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Badeanstalten unserer Herzen: Das Gänsehäufel

Sarah Wetzlmayr

Wer sein Herz im Freibad verliert, der findet es im Gänsehäufel vermutlich an genau derselben Stelle wieder an der er es verloren hat. Denn hier bleibt alles wie es immer gewesen ist, egal ob plötzlich Menschen stehend paddeln oder nicht. 

von Sarah Wetzlmayr

Im Gänsehäufel kann man groß werden, ohne es zu merken – man bekommt es nämlich selber kaum mit, dass man älter wird, wenn man Jahr für Jahr, Sommer für Sommer egal ob mit Auto oder Bis dorthin fährt. Aus Müttern werden dort Großmütter und aus den Badehosen tragenden Mädchen werden plötzlich Frauen in bunten Bikinis – doch es passiert irgendwie unauffällig und so dass man es selbst weder merkt noch versteht. Die Sommertage im Gänsehäufel reihen sich aneinander wie Dominosteine, nur dass manche von der Sonne schon ein wenige ausgeblichener sind. Die Stimmen der Frauen die vermisste Personen ausrufen variiert von einem Sommer zum nächsten kaum, nur die Namen der ausgerufenen Personen ändert sich rochadeartig – aus Kevin wird René wir Denise wird wieder Kevin.

Das Gänsehäufel ist eine Institution, nicht nur des Badespaßes und Wasserpritschelns, sondern auch des Erwachsenwerdens. Von den Schwimmflügerln als einzige Bekleidung über die ersten Schamgefühle des eigenen Körpers wie auch anderer Körper gegenüber, bis hin zur ersten großen Sommerferienliebe, mit der man dann irgendwann Kinder hat, die dann genau hier verloren gehen und ausgerufen werden müssen und die man dann wieder verliert – möglicherweise unter großer Streiterei, die sich episodenweise genau ins Gänsehäufel verlagern und vor der ganzen Gänsehäufel-Öffentlichkeit ausgetragen werden. Aber das ist okay, denn es ist ein intimer Rahmen in dem das passiert, und damit ist nicht nur der FKK-Bereich sondern das ganze Sommerbad gemeint. Kabanen (größere Vorbaukabinen) werden von einer Generation an die nächste weitervererbt, die nicht länger nur als Plätze zum Umziehen wahrgenommen werden, sondern in die manche der Saisongäste während der Sommermonate regelrecht einziehen. Es ist eine Subkultur, die sich hier entwickelt hat, die nicht nur von Rainhard Fendrichs Song „Strada del Sole“ getragen wird, sondern auch von zahlreichen anderen Erinnerungsfetzen.

Obwohl das Bad 2003 generalsaniert wurde, stehen die Bauwerke als solche seit 1950 genau so da, denn sie sind denkmalgeschützt. Als Wahrzeichen des Geländes fungiert der Uhrturm, der von beinahe jedem Ort des Bades aus sichtbar sein soll. Uhrzeit an sich spielt jedoch keine allzu große Rolle im Gänsehäufel, denn an den wichtigsten Zeitpunkt – den Badeschluss – erinnert die sonore Stimme des gerade zuständigen Bademeisters. Der Rest der Zeit teilt sich in Pommes holen – Eis holen – baden – eincremen – noch ein Eis holen auf. Der Gänsehäufel-Besucher folgt so einem ganz natürlichen Rhythmus, der von seiner Umgebung vorgegeben wird. Konzipiert ist das Ganze wie ein Mini-Wien in Wien: Es gibt Einfamilienhäuser (Kabanen), kleine Hochhäuser (Turmkabinen), mit größeren und kleineren Wohnblocks, und auch einen Hauptplatz mit Gastronomie, sowie den eben schon erwähnten Uhrturm. Mittlerweile punktet man hier auch mit zusätzlichen Aktivitäten, wie einem Hochseilklettergarten und Stand Up Paddling. Manch ein überzeugter Nichtschwimmer ist hier schon zum Schwimmer geworden – und wenn nicht: Dann kann man immer noch einfach nur braun werden.