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Hey Joe, take a Walk on the Wild Side
Sie nannten ihn Little Joe. Und alle, die anno Andy Warhol was hießen, nutzten ihn als Muse. Zu Silvester feiert Joe Dallesandro seinen Siebziger.
Text: Manfred Sax
Little Joe never once gave it away / Everybody had to pay and pay / A hustle here and a hustle there / New York City is the place where they said / Hey Babe, take a walk on the wild side / I said hey Joe, take a walk on the wild side …
Joe Who? Das fragen viele, wenn sein Name fällt. Hier ein paar Anstöße, Aha-Erlebnis garantiert: Lou Reed zum Beispiel. Sein Lied ”Walk on the Wild Side“, möglicherweise der schönste Popsong aller Zeiten. Die Strophe über den Stricher Little Joe, der es nie gratis machte. Das war Joe Dallesandro. Oder das Album ”Sticky Fingers“ von den Rolling Stones – das legendäre Cover mit den engen Blue Jeans nebst Zipverschluss, hinter dem ein stattliches Gemächt ruhte. Ja, das war Little Joe. Oder: der nackte Torso auf der ersten Smiths-LP? Erraten, Joe Dallesandro. Es gab eine Zeit, da wollte jeder ein Stück von ihm.
Joe war ein Teenager mit Vergangenheit als Stricher und Autodieb, als er Andy Warhol traf. Es waren die goldenen Jahre der „Factory“ des Popartisten, und ein Freund schlug Joe vor, den „Typen mit der Campbell-Soup“ zu besuchen. „Ich dachte, es ginge um Suppe.“ (Dallesandro) Dann brauchte es nur Warhols Blick auf Joes Körper, und er war Filmstar („Flesh“, „Trash“ etc). Und Model für Elitefotografen wie Annie Leibovitz und Richard Avedon.
Außerdem war (und ist) er offen bisexuell. Das reichte in Summe mit all den Artefakten, um heute noch als berühmtestes Sexsymbol des US-Undergrounds und der Schwulenszene des 20. Jahrhunderts dazustehen. Er selbst hat über seinen Mentor wenig zu sagen („Warhol hat kaum mit mir geredet“). Und mit “Wild Side“ war es so, dass er das Lied schon lange kannte, ehe er Lou Reed begegnete. Von jemandem als Stricher geoutet zu werden, der ihn nicht einmal kannte? Ist nicht cool.
Wenn Dallesandro daher von seinen größten Momenten spricht, meint er Frankreich, den Film „Je t’aime“ (o.) von Serge Gainsbourg mit dessen Gattin Jane Birkin und Gerard Depardieu (1976). Noch so eine Unvergesslichkeit für alle 70er-Freaks – die Love Story eines Paares, das nur miteinander konnte, wenn sie für ihn zum Boy wurde. „Serge wollte den Film groß in Amerika rausbringen, aber es war wohl zu früh für dieses Land.“ (Dallesandro)
Aber immerhin: Es folgte eine solide Mainstream-Karriere mit etlichen Nebenrollen für Joe. 2009 ließ der dreifache Vater das Showbiz sein und wurde Hausmeister eines Apartment-Blocks in L.A. Was irgendwie besser zu seinen frühen Träumen passt. Denn eigentlich wollte der Mann mit italienischem Stammbaum nur ein Pizza-Restaurant besitzen. Nur war er dafür zu schön. Sowas gibt sich im Lauf der Jahrzehnte. Alles Gute zum Siebziger, Little Joe.
Fotos: Getty Images