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Eva Walkner

Maximilian Barcelli

Mit mittlerweile zehn Jahren Freeride-Erfahrung habe ich ein ganz gutes Gespür für Gefahren und Risiken am Berg entwickelt. Hundertprozentige Sicherheit kann niemand garantieren, aber jeder kann selbst sehr viel dazu beitragen.   

Text: Eva Walkner

Ich kenne diesen Vorwurf zur Genüge: Freerider sind Verrückte, die sich im unpräparierten Gelände in unnötige und vor allem auch unkalkulierbare Gefahr begeben. Aber das stimmt natürlich nicht. Okay, ich müsste lügen, würde  ich behaupten, dass unser Sport vom Risiko her mit Schwimmen, Fußball oder Tennis vergleichbar ist. Aber gerade wir Profis beschäftigen uns den ganzen Winter über sehr intensiv mit dieser Materie. Wir lesen Lawinenlageberichte, wir studieren Wetterkarten, wir graben Schneeprofile. Und wir versuchen dabei ständig, uns weiterzuentwickeln. Ganz ehrlich: Auf den Straßen Mailands in der Rushhour schüttet mein Körper mehr Adrenalin aus.

Aber natürlich, gerade die vergangenen Monate haben immer wieder gezeigt, dass leider niemand von uns das Risiko hundertprozentig ausschließen kann. Die Freeride World Tour hat durch den Tod von Estelle Balet und Matilda Rapaport zwei schillernde Persönlichkeiten und vor allem zwei ganz besondere Menschen verloren. Matilda ist im Sommer bei Dreharbeiten für einen Werbespot in Chile ums Leben gekommen, sie war 30 Jahre alt. Estelle ist im April, wenige Wochen nach ihrem zweiten Weltmeistertitel, in der Mont-Blanc-Gruppe von einer Lawine erfasst worden. Estelle war 21, sie war so ein fröhliches Mädel, so unbekümmert. Sie hat es immer binnen kürzester Zeit geschafft, die Menschen auf ihre Seite zu ziehen! Und sie war eine unglaublich gute Snowboarderin.Und wir alle wissen: Wenn es hart auf hart kommt, ziehst du gegen die Natur immer den Kürzeren. Spurlos gehen diese Unglücksfälle nicht an mir vorüber. Sie rütteln mich wach. Ich weiß, dass ich noch mehr für meine Sicherheit tun muss!Gerade was die Lawinengefahr angeht, war ich immer schon ein Hosenscheißer. Ich habe keine Probleme, über hohe Cliffs zu springen oder eine außergewöhnliche Linie am Berg zu wählen. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass die Lage nicht sicher ist, dann sage ich immer öfters „Nein“. Dieses Nein-Sagen kann eine richtig schwere Entscheidung sein, die nur du selbst treffen kannst und musst. Aber Freeriden ist ein Sport, bei dem Eigenverantwortung eine riesige Rolle spielt. Du selbst bist für deine Sicherheit verantwortlich.

Deshalb gehört es für mich und meine Kollegen ganz selbstverständlich dazu, immer und immer wieder bestimmte Situationen durchzuspielen. Dazu gehört das Training mit dem LVS-Gerät. Dieses Lawinenverschüttetensuchgerät trägst du als Freerider am Körper. Wenn du unter Schneemassen begraben wirst, können dich deine Freunde oder andere Helfer anhand des ausgesendeten Signals orten und im Optimalfall rechtzeitig befreien. Je öfter du so eine Suche simulierst, umso besser du im Aufspüren eines LVS-Gerätes wirst, umso eher wirst du im Notfall die Fassung behalten und das im Kurs Gelernte richtig einsetzen können. Und umso eher wirst du notfalls in der Lage sein, ein Leben zu retten.

Gemeinsam mit meinen World-Tour-Kolleginnen Jackie Paaso und Aline Bock sowie der Skiführerin Geli Kaufmann werde ich heuer erstmals selbst Fortbildungscamps anbieten. Das Besondere an „Safe on Snow“ (Infos gibt es unter: safeonsnow.org) ist, dass wir uns ausschließlich an Mädels jeden Alters wenden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Frauen, die mit Männergruppen am Berg unterwegs sind, wichtige Entscheidungen gerne ihren Begleitern überlassen. In unseren Kursen sollen die Teilnehmerinnen erfahren, wie sie sich im Falle eines Unglücks richtig verhalten. Dazu gehört das Wissen, welche Tools ich immer im Rucksack mitführen muss (nämlich zumindest Schaufel und Sonde) und dass ich zu Hause immer überprüfen muss, ob die Batterien meines LVS-Gerätes geladen sind. Dazu gehört außerdem, zu wissen, wo man unterwegs ist: Welche Route, welche Tour, welchen Hang man gerade fährt – das sind wichtige Informationen! Ich sollte immer wissen, wo ich mich gerade befinde, um im Ernstfall der Bergrettung Anhaltspunkte geben zu können, wo sich der Unfall zugetragen hat. Im allerbesten Fall wird man all dieses Wissen aber überhaupt nie anwenden müssen. Gerade deshalb ist es so wichtig, sich so gut auszubilden, damit man erst gar nicht in so gefährliche Situationen gerät.

Wenn ich bei einem Contest der Freeride World Tour antrete, dann weiß ich, dass ziemlich sicher nichts passieren wird. Ich habe vollstes Vertrauen in die Bergführer, die die Hänge zuvor über Monate hinweg beobachtet haben. Die Contest-Hänge werden abgesprengt und bei Bedarf kann ein Wettkampf auch um mehrere Tage verschoben werden. Und sollte doch ein Unglück geschehen, so kann ich mich darauf verlassen, dass alle nur erdenklichen Rettungskräfte vor Ort sein werden.

Dennoch: Ganz kann man das Risiko natürlich nicht ausschließen. Vor allem das Verletzungsrisiko ist am Berg immer gegeben. Und natürlich kenne ich das Gefühl der Angst. Ich muss abwägen, ob mir ein geiler Run gewisse Risiken wert ist. Sobald ich mich entschieden habe und losfahre, habe ich die Angst aber aus meinen Gedanken verdrängt. Respekt ist enorm wichtig, um seine Grenzen nicht zu überschreiten, aber während meines Runs würde mich die Angst nur behindern. Trotzdem ist die gesunde Angst ein wichtiger Begleiter, denn sie hilft mir, keinen Mist zu bauen!

Ein ganz wichtiger Faktor für die Sicherheit ist aber natürlich die persönliche Fitness. Ich selbst bereite mich seit Anfang Juli intensiv auf die Wintersaison vor, und auch Hobbysportler sollten spätestens im Herbst mit der Vorbereitung aufs Skifahren beginnen. Wenn du nicht fit bist, wirst du schneller müde, und wer müde ist, macht Fehler und steigert damit seine Verletzungsgefahr. Du hast nicht nur viel mehr Spaß am Berg, wenn du ordentlich trainiert bist; Fitness ist schlicht und einfach eine Verletzungsprophylaxe.

Die World Tour startet heuer am 27. Jänner in Chamonix, am 6. März kommen wir wieder nach Fieberbrunn. Ich konnte die Gesamtwertung zuletzt zweimal hintereinander gewinnen und als Titelverteidigerin ist mein Ziel natürlich nicht, dass ich Dritte werde. Was es braucht, um Weltmeisterin zu werden? Mein Bruder Matthias, der nach seinem schweren Sturz im vergangenen Winter wieder bei der Dakar-Rallye mit seiner Rallye-Maschine tausende Kilometer durch Südamerika heizen wird, hat es einmal schön zusammengefasst: Weder in seinem noch in meinem Sport gewinnt der Wahnsinnigste. Sondern derjenige, der den besten Kompromiss zwischen Risiko und Vernunft findet.EVA WALKNER:
Geboren am: 16. Juni 1979 in Kuchl
Erlernter Beruf: Akademische Sportjournalistin
Größte sportliche Erfolge: Freeride-Weltmeisterin 2015, 2016; Siege auf der Freeride World Tour in Fieberbrunn (2012), Chamonix (2015, 2016) und Alaska (2016)
Wichtigste Filme: „Path of Roses“ (2012),  „Exploring Alaska“ (2016)
Ausrüster/Sponsoren: Millet, Blizzard, Skoda, Cebe, Komperdell, Icebreaker, ABS, Salzburger Hof Leogang, Zanier
Im Netz: evawalkner.comFotos: Heiko Mandl, Dom Daher/FWT, Jeremy Bernard/FWT