KULTUR
Warum nicht einmal nach: Bordeaux
Mitte Juni wollen Alaba & Co in Bordeaux dem EM-Gegner Ungarn einschenken. Ein Besuch der berühmten Weinstadt lohnt aber auch vor dem Anpfiff zum Ländermatch.
TEXT: MAX WILDE
Erinnerungsfetzen aus Bordeaux: Ein Baske war mit von der schweren Partie, und ein Gesöff namens Lillet. Außerdem eine Schnecke. Aber keine besonders süße, sondern eine aus sprödem Holz. Ganz am Ende des Abends spielte eine gewisse „Dame de Shanghai“ eine tragende Rolle. Ich glaube, sie hatte was mit dem Hafen an der Garonne zu tun. Mit dem Geruch von Rost und von Merlot …
Rotweinflecken, zerronnene Kleckse, weich hingezitterte Striche: Nach besonders gelungenen Abenden male ich mir mein Bordeaux immer ein wenig verschwommener aus. In etwa so, wie französische Impressionisten das taten, wenn sie den bukolischen Flecken im Südwesten des Landes wieder mal auf eine Leinwand pinselten. Denn irgendwie hat auch das Bordeaux der berühmten Maler stets mit Flüssigkeiten zu tun. Édouard Manet ließ das Wasser im Hafenbecken schimmern, Dockarbeiter rollen feucht glänzende Weinfässer hin und her. Oder Alfred Sisley. Der hatte es mit Überschwemmungen am Stadtrand des alten Bordeaux. Die Alleen und kleinen Dörfer, die sich in den Sisley- Wasserlachenspiegeln, sehen teilweise heute noch so aus. Allmählich kehrt die Erinnerung an gestern Abend zurück. Und wirklich: Der Baske gewinnt an Kontur. Sarl Gendurtiz heißt der Typ, und sein Laden Café Napoleon. Blinde Spiegel, Fin-de-Siècle-Interieur. Ein Stück Frankreich wie aus dem Bilderbuch – und wie es in Bordeaux besonders häufig anzutreffen ist. Gestern betrachtete ich es besonders genau. Und zwar immer schön durch den Boden eines Gläschens mit Lillet, dem lokalen Zitrusfrüchte-Aperitif, auf den tout Bordeaux so stolz ist. Das Café des Basken liegt am Cours du 30 Juillet. Gleich gegenüber der Weinbar Le Bar à Vin, die dem Konsortium Vin de Bordeaux gehört und eine täglich wechselnde Weinkarte von zwanzig Grand Crus hat. Zwanzig Crus! Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen! Und genau das tat ich auch, und nicht bloß in der Bar à Vin. Womit die hölzerne Schnecke ins Spiel kommt.
Sie befindet sich ebenfalls nur wenige Schritte weit entfernt, an den Allées de Tourny. Die Schnecke windet sich als feine Wendeltreppe der Vinothek L’Intendant zwölf Meter hoch quer durch ein klassizistisches Stadthaus, vorbei an 15.000 Flaschen Wein. Ein kurviger Abgang ist da vorprogrammiert. Apropos kurvig: bleibt noch die Sache mit der „Dame de Shanghai“. Ich stöberte sie im verwaisten Industriehafen von Bordeaux auf, vor einiger Zeit noch die dunkelste Ecke der Stadt. Früher fuhr die „Dame de Shanghai“ zur See. Doch jetzt hat sich der ausgediente Lastkahn in Richtung Club- Restaurant aufgetakelt. Eine gute Ecke, um Bordeaux nachzuspüren, ist der letzte Ankerplatz der Disco-Dschunke allemal. Denn der Quai Armand Lalande, wo die „Dame de Shanghai“ ihren wahren Heimathafen fand, ist ein Ort, an dem Bordeaux gerade die eigene Geschichte entstaubt. Spaziert man das linke Garonne-Ufer hoch, so tauchen bereits vorher Les Hangars auf – alte Lagerhallen, die nun schicke Designer-Stores horten. Am Quai des Chartrons haben sich prächtige Weinhändler-Depots in kleine Bistros und Cafés verwandelt – während unter dem Ziegelstein-Gewölbe einer 1824 errichteten Lagerhalle für Übersee-Delikatessen nun zeitgenössische Kunst reift. Geist und Flasche, Bordeaux bietet beides. Das Musee d’Art Contemporain CAPC an der Rue Ferrere hat sich dabei auf Malerei und Skulptur der Sixties spezialisiert. Eine weitere Museums-Offensive steht soeben an: Anfang Juni eröffnet am benachbarten Quai de Bacalan La Cité du Vin – eine Art Wein-Erlebnis-Parcours mit hochprozentiger Architektur, die an einen überdimensionierten Dekanter erinnert. Aber die Bordeaux-Cuvée kann noch mehr. Ich spaziere zum Marché des Capucins, dem Bauch von Bordeaux. Jetzt, am frühen Morgen, brummt dieser Markt im Stadtviertel Victoire lauter als mein Schädel – aber er duftet auch nach Ziegenkäse und nach der öligen Sardinenart Alose, einer saisonalen Spezialität. Zum Flohmarkt vor der grauen Basilique Saint-Michel sind es nur wenige Schritte. Ausgestopfte Eulen, senegalesische Tanzmasken, bürgerliches Tafelsilber, marokkanische Leuchten weisen den Weg. Ein wenig später holt mich in den engen Gassen des Quartier Saint-Pierre das Mittelalter ein. Schließlich ist Bordeaux mehr als der schönste Rotwein-Flecken der Grande Nation. Es ist auch eine Stadt mit uraltem Kern. Mit honiggelben Fassaden aus dem 15. Jahrhundert. Und mit düsteren Sackgassen, die im Idealfall zum nächsten Bistrot à Vin führen. Besonders lauschig: Der intime Place Saint-Pierre mit seinem alten Kastanienbaum.
Doch durch die wahre Lebensader der Stadt fließt das Wasser der Garonne. Spätestens mit der Neugestaltung der Uferpromenade zwischen Quai Louis XVIII und Quai Richelieu – ideal zum Joggen, Skaten und Bummeln – erlebt der Fluss ein Comeback. Gegenüber der Place de la Bourse laufen Kinder und Verliebte über die spiegelnde Fläche und die Wasserdampfschwaden eines versteckten Flachbrunnens. Früher trampelte Napoleon hier herum und ließ seine Armee ab 1822 über Bordeauxs erste Steinbrücke marschieren. Besonders hübsch sind die siebzehn Bögen des Wahrzeichens Pont de Pierre bei abendlicher Illuminierung. Ein Flucht-Achterl geht trotzdem noch: Ausflug ins Wein-Mekka Saint-Émilion, Mutter aller schweren Rotweine. Eine knappe Stunde dauert die Fahrt ins hügelige Zweistromland von Garonne und Dordogne, das man sich ein wenig wie das Weinviertel vorstellen muss. Mit sandigen Böden und Nussbäumen neben blühenden Holunderbüschen. Mit sanften Wellen und Weinbergschnecken, vor denen sich der gelernte Retzer vielleicht ekelt, die aber in Saint-Émilions kleiner Weinbar L’Envers du Décor zu Kabeljau-Tartar mit Eichblattsalat serviert werden. Es gibt allerdings noch weitere Unterschiede zwischen Bordeaux und dem Brünnerstraßler. Schließlich kredenzt der berühmte Weinort Saint-Émilion ja auch noch hochkarätiges Weltkulturerbe. Ich staune über Katakomben im Weinberg, über die Einsiedlerhöhle Chapelle de la Trinité und über Europas größte aus einem Stein gehauene Kirche, die Église monolithe. Wenig später sehe ich die Châteaus der Gegend nicht doppelt, sondern dutzendfach. Das liegt aber nicht am Wein, sondern am Geschmack, den viele adelige Franzosen an Saint-Émilion fanden. Weit mehr als hundert elegante Landschlösser und Herrensitze verteilen sich nun über die Kuppen der hügeligen Landschaft und laden zu pipifeinen Degustationen ein. Eines davon ist das elegante Château Franc Mayne aus dem 16. Jahrhundert: modernes Design, ein atemberaubend in den Sandstein geschlagenes Kellerlabyrinth und die Verkostung himmlischer Buketts. Bordeaux macht eben froh.
Infoporn
Anreise: Direktflug Wien – Bordeaux mit ASL Airline France, aslaviationgroup.com
_HOTEL
Regent Hotel
Place de la Comédie 2-5
theregentbordeaux.com
Das Regent verströmt zwischen bordeauxroter Tapisserie und elegan- tem Wintergarten viel vom Luxus des 18. Jahrhunderts – und ist nach mehrjähriger Komplettrenovierung doch eine brandneue Adresse.
_RESTAURANT
L’Estacade
Quai des Queyries 51
lestacade.com
Den schönsten Panoramablick genießt man vom Rive Droite, dem rechten Ufer der Garonne. Hier liegt das auf Stelzen in den Fluss ragende Restaurant L’Estacade – eine aktuelle Version der traditionellen französischen „Guinguettes“-Uferlokale. Reservieren!
L’Envers du Décor
Saint-Émilion, Rue du Clocher 11
Von Weinjournalisten als Jahrgangsbeste Bar à Vin ausgezeichnet:Die kleine Weinbar L’Envers du Décor bietet zum Verkosten der großen Bordeaux-Weine ausgezeichnete Häppchen.
_SHOPPING
L’Intendant
Allées de Tourny 2
intendant.com
Die am besten sortierte Vinothek der Stadt hält 15.000 Flaschen Wein bereit.
Info: at.france.fr
Fotos: Getty Images, Max Wilde