AKUT

Endlich Bürgermeister!

ENDLICH BÜRGERMEISTER!

Äußere Attraktivität? Innere Werte? Vergiss es! Ein Mann, der weiß, wie die Hasen laufen, weiß auch, was sie anlockt. Also Ellenbogen raus, weg mit den Konkurrenten und ran an die Macht. Denn: Macht macht sexy.

TEXT: MANFRED REBHANDL / FOTOS: MAXIMILIAN LOTTMANN

Allmächtiger Gott. Er fällt mir als Erster ein, besser gesagt, die irdische Entourage frömmelnder Männer, die sich in seinem Namen fortan Bischof, Kardinal oder Papst nannten und es geschafft haben, für sich und ihren elitären Club – nebst einem stattlichen Vermögen – auch unglaubliche Macht anzuhäufen. Aber die taugen wenig zum Thema. Denn das Thema heißt: Macht macht sexy, also eine saftigere Form des Anhimmelns, der tierische Instinkt, der einen Alpha zum Romeo macht. Und so steh ich jetzt mutterseelenallein an einer Bar und frage mich, warum eigentlich mutterseelenallein? Die Antwort, die ich mir beim zehnten selbstmitleidigen Schnaps geben muss, lautet: Weil ich keine Macht habe!

Es ist nämlich so, dass mir nie eine zuhört, wenn ich an einer Bar stehe. Sie sagen dann nur: „Du bist Autor? Okay, verpiss dich!“ Die Frauen, meistens die allerschärfsten, nicht selten die allerjüngsten, hängen an den Lippen von fettärschigen Schwachmaten, die goldene Uhren an ihren Handgelenken tragen, mit dem Autoschlüssel (Cayenne!) wackeln und vor allem davon erzählen, in welche Projekte sie gerade investieren, welche Aktien ihrer verdammten Meinung nach gerade „Fantasie“ haben oder welchen ihrer Konkurrenten sie gerade auf welche Art zur Sau gemacht haben. Die Frauen hängen alle an den Lippen von Männern, die Macht ausstrahlen, denn Macht gefällt ihnen, Macht macht sie lüstern, macht sie verrückt. Von mir hingegen wollen bestenfalls rot gefärbte Buchhändlerinnen wissen, wie oft sich mein neues Buch verkauft hat und ob es sich besser verkauft hat als das von diesem oder jenem experimentellen Lyriker, den niemand kennt.

Wie also kann ich das ändern? Wie komme ich endlich an Macht? Um noch Papst zu werden, ist es für mich leider zu spät, ich kann kein Latein. Und für eine Verbrecherkarriere im Lichte der Öffentlichkeit bin ich zu weich, aus mir wird kein El Chapo mehr. Und die einzig realistische Chance für mich, doch noch an einen Haufen Geld zu kommen, mit dem ich mir dann Macht erkaufen könnte, ist ein Volltreffer im Lotto. Wohlgemerkt: die einzige realistische Chance! Ich muss endlich ein mächtiger Mann werden, koste es, was es wolle. Einer von denen, die seit jeher die gleichermaßen faszinierendste wie problematischste Lebensform auf unserem Planeten darstellen. Schnell heißt es „Rübe ab!“, wenn wir einem mächtigen Mann in seiner unsympathischsten Form als Tyrann begegnen, oder eben „Ab in die Hölle!“, wenn er von der Kanzel herunter mit uns spricht. Die Leute haben Angst vorm mächtigen Mann, oder zumindest Respekt, oder sie bringen ihm Bewunderung entgegen, und ich will das auch! Ich brauche also ein geeignetes Machtinstrument zum Aufbau, Ausbau und Erhalt meiner Macht, und nach wir vor eignet sich dafür nichts besser als die Drohung. Umgemünzt auf die heimischen Verhältnisse heißt das: Jeder Bürgermeister in jedem stinkenden Kuhdorf kann mir die Umwidmung meines wertlosen Grundes in Bauland verweigern, wenn ich mich mit ihm oder seiner Partei anlege. Er kostet Macht, die ich noch nie gekostet habe. Er vergibt die Putzfrauenstelle in der örtlichen Schule und er kann den Weibern im Bierzelt an die Dutteln greifen, ohne dass ihm deswegen etwas passiert. Und sogar wenn er besoffen mit dem Auto nach Hause fährt, wird ihn deswegen kein Polizist aufhalten, denn er ist ja Bürgermeister. Herr Bürgermeister!

Hilfreich auf meinem Weg zur Macht werden Probleme sein, die sich seit meiner Kindheit manifestieren (Zu kurzes Schwänzchen! Zu viel Muttermilch! Zu wenig Liebe insgesamt!) und die ich nun mit aller Kraft kompensieren werde. Dabei nehme ich auch einiges an Erniedrigungen und Demütigungen in Kauf, und ich muss Nehmerqualitäten entwickeln: Ich darf keine Scheu vor Lederhose, Gamshut und Bierwampe haben. Ich werde obendrein ein paar innerparteiliche Konkurrenten aus dem Weg räumen (es ist wichtig, brutal zu sein!), und dann muss ich noch lernen, die Blasmusik zu dirigieren (extrem wichtig: Sei lernwillig!). Ich muss das Ziel im Auge behalten, das ich unbedingt erreichen möchte, und das heißt: Bieranstich, Plastikbänder durchschneiden, Grundstücke umwidmen (oder eben nicht)! Und ich muss an den Lohn denken, der mir winken wird: Weinköniginnen oder Narzissenbräute werden meine engsten Freundinnen sein, und nicht nur auf Facebook! Das Gute daran: Es wird dabei völlig egal sein, wie ich aussehe, denn der mächtige Mann muss nicht mit dem Stil und der Grandezza eines Gianni Agnelli gesegnet sein, der Vertreter eines aussterbenden Bürgertums war, das seine Macht und sein Geld noch mit Verantwortung für die Allgemeinheit aufgefettet hat. Der mächtige Mann kann im Gegenteil aussehen wie Donald Trump und sich auch wie dieser benehmen oder frisieren. Kritische Distanz zu sich selbst ist für den mächtigen Mann nur hinderlich! Es gilt im Gegenteil, unreflektiert goschert und über alle Maßen selbstbewusst zu sein und dabei so etwas wie einen eigenen Stil zu entwickeln. Ich werde mir ein Beispiel an diesem 32-jährigen, unfassbar mächtigen Collegebubi nehmen, das mit seinem Facebook den Datenklau der ganzen Welt beherrscht. Alle bewundern und beneiden ihn, und das zu Recht! Aber seine Gattin wird sich schön langsam fragen, warum sie überhaupt einen Farbfernseher zu Hause haben, wenn ihr Zuckerberg seit Jahr und Tag das gleiche graue T-Shirt trägt. Das gleiche T-Shirt tragen kann ich auch, denn in meinem Lagerhaus haben sie weiß Gott genug grüne davon!

Wichtig ist, dass ich eine geile Praktikantin finde!

Habe ich mir dann endlich mein Bürgermeisteramt erkämpft/erschwindelt/ erkauft, war ich goschert genug und habe ich meinen eigenen Stil entwickelt, ist es von allergrößter Notwendigkeit, mein Terrain zu markieren. Dabei schaue ich mir an, wie es die ganz Mächtigen der Welt gemacht haben: Ex-US-Präsident Clinton verteilte seine Human Fluids auf dem Kleid einer Praktikantin, die – so wie es sich gehört! – vor ihm kniete, während sie ihm einen blies. Die Botschaft war klar: Die gehört mir! Oder ich blicke nach Osten zu Wladimir Putin, der halb nackt am Pferd sitzend durch Sibirien ritt und uns dabei seine Männertitten zeigte. Auch seine Botschaft war klar: Ich darf das, denn ich darf alles! Genauso wie Silvio Berlusconi Bandana über künstlichem Haar und Hängetitten zeigen darf. Es wird für den Erhalt meiner Macht von allergrößter Wichtigkeit sein, dass ich mir überhaupt nichts mehr scheiße, dann wird mein Leben als Mächtiger ein einziges Bungabunga werden. Dass die kleine Schwester der Macht die Lächerlichkeit ist, muss mir dann völlig egal sein, und das wird es auch sein! Wichtig ist, dass ich eine geile Praktikantin finde!

Werde ich vielleicht überfordert sein im Amt des Bürgermeisters? Nein! Der klein gewachsene Putin war schließlich auch nur bedeutungsloser Geheimdienstmit- arbeiter in St. Petersburg, bevor sich ihm die Chance auftat, russischer Präsident zu werden; und Berlusconi hat Fernsehsatelliten verkauft, bevor er Italien in den Abgrund regierte. Das ist vollkommen egal! Sie haben alles richtig gemacht, als sie ihre Chance beim Schopfe packten, denn zaudern geht überhaupt nicht, wenn man an die Macht kommen will. Als Bonus dafür, dass auch ich zupacken werde, wenn sich mir die Chance bietet, winkt mir bereits jetzt die Bewunderung aller Frauen in meinem Dorf. Entscheidungsfreude und Rücksichtslosigkeit sind bekanntlich die Eigenschaften, die Macht zum mächtigsten Aphrodisiakum überhaupt machen und die Frauen bis zur Selbstverleugnung betören: Sie sind nämlich zu Recht gelangweilt vom ewigen Zögern der Zigarettenwuzler, Versicherungsvertreter und Tages- und Nachtkellner in unseren Ferienhotels, und sie spüren instinktiv, dass ihnen Träger von engen schwarzen Jeans oder Besitzer von Skodas kein taugliches Erbmaterial für ihren Nachwuchs bieten können. Frauen bewundern Toughness und sie schmelzen dahin, wenn dann noch ein kleiner Haufen Geld dazukommt, den wir uns mit Toughness und Entscheidungsfreude erwirtschaftet haben, und wenn wir einen Teil dieses Geldes in eine Handvoll mächtige Autos investieren. Wenn ich mir als Bürgermeister also ein paar Grundstückwidmungen noch mit Gefälligkeiten lohnen lasse, geht es mir im hohen Alter womöglich doch noch wie Rupert Murdoch, dem unfassbar mächtigen und unverschämt reichen Medientycoon, für den sogar Jerry Hall noch schnell auf Sterbebegleiterin umgesattelt hat, Zusatzausbildung: Blasenkatheter! Für die Klatschzeitung breiten die beiden natürlich das rührende Märchen der „großen späten Liebe“ aus, aber auch das habe ich längst gelernt auf meinem Weg zur Macht: Du musst lügen wie gedruckt! Und die Wahrheit ist keine Tochter der Zeit, sondern bestenfalls etwas für vollkommene Verlierer.

Wenn ich erst mal zu den Mächtigen zähle, dann mache ich mir die Welt wiedewiedewiesiemirgefällt. So wie Elon Musk zum Beispiel. Der ist einer der momentan mächtigsten Checker des Silicon Valley, fliegt in den Weltraum und ist absehbar mit seinen Elektroautos der mächtigste Autobauer der nächsten 200 Jahre. Aber er lässt sich gerade auch zum dritten Mal scheiden, und zwar von der gleichen Frau! Weil er mächtig ist, ist das scheißegal. Er wird eine zweite Frau finden, von der er sich auch dreimal scheiden lassen kann. Zwar hat eine Autorin erst unlängst das todtraurige Leben der Gattinnen mächtiger New Yorker Upper-Eastside-Männer beschrieben (und für Bürgermeistergat- tinnen in Österreich wird sich das Leben vermutlich nicht anders darstellen): Depression, Botox, trockene Scheide. Aber das ist nun mal der Preis, den sie dafür bezahlen müssen, dass sie mit Männern unseres Schlages zusammen sind, die nicht nach den strengen Lehren des „welt- bekannten Sozialwissenschaftlers Hugh Hefner“ (Zitat Al Bundy) leben und im Playboy blättern müssen, um zu sehen, was „Tiffany“ und „Mandy“ (oder in meinem Heimatdorf: Elfriede und Gertrude aus dem Bierzelt) zu bieten haben. Ich kann es also kaum erwarten, endlich Bürgermeister zu werden. Mein Leben wird um so vieles besser sein als jetzt, und an der Bar wird sich keine mehr von mir wegdrehen, wenn ich ihr sage, wer ich bin: „Ich bin Bürgermeister.“ „Nein!“ „Doch!“ „Wow“!