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Summer of Love: Im Sommer gibts ein Love-In
Sie nannten es Human Be-in: Vor 50 Jahren inszenierten Hippies in San Francisco das größte kollektive Love-in der Geschichte. Weil Frieden besser ist als Krieg, Liebe besser als Hass. Und Brücken bauen besser als Mauern errichten, wie tausende Millennials ergänzen, seit wieder Sommer ist. Auf den Musikfestivals der Saison wird es bereits geflüstert: Love ist wieder in.
TEXT: MANFRED SAX
Der Anfang war eigentlich ein Anfang vom Ende. Das spürte der verkiffte Hippie in San Francisco ebenso wie der törichte Teenager in Nirgendwo an der Traun. Der Anfang war weltweit plakatiert: ein Werbespot in Form eines Liedes, das zum globalen Superhit wurde. Es hieß „San Francisco“, geriet Ende Mai 1967 in die Welt und der Text war ein Aufruf, im Sommer nach San Francisco zu pilgern, dort gebe es die ganzen Hitzemonate lang ein „Love-in“, aber hey, „sieh zu, dass du Blumen im Haar trägst“. Die Haare sollten lang sein, wenn du männlich warst, ergänzt durch einen Bart, und der Körper vom Nabel abwärts in Flares stecken, in Österreich auch als „Glockenhosen“ bekannt und so was wie der letzte Schrei. Wenn du Frau bist, dann bitte lange, wallende Kleider. Und sieh bitte zu, dass du einen Joint bauen kannst.
Der Sänger zum Lied hieß Scott McKenzie und tut nichts zur Sache, er verblieb ein One Hit Wonder, aber geschrieben wurde es von John Phillips, der auch hierzulande bekannt war, als Papa der Gruppe The Mamas & The Papas. Allerdings brauchtest du Spürsinn, um Phillips-Hits wie „Monday, Monday“ zu erhaschen. Sie schallten knapp vor drei viertel zwölf aus dem heimischen Radio, im Rahmen der Sendung „Beschwingt um elf“. Dort wurde schreckliche deutsche Soße verbraten, aber knapp vor drei viertel zwölf legte ein offenbar subversiver Musikprogrammierer bzw. eine -programmiererin eine Nummer in den Mix, die für Teenager etwas hieß, 1967 waren das so Sachen wie „I’m A Believer“ (Monkees), „Love Is All Around“ von den Troggs, aber auch „Ruby Tuesday“ von den Stones. Letztere wurden seit ihrem „wilden“ Wiener Konzert im Herbst 1965 lange wie eine heiße Kartoffel behandelt (die Zeitung: „Mick Jagger, Schrecken aller Teenager-Mütter und Ruin aller Friseure von Wien bis Liverpool, hechelt in sein Mikrofon, die Texte sind blöd bis ordinär“), aber „Ruby Tuesday“ schien endlich mal sanft genug. Und die Texte verstand sowieso kein Schwein.
Aber zurück zu John Phillips. Der war nicht nur der Papa zu den Mamas, sondern auch Mit-Organisator eines „gegenkulturellen“ Festivals, das Mitte Juni in den kalifornischen Monterey County Fairgrounds stattfinden sollte. Der Auftakt zum berühmten, „Summer of Love“ getauften Happening, das San Franciscos Stadtteil Haight Ashbury (kurz: „Hashbury“, wie Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson es nannte) einen Sommer lang beherrschen sollte. Eine Gegenkultur, für die relativ unbekannte Namen wie Jimi Hendrix, aber auch Größen wie The Who, Otis Redding, Grateful Dead, Ravi Shankar und Janis Joplin den Soundtrack lieferten. Musikfestivals waren was Neues. Sie waren „Human Be-ins“. Das erste Be-in – im Golden Gate Park (die Inspiration zum Musical Hair) – war im Jänner 67 Geschichte geworden. Jetzt ging es darum, Geschichte zu schreiben. Und weil Papa Phillips Angst hatte, dass nicht genug Leute nach Monterey pilgern würden, schrieb er den Werbe-Jingle „San Francisco“. Den Anfang vom Ende. Das wusste sogar ich, der 13-jährige Teenager aus Nirgendwo an der Traun. Dank Radio Luxemburg (auf MW208) kannte ich den Song früh, nur vergingen Monate, bis er auch in den österreichischen Rundfunk kam. Die heimischen Entscheidungsträger hatten offenbar nach Hören der Botschaft „im Sommer gibts ein Love-in“ auf „bei uns sicher ned“ entschieden. Im Herbst endlich – NACH dem Happening, das er bewarb – wurde das Lied auch bei uns zum Superhit. Ich kaufte die Single, legte sie auf den Familienplattenteller, erwartete den üblichen beruhigenden väterlichen Kommentar („dreh die Negermusi leiser!“) und fiel ins Bodenlose: Mein Alter liebte das Lied. Ein Desaster. Mit den Hippies, so viel war klar, konnte irgendwas nicht stimmen.
Inzwischen, in Hashbury, wurde der Sommer der Liebe Geschichte. Das gegenkulturelle Happening. Die Jugendbewegung, angetrieben von den Hippies. Das, was sie sexuelle Revolution nannten. Die Polarisierung gegen die Elternwelt, auf deren Kappe alles Übel ging: der Vietnamkrieg, der Rassismus, der Kapitalismus, die Geldfixierung des Einzelnen. Hippies pochten auf Sein statt Haben, auf Gemeinschaft und Teilen statt Materialismus, auf Frieden statt Krieg. Auf Freiheit. Psychologe Timothy Leary, der an der Uni Harvard ein LSD-Experiment geleitet hatte, lieferte den wegweisenden Slogan: Turn on, tune in, drop out. John Lennon, der mit den Beatles dank des taufrischen Albums „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ soeben den Zenit des Pophimmels erklommen hatte, schoss mit „All You Need Is Love“ noch eine vereinfachte Formel nach. Die Sorge von Papa Phillips war unbegründet: Die Massen stürmten nach San Francisco, Monterey Pop schwoll binnen zwei Tagen von 30.000 auf hunderttausende Fans an, die dann auch den Sommer über blieben und Learys Slogan umsetzten. Mittels der Ingredienzen Sex, Drogen und Rock. „Haight Ashbury“, so sah es Grateful-Dead-Musiker Bob Weir, „war ein Ghetto von Bohemians, die einfach alles tun wollten. Und wir taten es. Weder vorher noch nachher hat es Ähnliches gegeben. Natürlich gab es LSD und Marihuana zuhauf. Aber es ging im Kern nicht um Drogen. Es ging um Erforschung. Darum, neue Wege des Ausdrucks zu finden und sich der eigenen Existenz bewusst zu werden.“ Allerdings gab es auch Misstöne. Es gab Touristen, die am Wochenende nach San Francisco kamen, um einen auf Hippie zu machen und zum Zwecke Langhaarperücken, falsche Bärte, bunte Klamotten und gutes Gras brauchten. Dafür gab es bald Hippie-Shops. Der Summer of Love war unter anderem auch ein Bombengeschäft. Das Gegenteil dessen, wofür dieser Sommer stand.
Das sommerliche Happening fand auch in London Entsprechung. Das erste Rockfestival der Insel – Barbeque ’67 – war bereits Ende Mai in der Grafschaft Lincolnshire gelaufen, wo neue Bands mit seltsamen Namen wie Pink Floyd und Soft Machine als Anheizer für die Halbgötter The Cream einen Sound vorstellten, den sie „psychedelic“ nannten. Einen Sound, der auf „Klänge im Raum“ anstelle von Melodien setzte und perfekt zu LSD passte. Was Floyd-Frontmann Syd Barrett bald den Verstand kostete. Und Soft Machine’s Robert Wyatt ist heute im Rollstuhl unterwegs, weil er mal dachte, er könnte fliegen, und diesen Gedanken per Sprung aus dem Fenster umsetzte. Mitte Juli veranstaltete Beat-Poet Allen Ginsberg am Londoner Speaker’s Corner eine von mehreren Radiostationen übertragene „Legalize Pot“-Rallye, die dabei gespielten Nummern – „A Whiter Shade Of Pale“ von Procol Harum, „All You Need Is Love“, „Itchycoo Park“ von den Small Faces, „Hole In My Shoe“ von Traffic – erzählen heute noch, worum es beim Sommer der Liebe ging.
In San Francisco ging es mittlerweile darum, den Hippie zu begraben. Die Macher der ersten Stunde hatten die Touristen satt. „Bleibt, wo ihr seid“, hieß es in einer Aussendung, „macht die Revolution, wo ihr lebt. Lasst uns in Ruhe.“ Am 6. Oktober wurde in einem gespielten Begräbnis der „Death of the Hippie“ bekannt gegeben und eine Puppe an seiner statt begraben. Gleichzeitig begann die Industrie das kommerziell zu verwerten, was ihr am Hippie verwertbar erschien: die Musik. Die Plattenfirmen machten sechsstellige Angebote, die kein Musiker verweigern wollte. Das musikalische Hippie-Gold – Janis Joplin – wurde von Columbia-Mogul Goddard Lieberson vereinnahmt. Sie revanchierte sich nicht nur mit der ersten Hippie-Nr.-1 („Cheap Thrills“), sondern besuchte auch einmal sein Badezimmer, wo sie auf all seinen mit „God“ signierten Kämmen und Rasierpinseln ihre Urinprobe hinterließ.
In den USA wurde gleich nach dem offiziellen Tod des Hippies der Yippie getauft. Angeführt von den selbst ernannten Anarchisten Jerry Rubin und Abbie Hoffmann ging es nun darum, politisch aktiv zu werden. Die Feinde waren noch immer Kapitalismus und Amerikas Präsenz in Vietnam, die Aktionen publikumswirksam. Hoffmann besuchte die New Yorker Börse und warf Dollarnoten in die Betriebshalle, und tatsächlich verließen die Brokers ihren Schreibtisch, um die Dollars aufzuklauben. Womit der Betrieb zeitweise ins Stocken kam. Zum Präsidentschaftswahlkampf wurde dann ein eigener Kandidat vorgestellt: das Schwein Pigasus. Das gab nette Schlagzeilen. Allerdings gab es stets Querelen innerhalb der Gruppe. Man war sich selten einig. Hoffmann, zum Beispiel, wollte ein hässliches Schwein, Rubin aber ein schönes. Und dann kam ein Stichwort hoch, das bis heute aktuell ist: Sexismus. Wie Yippie-Mitglied Robin Morgan bald veräußerte: „Die Bewegung hatte ‚free everything‘ als Basis. Alles gratis. Gratis essen, gratis trinken, gratis wohnen …und schließlich: Gratis-Frauen. Und ja, es gab einen Konsens unter Frauen, dass man da mitmachen müsse. Ansonsten rollten wir ja nur die Joints und machten Kaffee. Es gab viele Fälle von Nötigung.“ Morgan und viele Kolleginnen verließen daher die Yippies und gründeten ihre eigenen Gruppen (z.B. WITCH – Women’s International Terrorist Conspiracy Hell), gingen ihrerseits vor Business-Beginn zur Börse, um Alleskleber in die Eingangstüren zu kleben und solcherart das „Business as usual“ zu stören. Der Anarchismus Marke Yippie breitete sich weltweit aus (die 68er-Bewegung), wurde gewalttätig; es gab Massenunruhen, Bomben, Polizeiterror – all die Dinge, die uns auch heute wohlvertraut sind. In Amerika selbst traten die Yippies en gros zum von Timothy Leary angewiesenen dritten Schritt an: drop out. Zurück in die Wälder, in entlegene Canyons, auf die Ranch. So sah es Peter Coyote, der mit seiner Gruppe The Diggers im Sommer der Liebe noch freie medizinische Betreuung organisierte: „Es wurde klar, dass sich die Regierung nicht erweichen ließ. Es war auch nicht lustig, ständig von Bullen geknüppelt zu werden und im Knast zu landen. Also gingen wir auf die Ranch. Wo noch immer das Prinzip freie Liebe herrschte. Man durfte mit einer Frau höchstens zweimal schlafen. Damit man nicht Gefahr lief, ein Pärchen zu werden, also in alte Beziehungsmuster zu schlittern. Als ich dann mit allen Frauen durch war, fuhr ich eben wieder zurück in die City.“ Das war’s. Und bis zum letzten Aufflackern des Hippies in Woodstock war noch über ein Jahr hin.
Derlei Details schafften es kaum ins Alpenland. Schon gar nicht ins Gehirn eines Teenagers. Dort manifestierten sich gerade noch die Schlagzeilen: die Verweigerung von Muhammad Ali, als Soldat nach Vietnam zu gehen, nebst seinem unvergesslichen Sager „I have no trouble with them Vietcong“ (28. April); der Deutschland-Besuch des Schahs von Persien nebst Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg (2. Juni, nebst folglicher Bewegung); schließlich die Erschießung von Che Guevara im bolivianischen Dschungel (9. Oktober). Das war’s. Nicht genug, um daraus einen Zeitgeist zu filtern. Der kam mit der Sprache, die keine Grenzen kennt – der Musik. Sex, Drogen und Rock ’n‘ Roll kamen, nur eben umgekehrt. Zuerst war die Musik. Das polarisierte. Dank Floyd, Beatles, Janis & Co wusstest du, wogegen du warst: Zum Beispiel gegen den österreichischen Sänger Freddy Quinn, der sich musikalisch für den Vietnamkrieg einsetzte („100 Mann und ein Befehl“, „Eine Handvoll Reis“) und im Rundfunk rauf und runter gespielt wurde; gegen TV-Sendungen wie „Heinz Conrads“ oder „Zum Blauen Bock“, die den Zugang zu einem Programm versperrten, das so wichtig war wie sonst nichts: der Beat-Club mit MC Uschi Nerke. In ihren selbst genähten legendären Miniröcken eine Halbgöttin, nicht weniger. Die andere VIP hieß Evamaria Kaiser, die nahezu subversiv immer mal zwischen Wahnsinn der Marke „Ich will nen Cowboy als Mann“ jene Musik einspielte, die dir mehr bedeutete als alles andere. Und ausreichend animierte, um im lokalen Bereich rebellisch zu werden: das Durchsetzen langer Haare gegen den Willen der Eltern; das Tragen von Glockenhosen; der Kauf einer Armeejacke bei Bunzl & Biach in Hörsching; das Zurückschlagen in der Schule, wenn dich der Lehrer ohrfeigte (das Prügelprivileg der Lehrer wurde erst 1969 abgeschafft). Auch das war Krieg.
Die Hippies sind schon lange meier, aber ihre Grundprinzipien sind bis heute gültig: Friede ist besser als Krieg, Liebe ist besser als Hass. Und es mag an der aktuellen Festival-Saison liegen, dass dieser Geist gerade wieder aufzuleben scheint, angenehmerweise aufgrund von Aktionen und Auftritten von Millennials (Gen Y), die nach der seit Jahren manifesten Dominanz einer Mischung aus Krieg, Terror, Sexismus, Rassismus und diversen Katastrophen aktiv wurden. Seit Ariana Grande eigenhändig das One Love Manchester Konzert organisierte, mauserte sich das Wort „Love“ zu einem potenten Hashtag.
Und die Millennials fackeln nicht lange rum wie alte Kaliber vom Schlage eines Chris Martin (Coldplay), wenn es darum geht, die Message zu verbreiten. Es war ein sagenhafter Moment, als Justin Bieber (ja, Bieber!) allein mit Klampfe auf das Manchester-Publikum zumarschierte und anstelle einer langatmigen Botschaft einfach mit erhobener Faust die Worte „Love! Love! Love!“ in den Raum knallte, die von 60.000 mehrheitlichen Millennials einstimmig retour kamen. Es war umwerfend, wie Miley Cyrus (ja, Miley!) im Duett mit Grande demonstrierte, warum Liebe wieder Sache ist, und Positivität stärker als Negatives. Es war (für mich) kein Zufall, dass wenige Tage später Labour-Leader Jeremy Corbyn mit seinem „Gemeinschaft statt Gier“-Programm dank der plötzlich zu den Wahlurnen strömenden Millennial-Stimmen zum Politstar avancierte, nachdem er eigentlich abgeschrieben war. Und wenig später, beim diesjährigen Glastonbury Festival, sorgte er für den größten Publikumsandrang seit den Rolling Stones (2013). Bei einem Festival, bei dem die 20-jährige Lorde für den größten Konzertmoment sorgte und alte Recken wie die Foo Fighters ebenso alt aussehen ließ. Am Ende waren 150.000 Menschen so loved-up, dass selbst Barry Gibb sich vor Rührung schneuzte, als er merkte, dass Love niemanden ausschließt, nicht einmal ihn, der lange Jahre so verhasst war.
Der Summer of Love ist heute 50 Jahre alt, ebenso wie der Club der einsamen Herzen von den Beatles. Und der Hippie ist tot. Aber irgendwo in deiner Nähe, Alter, gibt es diesen Sommer ein Love-in. Lass dich nicht lange bitten. Just do it.