KULTUR

Dancing Kings

Es gibt zahlreiche Gründe, warum so viele ehemalige Tanzmuffel ab einem gewissen Alter ständig beim Tango, Salsa oder Lindy Hop anzutreffen sind. Einer davon ist sicher, dass Männer über 40 kaum irgendwo so begehrt sind wie bei Paartanz–Veranstaltungen. Hier sind noch ein paar andere.

Text: Antonia Wemer

Chef-Sache. Egal ob Topmanager oder Tellerwäscher – auf dem Paartanz-Parkett ist üblicherweise jeder Mann eine Führungskraft. Und egal ob Konzernleiterin oder Krankenschwester, fast jede Frau gibt sich redlich Mühe, ein guter Follower zu sein, sprich: Genau das zu tun, was der „Leader“ gerade von ihr verlangt. Das vermittelt angenehmes Boss-Feeling.

Beschnupper-Kurs. Bei vielen Gesellschaftstänzen wird schon ab dem Anfänger-Level mit Partnerwechsel trainiert. Und auch auf Events ist der regelmäßige Austausch des Gegenübers üblich. -Dadurch wird das Ganze ein bisschen wie Speeddating: Man lässt sich mit -jemandem, den man vielleicht noch nie zuvor gesehen hat, auf eine intensive – im Fall des Tanzens sogar nonverbale! – Konversation ein, um sich nach wenigen -Minuten wieder zu trennen und zur nächsten Tänzerin weiterzuziehen. Es gibt wenige Kennenlernmethoden, die so unverbindlich und zeitsparend sind – und bei denen man sich gleich-zeitig körperlich so nahe kommt.

Damen-Überschuss. Bei den meisten Tanzkursen und -veranstaltungen trifft man mehr Frauen als Männer an, man könnte sagen: Eine Tanzlocation ist das Gegenteil von einer Bar. Dementsprechend konträr verhalten sich auch die anwesenden Damen: Anstatt sich von galanten männlichen Gästen auf teure Cocktails einladen zu lassen, sich dann nach kurzem Zuprosten wieder kichernd mit Freundinnen zu unterhalten und auf Chris Hemsworth zu warten, legen sich Tanzfeen zumeist ganz schön ins Zeug, um aufgefordert zu werden. Es kommt immer wieder vor, dass junge, attraktive, charmante Frauen in sagenhaft sexy Outfits Männern aller Alters-klassen ihr strahlendstes Lächeln -schenken und auch nicht mit Komplimenten sparen, nur um auf die Tanz-fläche zu kommen. Und die Drinks? Soll Chris Hemsworth zahlen, falls er wirklich mal vorbeikommt.

Testosteron-Kick. Die kolumbianische Forscherin Cynthia Quiroga von der Goethe-Universität Frankfurt hat für eine Studie die hormonellen Veränderungen von Tangotänzern untersucht und festgestellt, dass durch das gemeinsame Tanzen das Stresshormon Cortisol abnimmt, während die Ausschüttung von Testosteron deutlich angekurbelt wird. Das ist allerdings nicht der einzige Grund, warum Paartherapeuten diesen Tanz gerne dazu einsetzen, um verfahrene Beziehungen zu retten: Der argentinische Tango fördert auch die Nähe, das Vertrauen und das Sich-aufeinander-Einlassen beider Partner in besonders hohem Maße.

Winter-Saison. Auf den Straßen klebt der Matsch, das Motorrad überwintert in der Garage – aber der Dancefloor ist schneefrei und die attraktiven „Beifahrerinnen“ warten nur darauf, sich vertrauensvoll anzukuscheln. Speziell Tanzarten, bei denen sich die Dancing Crowd kreisförmig über den Floor bewegt und die manchmal auch souveräne Überholmanöver erfordern, können in der kalten Jahreszeit einen Hauch von Highway-Romantik verbreiten. Apropos Überholmanöver:

Verkehrs-Regeln. Für die einen sind sie da, um übertreten, für die anderen, um eisern eingehalten zu werden – und über ihre Sinnhaftigkeit lässt es sich gut philosophieren. Das gilt nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch für Tanzboden-Gesetze. Und wer ein bisschen Ärger sucht, findet ihn ganz leicht: einfach in den Rückwärtsgang schalten und los geht’s!

Kampf-Sport. Paartanz ist nicht nur wie Cruisen, er ist manchmal auch ein wenig wie asiatische Kampfkunst. Wie bei „weichen“ oder „inneren“ Kampfstilen geht es beim Führen darum, geschmeidig und -flexibel zu sein – und seine Energie im richtigen Moment an genau der richtigen Stelle einzusetzen. Beim Tanzen nimmt die Partnerin diese Energie idealerweise auf und führt sie weiter. Daraus entsteht etwas Fließendes, das an das Tui Shou – das Push Hands – im Tai-Chi erinnert.

Stamm-Lokal. Samstagabend und keine Verabredung? Dann kann man entweder ins Beisl ums Eck gehen, sich an den Stammtisch setzen und den anderen Stammgästen zusehen, wie sie mit ihrem Handy und ihren Facebook-Freunden ein Bier trinken oder sich durch Tinder blättern. Oder man geht tanzen und trifft dort viele Menschen, die man kennt – und die sich nicht mit virtuellen Personen beschäftigen, sondern mit ihrem Gegenüber. Das ist in der heutigen Zeit gewöhnungsbedürftig, aber es hat was.

Alkohol-Entzug. Die Leber altert oft schneller als die Beine. Vor allem, wenn man sie jahrzehntelang mehr arbeiten hat lassen als die Gehwerkzeuge. Auch deshalb geben viele Männer in der -Lebensmitte das Glas aus der Hand und nehmen stattdessen eine attraktive Frau in den Arm. Einer der großen gesundheitlichen Benefits des Paartanzes ist, dass man dabei nicht trinken kann. Es gibt aber noch einen anderen: Man kann dabei auch nicht essen. Sondern verbrennt stattdessen sogar einiges an Fett.

Schuh-Fetischismus. Wie immer die Figur einer Frau aussehen mag, ihre Füße sind fast immer hübsch – vorausgesetzt, sie sind gepflegt und stecken in sexy Hüllen. Bei Tänzerinnen ist das im Allgemeinen der Fall. Speziell auf Salsa- und Tango-Events kommen High-Heel-Fans oft voll auf ihre Rechnung. Swingtänzer hingegen müssen ein bisschen weiter nach oben blicken: Lindy-Hopperinnen tragen zwar so gut wie nie hohe Schuhe, dafür aber häufig weite Röcke. Und ja: Der Tanz beinhaltet einiges an Drehungen.