AKUT

Sarahs gute Nachtgeschichten: Party bei der JVP

Sarah Wetzlmayr

Manchmal verlieren wir uns. Nicht nur aus den Augen, sondern ganz einfach uns selbst an einem unbekannten Ort. 

Es kann einem nichts besseres passieren, als wenn man urplötzlich aus dem tiefsten Grind seines eigenen Rausches herausgerissen wird. Durch einen klitzekleinen Wink des Schicksals dreht sich das Verhältnis von Traum und Realität um – man erwacht und ist Teil eines wundervollen Traumes. So geschehen gestern Nacht, als ich mich, beinahe in Alice im Wunderland-Manier, an einem Ort wiederfand, der ständig zwischen Traum und Realität oszillierte:

Eine Feier der sehr engagiert wirkenden Jungen ÖVP in Wien-Favoriten. Hier habe ich gelernt, wie sich eine kleine, einsame Muschel fühlen muss, die – unter sanftem Rauschen der Wellen (oder in diesem Fall, eher des Spritzweins) an einen für sie unbekannten Strand gespült wird. An einer der Wände der kleinen aber feinen Location – einer Kulturinstitution – prangt der Schriftzug „Klappe halten“ – ohne Ausrufezeichen zwar, dafür aber schwarz-auf-weiß – an den sich aber niemand hält, denn die jungen Menschen sprechen angeregt miteinander. Mitunter vernimmt man sogar den einen oder anderen hellen Lacher. Weil ich hier ja angespült wurde, mich also nur zu etwa 10 Prozent im Besitz meiner Handlungsfähigkeit befunden habe, ergab sich für mich auch keinerlei Chance, mich an den Dresscode zu halten: Anzug in wahlweise beige, dunkelblau oder schwarz und gut frisierter Seitenscheitel. Ich versuche, mein Haar dazu zu bringen sich für eine Seite zu entscheiden, denn das muss man ja schließlich ab und zu, und suche den Raum hektisch nach diesem einen Gesicht ab, das mir helfen würde festzustellen, ob diese Realität nun wirklich ein Traum ist. Oder umgekehrt. Ihr wisst schon. Über kurz oder lang würde sich das doch wohl feststellen lassen.

Ich frage höflichst nach besagtem Gesicht und finde mich schnell in einem Gespräch über Fitness im Büroalltag wieder. Nur eine Traum/Realitäts-Minute später verharren wir alle in einer Kniebeuge. Meine mit Spritzerflecken übersähte Jeans spannt ein wenig. Aber ich bin beruhigt – die beige Cordhose des jungen Herrn neben mir auch. Er lächelt mich von der Seite an, doch in diesem Moment fällt ihm sein blondes Haar ins Gesicht und wir verlieren uns aus den Augen.

Ich wünsche mir, dass wir endlich zum Kern der Sache kämen, doch ich erinnere mich daran, die Klappe zu halten und nippe an meinem Spritzer.

Bier ist leider aus und das „Klosett“ ebenfalls belegt. Immer wieder höre ich aus der hintersten Ecke des Raumen ein schnappendes Geräusch, ähnlich eines mit Oral B gepflegten Krokodilgebisses. Eine Filmklappe macht die Runde und gleichzeitig jeden der anwesenden Anzugträger zum Regisseur seines eigenen Traumes. Oder eben seiner eigenen Realität – denn was für den einen ein Traum sein mag, ist für den anderen knallharte Realität. Mein ganz neuer Traum wird es plötzlich, diese Filmklappe zu besitzen, bevor jemand anderer „Und Action!“ rufen kann. Ich erinnere mich an die Aktionsgemeinschaft während meiner Uni-Zeit und beschließe plötzlich, der vorhin erwähnten Aufforderung an der Wand nachzukommen und die Klappe zu halten. Ich nehme also die Klappe und verlasse den Kaninchenbau wieder, bevor aus dieser Gemeinschaft tatsächlich eine Aktionsgemeinschaft wird.