Interview
Reinhold Mitterlehner trifft Manfred Rebhandl – Django zeigt Haltung
Bis 2017 war Reinhold Mitterlehner Vizekanzler in der Regierung Kern, dann warf er hin. In seiner Politbiografie „Haltung“ beschreibt er nun, wie Sebastian Kurz schon „lange und systematisch“ an der Machtübernahme gearbeitet hatte.
Interview: Manfred Rebhandl. Fotos: Maximilian Lottmann
WIENER: Von oberösterreichischem Traunviertler zu oberösterreichischem Mühlviertler: Wie war der Winter? Hart und unbarmherzig wie Sebastian Kurz?
(lacht) Es war ein recht schneereicher Winter, aber von der Kälte her durchaus zum Aushalten. Gestern habe ich in Wien das erste Mal den Rasen gemäht und die Garnituren aufgestellt, und nun warte ich, dass es wirklich warm wird.
Weil jetzt wird wieder im Freien tarockiert?
Tarockieren war schon in meiner Zeit als Politiker eine wunderbare Möglichkeit zu entspannen, weil man zwar nachdenken muss, aber selbst das Nachdenken mit einer gewissen Entspannung einhergeht.
Haben Sie eine fixe Runde?
Mehrere Runden.
Sind Sie gut?
Das hängt natürlich immer vom Blatt ab, aber mittlerweile traue ich mich zu sagen, dass ich einigermaßen gut spiele.
Geschnapst haben Sie nie, wie das der gute oberösterreichische Brauch ist?
Geschnapst habe ich als Kind. Aber im Vergleich zum Tarock ist das – ich will jetzt niemandem nahe treten – weniger anspruchsvoll.
„Tarockieren war schon in meiner Zeit als Politiker eine wunderbare Möglichkeit zu entspannen.“
Wer ist der Schwarze Peter in der Politik?
Wenn ich mir den Innenminister anschaue, dann gibt es da klare Tendenzen in Richtung Aufweichen der Gewaltentrennung und Infragestellen der Menschenrechtskonvention, das kann für ein Land mit einer liberalen Demokratie und einer klaren Rechtsordnung nicht gut sein.
Wird aber von „Euch“ Christlichsozialen mitgetragen.
Ich halte das für höchst problematisch.
Sie schauen ein bisserl aus wie der Peter Fonda vom Bezirk Rohrbach. Wie gerne haben Sie das „Hoamatlaund“, wie es in der Landeshymne heißt?
Sehr gerne. Weil ich auch die Melodie der Hymne von der Tonlage her so empfinde, dass sie immer der passende Abschluss jeder offiziellen Veranstaltung ist, auch wenn man sie Hunderte Male gehört hat, ist sie ergreifend.
Man wird ein bisserl „einwendig“?
Das Gefühl ist jedenfalls positiv, und dort, wo man geboren ist, fühle ich mich nach wie vor beheimatet.
Waren Sie dort viel unterwegs als Junger?
Ich war unterwegs wie alle jungen Leute damals, nämlich viel. Bin aber über den eigenen Ort eigentlich nicht wirklich hinausgekommen, weil bei uns relativ viel los war und wir uns das teilweise selbst organisiert haben, es gab ja keine Discothek, also haben wir uns die im Pfarrheim selbst gemacht. Wir haben auch so kabarettähnliche Auftritte organisiert mit Nachrichten und heimischen Werbesendungen.
So ein bisserl „Late Night Show mit Reinhold Mitterlehner“?
Genau. Wir haben auch Laientheater gespielt mit einer Truppe, Ministrant war ich natürlich auch, und nachdem ich eine gute Stimme gehabt habe, habe ich – wenn irgendwelche Besuche da waren – Gedichte aufsagen müssen oder dürfen.
Vorgetragen mit Insbrunst?
So wie es halt früher war.
Apropos früher: Die ÖVP war immer mehr die Landpartei, ohne Bäucherl hat man sich am Stammtisch besser nicht blicken lassen. Sie schauen fit aus, wenn auch nicht slim fit …
(lacht) Ich habe da keine klischeehaften Zuordnungen, was den „typischen Politiker“ und sein Erscheinungsbild nach Deixmuster angeht. Ich habe mich immer daran orientiert, dass mich Bekannte, die mich längere Zeit nicht gesehen haben, wiedererkennen sollten. Im Endeffekt habe ich seit der Matura plus/minus zwei Kilo mein Gewicht gehalten, bin aber alles andere als ein Fetischist in dem Bereich, der perfekte Bodymaße haben möchte.
Die Katholische Kirche in Ihrer Heimatgemeinde ist dem Heiligen Erhard geweiht. Gehen Sie noch zur Messe?
Ich besuche nach wie vor die Messe, wenn ich dort bin, denn Kirche und nachher Frühschoppen, das ist so eine Art Struktur, wo man in der Kirche was zum Nachdenken hat und nachher Bekannte trifft, und wenn ich in so einen Sonntagsrhythmus hineinkomme, ist der als Wochenzäsur nicht schlecht.
„So wie ich damals damit zurechtkommen musste, müssen halt jetzt andere damit zurechtkommen, dass ich die wahre Geschichte erzähle.“
Gehen Sie in der Tracht?
In der Tracht wirklich nur ganz selten, obwohl ich mehrere solcher Stücke habe, steirische und sonstige. Aber ich ziehe sie eher ungern an, weil ich finde, dass sie nicht wirklich zu mir passt.
In dieser Kirche stehen sicher einige Heiligenfiguren herum. Ist auch ein Heiliger Sebastian darunter?
(lacht) Das weiß ich mit Sicherheit, dass der nicht dort drinnen steht, weil dort sind die vier Kirchenheiligen als Säulenheilige und sonst niemand. Plus der Heilige Erhard.
Hat Ihnen der Pfarrer dort irgendwann prophezeit, dass sie 2017 Ihren Gottseibeiuns in Gestalt von Sebastian Kurz treffen werden?
Unser Pfarrer engagiert sich in dieser Weise nicht tagespolitisch und hat nie etwas dergleichen prophezeit. Hingegen äußert sich unser Pfarrer durchaus klar in der Flüchtlingsfrage zum Beispiel, wie auch letzten Sonntag wieder.
So wie Sie, der Sie in Oberösterreich die Lehrlingsinitiative von Rudi Anschober unterstützen.
Ich habe mich bereits 2007 in einem Falter-Interview für die sinnvolle Beschäftigung von Flüchtlingen ausgesprochen, ich muss
da also nirgends aufspringen oder mich verbiegen. Weil die These, wir würden damit Flüchtlinge anziehen, halte ich für wirklich absurd. Noch absurder wird es, wenn wir mittlerweile im Rahmen der Rot-Weiß-Rot-Card Lehrlinge suchen müssen, die man aber nicht finden wird, weil wegen einer Lehrlingsausbildung alleine flüchtet niemand nach Österreich.
Jemanden 1,50 Euro pro gearbeiteter Stunde anzubieten …
… ist zynisch, wenn ich bedenke, dass z.B. im gesamten Land Vorarlberg für 540 Asylwerber insgesamt Kosten von 22.000 Euro im Monat auflaufen. Das ist ungefähr so viel, wie ein Minister verdient und daher menschenverachtend und peinlich.
Der Herr Bundeskanzler unterstützt das.
Es bleibt dennoch menschenverachtend und peinlich.
In Ihrem Heimatort gibt es eine Textilfabrik. Für Sie gab es aber nie die „Versuchung“, ein Sozi werden?
Ich habe mich schon als Schüler in Richtung Volkspartei orientiert, weil ich durch meine Familie die „Sorgen“ der Unternehmer unter Bruno Kreisky kannte. Ich bin aber, was Bruno Kreisky angeht, durchaus der Meinung, dass er im Bereich Bildung oder Stipendien unglaublich wichtige Schritte gesetzt hat, die mir ein Studium oder das Gymnasium in Rohrbach erst ermöglicht haben. Es gab zu dieser Zeit eine sehr schöne Durchmischung, was den sozialen, aber auch den regionalen Bereich anbelangt, und das hat sich bei mir positiv in Richtung einer offenen Einstellung ausgewirkt.
Damit konnten nicht alle in Ihrer Partei etwas anfangen. Sie kommen in Ihrem Buch HALTUNG auf den Kollegen Sobotka zu sprechen, der in der Zeit vor dem „Putsch“ 2017 immer sehr provokant agiert hat.
Sie werden von mir keinen Satz finden, der beleidigend oder ordinär gewesen wäre, denn in meinen Augen ist grundsätzlich ein gewisser Respekt dem anderen gegenüber nötig. Den Bundeskanzler aber immer – so wie Sobotka das kurz vor meinem Rücktritt häufig getan hat – als „Versager“ zu bezeichnen, das ist weder guter Stil noch hilfreich, das hat in der Politik nichts verloren.
Setzt sich aber immer stärker durch?
Leider. Das ist ja ein Kennzeichen des Populismus, dass immer stark aufgetragen und ausgrenzend formuliert wird, das finde ich bedauerlich. Es geht kaum mehr um Sachpolitik, sondern darum, wer Emotionen besser manipulieren und steuern kann.
Es gibt in der Nähe Ihres Heimatortes eine Kapelle Maria Rast, wo „heiliges Wasser“ fließen soll. Haben Sie dort nach den Ereignissen 2017 Heilung für Ihnen zugefügte Wunden gesucht?
(lacht) Im Zusammenhang mit den damaligen Ereignissen mag das zwar witzig klingen, aber ich habe Maria Rast nie besucht, um dort etwaige auch psychische Verletzungen zu heilen. Allerdings, wenn ich mit dem Mountainbike unterwegs bin, fahre ich dort vorbei, weil das eine wirkliche Kraftquelle ist, die im Ort und auch für mich persönlich einen Stellenwert hat.
Und Kraft brauchten Sie in der Zeit um Ihren Rücktritt 2017 herum, die Sie nun in Ihrem Buch HALTUNG beschreiben.
Damit das niemand falsch versteht: Ich bin dreißig Jahre in der Politik, und wäre das eine normale Intrige gewesen, hätte ich mit keiner Wimper gezuckt. Nachdem aber immer wieder Leute fragen, was da wirklich passiert ist, ist das mein Versuch, das Geschehene zu dokumentieren. Außerdem: Meine Politbiografie wollte ich immer schreiben, und da wollte ich dieses Kapitel „Machtwechsel 2017“ nicht aussparen, denn: Warum soll das immer auf meiner Person abgerechnet werden? So wie ich damals damit zurechtkommen musste, müssen halt jetzt andere damit zurechtkommen, dass ich die wahre Geschichte erzähle, das ist ja nichts Illegitimes.
Es werden aber schon ein paar Leute ordentlich ausgerichtet, wie wir es uns alle insgeheim erhoffen?
Jemand hat einmal gesagt: Ein Buch ist entweder fad oder es ist auch ein wenig indiskret. Es war halt notwendig, dass ich in diesem Buch gewisse Gespräche oder Ereignisse auch wiedergebe mit dem Ziel, die Geschichtsschreibung nicht den derzeit Regierenden zu überlassen und stattdessen zu belegen, mit welcher Energie und wie systematisch am „Umsturz“ gearbeitet wurde.
Wann haben Sie gemerkt, dass Sebastian Kurz einen größeren Plan hatte, den Sie vielleicht nicht gleich verstanden haben?
Schauen Sie, als ich 2014 begann, als Parteiobmann zu arbeiten, war der jetzige Bundeskanzler in Meinungsumfragen schon sehr gut aufgestellt, also habe ich ihm damals vorschlagen: Schauen wir uns mal die Legislaturperiode an, und am Ende entscheiden wir, wer von uns beiden bei der nächsten Wahl den Spitzenkandidaten macht …
Er war damals als 28-Jähriger schon „ambitioniert“?
Er hat damals „zurückgesteckt“ und so getan: Ja, das machen wir … Aber in der Rückschau hat sich herausgestellt, dass er eigentlich im Mai 2016, als Christian Kern Faymann abgelöst hat, schon vorhatte, die Macht zu übernehmen. Viele haben halt damals gesagt: Na ja, so ein junger Mensch hat ja noch Zeit abzuwarten und sich das in Ruhe anzuschauen. Aber einige hatten Angst, dass Kern sich zementieren könnte, daher gab es schon erste Versuche, den Wechsel herbeizuführen. Ab diesem Zeitpunkt hat im Hintergrund die Mannschaft um Kurz alles getan, damit unsere Regierung nicht erfolgreich ist …
Stichwort Sobotka?
… Genau. Denn sonst hätte sich ja niemand einen Wechsel gewünscht. Das war die Ausgangslage, die zu sinkenden Umfragewerten geführt haben, obwohl unsere 23 % im Mai 2016 ja noch relativ hoch waren.
Warum haben Sie kein väterliches, aber strenges Machtwort gesprochen?
Was hätte ich tun sollen? Jemanden hinausschmeißen? Seine Illoyalität anprangern? Dann wäre der Streit nach außen gedrungen, und manche wären demotiviert gewesen. Ich habe mich stattdessen bemüht, die Einheit der Partei nach außen zu tragen.
Was treibt Kurz?
Ich glaube schon, dass ein gewisses Gefühl von „Macht“ eine Rolle spielt, denn es gab ja keinen inhaltlichen Wettstreit der Programme zwischen uns, sondern nur das Streben nach Macht, nach der Verfügbarkeit von Ressourcen und Personen.
Ist man da abgestoßen, oder auch beeindruckt?
Dass jemand, der so souverän die Wahl gewinnt, auch Fähigkeiten hat, was das Marketing, Taktik und Publikumswirksamkeit anbelangt, ist ja ganz klar. Auf der anderen Seite gibt es den inhaltlichen Bereich, der nicht so stark ausgeleuchtet wurde, aber in Zeiten des Populismus ist das scheinbar nicht der Entscheidende.
Ihr Ausblick?
Wir brauche eine offene Gesellschaft, mehr Meinungsvielfalt, ich darf nicht immer nur nach hinten abschotten, ich brauche eine positive Vision für die Zukunft. Integratives Miteinander in der Gesellschaft fehlt mir vollkommen, und dorthin müssen wir wieder kommen. Das ist auch die Alternative, die sämtliche Wissenschaftler als Alternative zum Populismus empfehlen: die positive Vision.
Dürfen wir Sie ein letztes Mal mit „Django“ befassen?
(seufzt)
„Django der Rächer“ heißt einer der zahllosen Django-Filme. Wer sollte Ihnen also besser nicht mehr in die Gasse kommen?
In solchen Kategorien denke ich nicht, die blinde Rache ist nicht meines. Wenn, dann eher die feine Klinge, wenn es passt.
„Zwei Trottel gegen Django“ heißt ein weiterer dieser Filme, also Fangfrage: Können Sie uns also zwei nennen, die sich mit Ihnen versucht haben anzulegen?
(lacht) Ich bin froh, wenn ich von diesen Zuschreibungen jetzt langsam weg komme, und beschäftige mich damit nicht mehr.
Django zeigt also Haltung auch im Abgang?
Ja. ×
Reinhold Mitterlehner
wurde 1955 im oberösterreichischen Helfenberg geboren, er maturierte in der Bezirkshauptstadt Rohrbach und absolvierte sein Jus-Studium in Linz. Während seiner politischen Karriere, die ihn ab 2000 in den Nationalrat führte, war der Liberale in der Wirtschaftskammer verankert. 2008 wurde er als Wirtschaftsminister angelobt, später kamen Wissenschaft und Forschung dazu. Von 2014 bis zu seinem Rücktritt von allen Ämtern 2017 war er ÖVP-Obmann und Vizekanzler.
Haltung
Von Reinhold Mitterlehner
2017: Reinhold Mitterlehner von der ÖVP ist Vizekanzler, und Kanzler Christian Kern von der SPÖ kommt bei den Wählern und beim Boulevard gut an. In der ÖVP steigt die Angst, dass er sich auf Jahre hinaus an der Macht zementieren könnte. Im Hintergrund wird von Sebastian Kurz am „Umbruch“ und an der „Neuen Volkspartei“ gearbeitet, bis Mitterlehner zurücktritt. Die Geschehnisse rund um diesen Umbruch in Partei und Regierung werden anhand von Unterlagen, Dokumenten und eigenen Notizen samt Hintergründen detailliert und chronologisch erklärt, sie zeigen, wie wenig es in der Politik mittlerweile um
Inhalte geht, sondern vielmehr um Macht und Machtdurchsetzung.
Buchpräsentation: am 23.04.2019 ab 19 Uhr in der Thalia Filiale W3
Landstraßer Hauptstraße 2a/2b