ACTION

The White Maze

Maximilian Barcelli

Sie können den Entdeckerdrang einfach nicht unterdrücken. Für ihren neuen Film „The White Maze“ wagten sich Matthias Haunholder und Matthias Mayr in den eiskalten Nordosten Sibiriens.

Text: Hannes Kropik
Fotos: Jonas Blum

Manchmal ist es besser, gar nicht so genau zu wissen, worauf man sich einlässt. Zum Beispiel, wenn man irgendwie von Jakutsk zum Gora Pobeda gelangen möchte. Das eine ist die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Sacha und gilt als kälteste Großstadt der Welt. Das andere ist der „Berg des Sieges“ im Tscherskigebirge und mit 3.003 Metern der höchste Gipfel Ostsibiriens. Dazwischen liegen 1.300 Kilometer Gegend. „Wir hätten nicht gedacht, dass Pasha, unser Pilot, die 42 Stunden lange Strecke ohne Übernachtungspause durchfahren würde“, erinnert sich Matthias Mayr im Gespräch mit dem Wilden Wiener an den Beginn jenes Abenteuers, das sich unter dem Titel „The White Maze“ fantastisch als Freeride-Film zusammenschneiden ließ. „Dabei konnten wir uns auf der so genannten ,Road of Bones‘ bis zum Städtchen Ust-Nera wenigstens mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 70 Stundenkilometern fortbewegen. Danach ging es querfeldein über zwei weitere Bergpässe. Als der Wagen bei minus 60 Grad Celsius das erste Mal im Schnee stecken geblieben ist, hat Pasha nur gemeint: ‚Das wird uns auf den nächsten 200 Kilometern noch öfter passieren.‘ In diesem Moment habe ich realisiert, was wir uns da eigentlich zutrauen.“

Die beiden Freeride-Profis Matthias „Hauni“ Haunholder, 36, und Matthias Mayr, 35, sind keine Kinder von Traurigkeit. Im Winter davor hatten sie sich in den Kopf gesetzt, einen Vulkan in einem See auf der abgelegenen, im Pazifik befindlichen Kurilen-Insel Onekotan mit Skiern abzufahren. Diese Übung ist gelungen (und wurde in dem großartigen Film „Onekotan – The Lost Island“ dokumentiert). Doch statt nach den lebensgefährlichen Wochen auf der menschenleeren Insel nur noch in touristisch erschlossenen Skigebieten dem Luxus perfekt präparierter Pisten zu frönen, fassten die Ski-Buddys schon am Heimweg die nächste Expedition ins Auge: „Vom Flugzeug aus haben wir dieses unglaublich große weiße Labyrinth bewundert und wussten, dass wir dort Ski fahren würden. Nachdem wir auf Onekotan aber gewaltige Distanzen zu Fuß durch Schneestürme marschieren mussten, war unsere ursprüngliche Idee, einfach mit einem Fallschirm abzuspringen. Dieser Plan war dann aber doch zu riskant – vor allem, weil wir beide keine Fallschirmspringer sind …“

Doch auch so war der Trip zum Gora Pobeda alles andere als ein gemütlicher Sonntagsspaziergang. Begleitet von Fotograf Jonas Blum und den Kameramännern Johannes Aitzetmüller und Moritz Sonntag quartierten sich Hauni und Matthias zuerst einige Tage bei Nomaden ein. Von der Gastfreundschaft waren beide begeistert, bei der Qualität der Speisen driften die Meinungen auseinander. „Es gab Rentierfleisch“, sagt Matthias. „In der Suppe, mit Teigwaren, kalt oder warm, zum Frühstück, zu Mittag, am Abend. Ich habe mich an die Beilagen gehalten.“ Hauni hingegen hat die lokale Spezialität gemundet: „In Österreich holen wir uns das Rindfleisch immer von einem Bergbauern. In Sibirien war ich mir sicher, dass die Rentiere ebenfalls in Einklang mit der Natur gelebt haben. Geschmacklich würde ich es irgendwo zwischen Hirsch und Rind ansiedeln, ich fand es jedenfalls vorzüglich.“

Zu den größten Herausforderungen zählten die tiefen Temperaturen. Natürlich kann man sich mit sechs, sieben Schichten Klamotten die eisige Luft vom Körper halten, Zehen und Finger litten aber enorm, vor allem auf den Strecken, die sie mithilfe von Skidoos zurücklegen konnten. Abhilfe bot letztendlich eine traditionelle Bekleidung der Nomaden: eineinhalb Zentimeter dicke Filzschläuche, die sich die Mitteleuropäer über ihr modernen Schuhwerk schoben. Das Atmen fällt zwischen -35 und -55 °C eben deutlich schwerer, und: „spannend war, wie schnell beim Pissen der Strahl verdampft“.

Ein anderes Problem war der Schnee selbst, wie sich Matthias erinnert: „Wir mussten zu fünft rund 300 Kilo an technischem Equipment zum Berg schleppen, davon die letzten 20 Kilometer und 2.000 Höhenmeter tatsächlich ohne Hilfsmittel. Wenn du ohne Ski in frischen Schnee steigst, sinkst du normalerweise komplett ein. Dort sind wir aber sogar mit Skiern eingesunken. In dieser extrem trockenen Kälte hat sich der Schnee wie Staub angefühlt.“

Die eigentliche Gefahr hingegen war – keine 150 Kilometer vom Polarkreis entfernt – die abgeschiedene Lage und die deshalb fehlende Rettungskette. Der nächste Heli stand gute 1.300 Kilometer entfernt. Zur Vorbereitung hatte sich das Team am Kitzsteinhorn das notwendige Know-how antrainiert, um einen Verletzten notfalls selbst zumindest bis zu den 50 Kilometer entfernten Nomaden zu transportieren. Dieses bewusste Risiko war aber letztendlich ein großer Motivator: „Je gefährlicher es wird, umso aufmerksamer und konzentrierter wirst!“

Für Hauni stellte sich die Frage der Sicherheit mit besonderem Nachdruck, denn Mitte März hatte Töchterchen Greta („ein richtiger Sonnenschein“) das Licht der Welt erblickt. „Natürlich war es nicht leicht, so knapp nach der Geburt meines ersten Kindes von zu Hause wegzufahren. Ich habe den Gedanken an meine Tochter immer im Hinterkopf gehabt. Aber wir waren den ganzen Tag so schwer beschäftigt, dass nicht viel Zeit zum Nachdenken geblieben ist. Außerdem war meine Frau Monika ins Projekt eingebunden, und so konnte ich von ihr ein tägliches Update über die Wetterprognosen einholen und hören, wie es der Kleinen geht.“

Hauni, der 2009 als erster heimischer Skifahrer einen Contest im Rahmen der Freeride World Tour gewinnen konnte, glaubt nicht, dass ihn die Vaterrolle übervorsichtig werden hat lassen. „Ich war ja mein Leben lang ein Wettkampftyp und bin deshalb im Kopf relativ stark. Ich weiß natürlich, dass meine Verantwortung größer geworden ist, aber ich weiß auch, dass ich mich auf meine Kompetenzen am Berg verlassen kann. Ich weiß einfach, was ich mir zutrauen kann, und was nicht.“

Eine durchaus kritische Phase galt es beim Aufstieg in eine steile Rinne auf dem Südhang des Gora Pobeda, also die Situation einer klassischen Lawinengefahr, zu bestehen. Doch Hauni und Matthias konnten sich auf ihre jahrzehntelange Erfahrung verlassen: „Wir tappen ja nicht blind in eine Falle hinein, sondern nähern uns einer potenziellen Gefahr wortwörtlich Schritt für Schritt an. Wir wussten, dass über uns eine Wechte brechen könnte, haben uns aber immer so bewegt, dass der Schnee an uns vorbei abrinnen hätte können.“

Nach einer kuscheligen Nacht in einer selbst gegrabenen Schneehöhle gelang den Herren Haunholder und Mayr die historische Leistung der Erstbefahrung in einer Gegend, die zuletzt vor dem Zusammenbruch des Sowjetreichs von einigen Bergsteigern besucht worden war. Und, fragen wir uns jetzt: Wie war die Abfahrt? „Na ja“, gesteht Hauni, „der skifahrerische Übergenuss war es nicht, dafür war der Schnee einfach nicht gut genug. Aber für uns zählt ja auch das ganze Rundherum. Und wenn man bedenkt, wo wir da gefahren sind, dann ist das schon ziemlich cool.“

Auch Matthias Mayr wischt jeden Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines solchen Unternehmens mit einem ebenso stolzen wie zufriedenen Lächeln beiseite: „Das Leben ist doch langweilig, wenn alles so einfach funktioniert. Wir brauchen schon gewisse Anforderungen, um an unsere Grenzen gehen zu können.“ Und so kann man auch davon ausgehen, dass die Reise nach Sibirien nicht die letzte Herausforderung bleiben wird. „Sobald ich von so einem Abenteuer nach Hause komme“, sagt Matthias, „beginne ich zu grübeln, wo ich mich das nächste Mal ans Limit bewegen könnte. Dieser Entdeckerdrang ist einfach nicht zu stillen.“Matthias „Hauni“ Haunholder
Geboren am: 28. Dezember 1979 in Walchsee
Größter sportlicher Erfolg: Sieg auf der Freeride World Tour in Tignes (2009)
Ausrüster/Sponsoren: Atomic, ABS, Sweet Protection, Oakley, Zanier, Stubai Bergsport
Im Netz: hauni.at

Matthias Mayr
Geboren am: 16. Mai 1981 in Wien
Ausrüster/Sponsoren: Elan, Peak Performance, Smith Optics, Pieps, Victorinox, Gregory Packs, Zeiss, contour Felle, Stubai Bergsport
Im Netz: matthiasmayr.comGemeinsame Filme: „Made in Austria“ (2009), „A History Of Snow“ (2011), „Another Day In Paradise“ (2012), „Far Away“ (2013), „Aotearoa“ (2014), „The List“ (2014), „Onekotan“ (2015), „The White Maze“ (2016)