AKUT

In einer Beziehung: Ach, ihr habt euch auf Tinder getroffen?

Manfred Sax

Generation Tinder oder: Es gibt viele Fische im Meer. Aber vielleicht war früher doch alles besser. Eine Abrechnung mit der Dating-Kultur der Millennials.

Text: Verena Bogner

„Kannst du schwimmen? Ich würde dich nämlich echt gerne mal ins Becken stoßen.“ Diese Nachricht, die ich auf Tinder von einem Typen bekommen habe, der sich für originell hielt, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Er reihte sich ein in eine Vielzahl von Männern, die dort mit solchen Sprüchen punkten wollten und von mir auf die denkbar simple Frage „Sex?“ meistens eine Abfuhr kassierten, während ich vor meinem Handydisplay darüber lachte und sofort einen Screenshot für meine Freundinnen und die Nachwelt machte, die natürlich von diesem grottenschlechten Anmachspruch erfahren mussten. Manche Leserinnen und Leser halten mich jetzt vielleicht für gemein, aber ich kann euch versichern, die Männer, die mir auf Tinder so schamlose Fick-Angebote schickten, waren nicht allzu lange traurig.

Denn das ist die Sache mit den Dating-Apps: Sie erscheinen auf den ersten Blick so, als würden sie alles besser machen. Durch sie ist es einfacher, Menschen kennenzulernen, den ersten Schritt zu machen und ins Gespräch zu kommen, es ist einfacher, vielleicht erst einmal herauszufinden, welche Menschen einen überhaupt ansprechen und welche nicht. Aber – und jetzt kommt der große Haken – es ist auch einfacher, sich keine Mühe zu geben, auf Umgangsformen zu scheißen und die in Frage kommenden Partnerinnen und Partner abzuarbeiten wie lästige Punkte auf einer ohnehin schon viel zu lange aufgeschobenen To-Do-Liste. Das mag für Menschen, die auf Tinder nach nichts außer Sex suchen, praktisch sein. Für die hoffnungslosen Romantikerinnen und Romantiker unter uns, die hoffen, online fände man die große Liebe seiner Mittzwanziger, sieht es da schon ein wenig anders aus.

Die Autorin: Verena Bogner, 26, Publizistin.

Die Möglichkeiten auf Tinder & Co. scheinen nahezu grenzenlos: ein bis hin zur Makellosigkeit weichgezeichnetes Selfie nach dem nächsten, alle zeigen sich von ihrer besten Seite, grinsen in die Frontkamera, Männer zeigen ihre Sixpacks, Frauen packen die Bikinifotos aus. Die vielen Optionen wirken verlockend für alle von uns, die mehr Wert auf Quantität als Qualität legen. Wer auf Tinder nach Dates sucht, muss sich auf niemanden wirklich einlassen, denn wenn das neueste Spiegelselfie des aktuellen Matches nicht gefällt, sucht man sich einfach den nächsten oder die nächste, die man anhand ihrer einzeiligen Selbstbeschreibung beurteilt, die im schlechtesten Fall eine Songzeile von Justin Bieber oder ein Gandhi-Zitat und im besten Fall ein lauwarmer Witz ist.

There are plenty of fish in the sea.

Dating-Apps machen die Partnersuche also nicht nur einfach, sie machen sie auch oberflächlich und unpersönlich. Und – das Traurigste – es ist kaum mehr etwas Besonderes, wenn man jemanden kennenlernt. Um das Ganze zu veranschaulichen: Kennt ihr den Spruch, den uns unsere Mütter immer wieder gesagt haben, wenn wir Liebeskummer hatten, weil Patrick, Thomas oder Flo aus der Parallelklasse plötzlich mit einem anderen Mädchen gingen? Richtig: There are plenty of fish in the sea. Naja, was soll ich sagen: Tinder-Nutzer und Tinder-Nutzerinnen fahren quasi auf einem Speedboat und mit ausgebreitetem Fischernetz durch dieses verdammte Meer.

So wird aus einer hochkomplexen, zwischenmenschlichen Angelegenheit eine, die sich anfühlt, als würde man gerade anhand rational nachvollziehbarer Kriterien entscheiden, welchen Geschirrspüler man kauft. Das alles lässt uns vergessen, dass es irgendwann einmal Arbeit war, einen Menschen zu finden, mit dem man sich gut versteht, in den man sich vielleicht sogar verlieben kann. Und es lässt uns auch vergessen, dass sich diese Arbeit irgendwann lohnt.