AKUT

Verschwörungstheorien um den Reichsbrückeneinsturz

Franz J. Sauer

Vor 40 Jahren stürzte mit der Wiener Reichsbrücke ein Wahrzeichen der Stadt in die Donau. Nicht zwingend zum Nachteil der Stadt, wie der WIENER bereits vor 20 Jahren aufdeckte.

TEXT: FRANZ J. SAUER

Ein seltsamer Anruf bei einer Wiener Tageszeitung am Vorabend. Alle Ampeln an den Rampen zehn Minuten lang auf Rot. Bloß fünf anstelle von bisweilen knapp 20.000 Menschen auf der Brücke, und die alle auch mehr zufällig. Als die Wiener Reichsbrücke am frühen Morgen des 1. August 1976 in die Donau zerbrach, herrschte sehr viel Glück im Unglück, nicht nur deshalb, weil das Debakel nur ein Menschenleben kostete. Auch auf die weitere bauliche Entwicklung der Stadt hatte das zerbröselte Wahrzeichen mehr positiven als negativen Einfluss. Die U-Bahn, für deren Verlängerung nach Kagran zunächst eine Nebenbrücke geplant war, konnte ins Konzept der neuen Brücke integriert werden. Die recht enge Fahrbahnbreite konnte den Verkehrsgegebenheiten angepasst werden. Und auch für die damals bereits vage in Planung befindliche Staustufe Freudenau (1995 fertiggestellt) brachte der Einsturz letztlich Vorteile: Das zur maximalen Ausschöpfung des Stauvolumens notwendige Anheben der alten Brücke hätte Experten-Schätzungen zufolge insgesamt mehr gekostet als der Neubau der Brücke.

Die konkreten Seltsamkeiten rund um die Brückenkatastrophe recherchierte WIENER-Redakteur Alwin Schönberger bereits 1996 zum 20-jährigen Jubiläum penibel. So ging etwa am 31. Juli 1976 knapp vor Mitternacht beim Portier eines Zeitungsverlages ein anonymer wie polizeilich aktenkundiger Anruf ein: „Morgen, gegen fünf Uhr früh, wird die Reichsbrücke verschwinden und Wien das größte Unglück der Nachkriegsgeschichte erleiden.“ Die auf der Brücke zum Einsturz-Zeitpunkt 4h43 befindlichen Fahrzeuge waren: ein VW Käfer, der sich zuvor auf der Brückenauffahrt überschlagen hatte und nun mit Reifenschaden darniederlag, weshalb sich die Besatzung eines ÖAMTC-Pannenwagens um ihn kümmerte. Der ORF-Fahrer Karl Kretschmer hatte seinen Transit angehalten, um dem verunfallten Käfer Hilfe zu leisten, hätte die Brücke also auch längst verlassen sollen (er blieb das einzige Todesopfer des Inzidents). Und der legendäre „Donaubus“ der Linie 26A war auch nur auf der Brücke, weil Bus-Chauffeur Emmerich Volcamsek aus Zeitdruck einen Abschneider zu seinem Dienstantritt in Aspern nahm.

Seltsame Zufälle

Folgerichtig erkennt man: keine der zum nämlichen Zeitpunkt auf der Brücke befindlichen Personen hätte ohne merkwürdige Zufalls-Verkettungen genau dann dort sein sollen. Der Käfer nebst Besatzung lag darnieder, das ÖAMTC-Auto war auch nur deshalb dort. Opfer Kretschmer hätte die Brücke längst übersetzt gehabt, wäre er nicht zwecks Pannenhilfe stehen geblieben. Und Volcamsek hatte nicht nur die rote Ampel an der Engerthstraße überfahren, sondern auch eine nicht vorhergesehene Route genommen, was seinen 26A-Bus versenkte (das Gefährt wurde übrigens repariert und versah noch bis 1989 brav seinen Dienst für die Wiener Linien, damals Stadtwerke).

Weiters sprechen alle Zeitzeugen von einem großen Knall und einer „sich anhebenden“ Brücke, bevor sie einbrach. Sogar auf der Hohen Warte nahm man den Einsturz seismographisch wahr. Und die durch den Krach ausgelöste Amplitude wies durchaus Ähnlichkeiten mit jener einer Bombenexplosion auf. War die Brücke also gesprengt worden? Ihrem Niedergang (das offizielle Untersuchungsergebnis stellte Materialermüdung in einem Pfeiler als Einsturzursache fest) zumindest nachgeholfen worden? Oder hatte man einfach schlampig gebaut, damals in den 30er Jahren, als man die häufigste und stärkste Windrichtung stromabwärts einfach ausser Acht ließ?

Wir werden es wohl niemals erfahren. Die neue Brücke trat ihren Dienst jedenfalls am 8. November 1980 an und hört eigentlich auf den Namen „Johann Nestroy“. Wir gratulieren ihr demnächst herzlich zum 36er. Erst in zwei Jahren erreicht sie das Alter der vorigen, die nach 38 Jahren verblich. Nicht zuletzt dank eines automatischen Check-Systems ist die aktuelle Brücke aber top in Schuss.Fotos: Bundesheer, Stadt Wien, wien.gv.at, wikipedia, buecher-ernst.at