACHSEN IN SILLIAN ALTER: 42 FAMILIENSTAND: VERHEIRATET, DREI KINDER SCHWÄCHE: UNGEDULD STÄRKE: TRÄUMEN MAG: DIE KÖLN CONCERTS VON KEITH JARRETT, OSTTIROLER SCHLUTZKRAPFEN UND HAT EIN SCHÖNES LEBENSMOTTO: LIEBEN BIS ZUM SCHLUSS

Was Aichner so gelassen ausspricht, ist etwas, das auch die anderen beiden unverhohlen eingestehen. Ja, sie wollen von ihrer Arbeit als Schriftsteller leben (können). Elsberg kann das bereits sehr gut; Raab bezeichnet seine Schriftsteller-Existenz als reicher als sein früheres Lehrer-Dasein, schiebt aber sofort einen überaus wichtigen Satz nach: „Aber damit meine ich nicht mein Einkommen.“ Und Aichner darf sich aktuell über einen schönen Vorschuss seines Verlages freuen, betreibt aber nach wie vor gemeinsam mit seiner Frau ein Fotoatelier in Innsbruck. Marketing gehört zur Überlebensstrategie. „Da sind wir wieder beim Gesamtpaket“, sagt Aichner. „Ein gutes Buch allein ist zu wenig. Der Autor muss genauso seinen Beitrag leisten, Marketing, Lesungen, Interviews, Facebook, Fotos.“ Wie das geht, zeigte er bereits vor einem Jahr bei der Buchmesse in Leipzig. Er verteilte Visitkarten, inklusive USB-Chip mit Aichner-Infos; und während sich andere Austro-Literaten bei der Lesung durch ihre Texte schleppten, überraschte er alle, indem er mit dem mit einer wunderbar sonoren Stimme ausgestatteten 3sat-Moderator Ernst A. Grandits einen spritzigen Dialog inszenierte. Wenige Tage darauf schloss er mit Btb ab. Geklappt hätte es wohl auch ohne diesen geglückten Auftritt; das Beispiel zeugt aber von gelungener Ideenfindung (und dem entsprechenden Bewusstsein).

Apropos Ideenfindung: Wie töten Sie am liebsten? „So, dass nie ganz klar ist, wer der Gute ist, wer der Böse“, sagt Raab. Und Aichner sagt: „Es darf schon ein bisschen kreativ sein.“ Deshalb lässt ihn das Gewehr am Kopf nur milde lächeln. Abgesehen davon, dass es eh nur aus Plastik ist.