AKUT

Die Schatzinsel oder seine ewige Suche nach ihrer Lust

Manfred Sax

Bei all dem Rummel um die Klitoris kommt die Vagina schon lange viel zu kurz. Dabei ist sie so verdammt fabelhaft! Zeit für etwas Aufsexen: Wie steht es um ihre „sexuelle Kompetenz“? Gibt es nun einen G-Punkt oder doch 4 Punkte oder keinen? Wie geht weibliche Lust? Lasset uns forschen …

Text: Manfred Sax

Geht es um Sex, ist die Wissenschaft oft wie der Pirat im Klassiker „Die Schatzinsel“ unterwegs: Irgendwo auf einer exotischen Insel liegt ein Schatz begraben und die Frage, wie man ihn hebt, würde sich eigentlich nicht stellen, gäbe es da nicht diese Landkarte mit Kreuz drauf, das die Location des Schatzes verrät. Der Schatz, den es in der Sexualforschung zu heben gilt, liegt dank Kinsey seit über einem halben Jahrhundert im Themenbereich „Orgasmus der Frau“ verankert. Der umtriebige Ami hatte 1948 in seinem „Report“ die erstaunliche Theorie vertreten, dass auch Frauen orgasmusfähig sind. Für beflissene Kopulenten nichts Neues, aber endlich machte sich auch ein Wissenschaftler dafür stark. Die Schatzinsel war schnell geortet, klar, das konnte nur die Vagina (bzw. Vulva) sein, die ist mindestens so exotisch wie Bali. Auch die Landkarte zu diesem kleinen Stück Paradies war im Nu gefertigt. Aber mit dem Kreuz an so Orten wie der Klitoris war es mitunter ein Kreuz.

Die eine freut sich, wenn du ihre Klitoris rubbelst, die andere rammt dir das Knie in die Hoden. Riskante Sache, aber spannend.

Bei all dem Rummel um ihren „O“ ging 1950 völlig unter, dass ein gewisser Ernst Gräfenberg auf derselben Landkarte eine ungewöhnliche Stelle markierte, die er G-Punkt nannte. Erst 1981 mauserte sich derselbe zum Ort, wo sozusagen Milch und Honig fließt. Ein Punkt, der die Ejakulation der Frau triggert. Nur ist er nicht frei ersichtlich, wie die Klitoris, er muss ertastet werden. Hier der Lageplan: Man dringe knapp drei Zentimeter am Pfad der Urethra in die Vagina ein und dort, gleich hinter dem Schambein, ist er. Klingt einfach genug. Aber die Trefferquoten blieben bis heute bescheiden. 1984 errechnete ein Forscher namens Vern Bullough, dass nur 14% der Frauen ejakulieren. Zehn Jahre später wurde diese Wahrscheinlichkeit sogar auf 6% reduziert. Rätselhaft.

Rat mal, wo der G-Punkt ist (Nr. 6, angeblich). Illu: Tsaitgaist, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Vielleicht wäre es daher angebracht, die ominöse Landkarte zur Schatzinsel zu zerreißen. Eine Vagina ist ja kein Festland. Sie ist potenzieller Raum, der sich verändern kann. Das heißt auch, dass sie informieren kann. Sie sendet Signale. Der „Pubococcygeus“-Muskel zwischen Schambein und Steiß, zum Beispiel, signalisiert recht heftig, wenn seiner Umgebung ein Orgasmus droht. Ja, simple Aufmerksamkeit ist meist der bessere Wegweiser. Daran sollte man denken, wenn einem etwa das Buch des alten Inselforschers Desmond Morris in die Hände fällt, wo die Vagina vier (!) Kreuze hat, für jeden G-Punkt ein Kreuz.

Nichts gegen eine entsprechende Schatzsuche, die bringt es immer, auch wenn man nichts findet. Aber frag lieber die Vagina nach dem Weg. Der Weg, nämlich der Kanal, hat es auch dem heimischen Forscher Dr Karl Stifter angetan und beim „Pubococcygeus“ verharrte er ein ganzes Weilchen. Dieser Muskel, erkannte er, kann bei gezieltem Training  nicht nur die Vagina in eine dieser bei Männern so hoch im Kurs befindlichen „engen Muschis“ verwandeln (und damit gegebenenfalls den Geschlechtsverkehr zu einem Kontaktsport erheben), sondern auch essenzielle Schrittmacherdienste auf dem Weg zum vaginalen Orgasmus leisten.

„Perfect Pussy“ by Emma Story, Lizenz: CC BY-NC 2.0

Klar, dass das ein politisches Thema ist. Der Planet Sex befindet sich schließlich seit Jahrzehnten auf einer exklusiven Umlaufbahn um die Klitoris. Das süße kleine Ding ist heute ein Symbol für weibliche Unabhängigkeit und kongeniales Selbstbewusstsein. Was soll also die Sache mit der muskulösen Vagina? Und überhaupt – will da jemand andeuten, dass die Vagina zu geräumig sein kann? Derlei unvorsichtige Ansätze kommen selten ohne die postwendende Replik „ist es nicht meistens so, dass der Penis zu klein ist?“ daher. Natürlich ein Missverständnis, was sonst. Es geht nicht um Dimensionen. Herr Stifter bot lediglich ein Training an, das die Vagina zu einem potenteren sexuellen Kommunikator erhöhen kann. Zu diesem Zwecke musste er allerdings den G-Punkt (respektive die vier Punkte) entstauben. Hier die Methode: Frau trainiert den Pubococcygeus – eine superfite Vagina kann nun den Penis hautnah umschließen. Durch die maximale Reibung wird auch der G-Punkt (respektive die 4 Punkte) belästigt, welcher dann sozusagen aufgebracht eine satte Ejakulation triggert. Wir sprechen hier von Ladungen bis zu einem Viertelliter, Madam! Nur: Wo kommt diese nasse Bescherung her? Laut Stifter von der weiblichen Prostata, die da irgendwie verkümmert und bislang ignoriert im Gewebe über dem G-Punkt (resp. die 4 …) kauert. Darüber kann man natürlich debattieren, ich meine, kennt jemand eine Frau mit Prostatakrebs? (Und wenn ja, bedeutet das auch, dass Männer mit Manboobs an Brustkrebs erkranken können?).

Oder aber man kann sich das entsprechende Grübeln ersparen. Meint ein Team israelisch-amerikanischer Forscher aus Yale-New Haven in Connecticut, das nach Analyse von 96 (!) veröffentlichten Studien über den G-Punkt zu einem interessanten Schluss kam: „Wir können ohne Zweifel feststellen, dass eine anatomische Wesenheit, die G-Punkt genannt wird, nicht existiert“, verlautete ein gewisser Dr. Amichai Kilchevsky. Nach Durchgang zahlreicher Interviews mit Frauen, die auf die Existenz des G-Punkts (oder 4) schwören (ihn aber nicht lokalisieren können), nach unzähligen Biopsien vaginaler Gewebe, die Nervenbündel zum Vorschein brachten (aber keinen verifizierbaren Punkt), nach Ultrasound-Studien, die Gewebeverdickungen transparent machten (aber keine signifikante Stelle), wurde die Suche nach dem G-Punkt beendet. Weil es nach Dafürhalten der Forscher keine Sinn hat, etwas zu suchen, das es nicht gibt. Wenn überhaupt, dann soll man sich den G-Punkt nicht wie einen Punkt vorstellen sondern mehr wie eine Gegend, so, wie Wien eine Gegend ist.

Also: Landkarte bitte zerreißen, sie hatte ohnehin von Anfang an Mängel, wie es halt ist, wenn nur eine Karte für alle Frauen existiert, aber jede Frau anders reagiert. Das macht die Schatzsuche stets aufs Neue so spannend.

Titelbild: Fuselis Alptraum by Wartburg.edu, Cartoon: Okayzed, Lizenz: CC BY-NC 2.5