AKUT
SEX. Borstenwurm ohne Hirn: Männchen oder Weibchen?
Es gibt Fragen, für die legt man das Gehirn besser ab. Auch wenn es darum geht.
Text: Manfred Sax
Der Borstenwurm also. Was wird aus Herrn Borstenwurm, fragte mich gestern eine Freundin, wenn man ihm das Gehirn entfernt? Keine Ahnung. Eine Frau Borstenwurm, sagte sie und produzierte einen Zeitungsschnipsel, der eine Findung von Biologen outete: „Entfernt man dem Männchen des Borstenwurms das Gehirn, wird es zum Weibchen.“
Das klingt nun zwar wie der ödeste Stammtischwitz aus Hinterwald, ist den Männern nun wirklich keine sexistische Pointe zu blöd undsoweiter. Aber gut, wenn Biologen es sagen … mal googeln.
Unter „Borstenwurm Gehirn Biologen“ findet sich einiges. Derselbe Schnipsel fand seit März09 in vielen Foren und Blogs Einlass und führte letztlich zu eineM Status bei Facebook, wo sonst, wenn auch anders besetzt – das Weibchen wird bei Gehirnverlust zum Männchen, der Gag somit irgendwie ein wenig lustiger.
Von den Biologen zum Sexchange leider keine Spur. Tatsächlich führt die online-Fährte in Sachen Borstenwurm nur zu einer kompetenten wissenschaftlichen Stelle, nämlich zur Neurobiologin Dr. Kristin Teßmar-Raible von der Uni Wien, die verlautete, dass der Borstenwurm Platynereis dumerilii „mondsüchtig“ sei, soll heißen: Der Mond steuere die Fortpflanzung dieses Meeresgrundkrabblers .
Lichtempfindliche Zellen im Gehirn des Wurms – laut Teßmar-Raible „Mondlichtempfänger“ – animieren die Tierchen, das Männchen umkreist das Weibchen. Worauf die Partner ihre Keimzellen abstoßen – die dann frei schwimmend zu einander finden – vom Mond synchronisiert. Und das ist nun die eigentliche Pointe: Der Borstenwurm vermehrt sich nicht durch Kopulation, sondern überlässt die Befruchtung dem Meerwasser. Dem Mondlicht. Den elementaren Kräften der Natur.
So weit, so immerhin ein globaldörflicher Mythos abgeklärt. Und dem Homo Sapiens bleibt neben dem Erkenntnisgewinn auch noch ein kleiner, verdrossener Stoßseufzer. Warum? Warum ist Gott nicht nur ein DJ sondern auch ein Joker? Frau und Mann könnten ohne einander so wunderbar leben – warum müssen sie dann zwecks Transfer des Gen-pools in den Nahkampf? Die Natur beweist: Es ginge auch anders …