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Das Tierschutzvolksbegehren – Isst uns Tierleid wurst?
Das Problem einer Gesellschaft, in der Fleisch ganz selbstverständlich als das Hauptnahrungsmittel schlechthin gesehen wird. Und warum das Tierschutzvolksbegehren, das noch bis zum 29. Juni 2020 läuft und Unterstützer sucht, ein richtiger und wichtiger Ansatz ist, um daran Entscheidendes zu ändern, wie wir im Gespräch mit dessen Initiator Sebastian Bohrn Mena herausgefunden haben.
Im 18. Jahrhundert schrieb der Franzose Jean Anthelme Brillat-Savarin: „Sage mir, was du isst, und ich sage dir, was du bist“. Der Begründer der „Wissenschaft vom guten Essen“, der Gastrosophie, hatte dabei aber logischerweise noch nicht den überbordenden Fleischkonsum der heutigen Zeit im Blick. Doch gerade dieser ist das wohl problematischste Symptom moderner Ernährungsgewohnheiten in großen Teilen der Welt und zieht einen ganzen Rattenschwanz an Problemen mit sich.
Das Nahrungsmittel Fleisch, historisch schon immer ein Symbol für Wohlstand (und teilweise auch Männlichkeit), verursacht Tierleid, Umweltzerstörung und macht die Menschen krank. Aber keine Sorge, dieser Text wird kein Plädoyer für Vegetarismus oder Veganismus, denn immerhin ist der Mensch – wenigstens das ist wissenschaftlich unumstritten – ein Fleischfresser und sollte dies im Sinne ausgewogener Ernährung auch bleiben. Allerdings muss gesagt werden, dass zu viel Fleisch gegessen wird. In vielen Haushalten landet es jeden Tag am Teller, und das nicht bloß einmal. Schinken zum Frühstück, Schnitzel zu Mittag, Hauswürstel am Abend – Mahlzeit. Wie war das? Die Dosis macht das Gift. Das gilt natürlich und gerade auch beim Fleischkonsum.
Im Sinne der eigenen Gesundheit raten Mediziner immer öfter zu zwei, drei Mal Fleisch pro Woche. Für den Konsumenten selbst bedeutet das einen ausgewogeneren, gesünderen Ernährungsstil und ermöglicht zudem, bei gleichbleibendem Budget qualitativ hochwertigeres Fleisch zu kaufen. Was wiederum die Bemühungen bäuerlicher Erzeuger und Initiativen unterstützt, in den Bereichen Tierwohl und Tiergesundheit andere, bessere Wege zu gehen. Denn die – nach wie vor meistgekauften – Diskonter-Sonderangebote bedingen in der Regel Qualzucht mit Antibiotika-Exzessen, Tiertransport-Horror über hunderte Kilometer und Schlachtungsstress unter unwürdigsten Bedingungen.
Wer sich ob dem einen oder anderen gut bekannten Gütesiegel in Sicherheit wiegt, liegt leider falsch: Fleisch-Importe aus Ländern mit teilweise noch viel niedrigeren Standards sind aufgrund fehlender Kennzeichnungspflicht oft überhaupt nicht zu erkennen. Dass für die möglichst billige Fütterung derart gequälter Tiere Gen-Soja aus gerodeten und niedergebrannten Regenwaldregionen in Südamerika importiert wird, welches trotz tausender Kilometer langer Transportstrecke billiger als heimisches Soja ist und für Umwelt wie indigene Bevölkerung katastrophale Folgen hat. Wer sich diese Dinge bewusst macht und entsprechend handelt, muss sich heute aber, Obacht, mitunter als Besserwisser, Bobo oder Pseudo-Feinschmecker beschimpfen lassen. Dabei macht der einzelne Konsument den Unterschied aus – und je mehr darauf achten, was auf ihrem Teller landet, desto besser für Tiere, Umwelt und letztendlich den Menschen.
Diese Zusammenhänge sichtbar zu machen, ist nicht immer leicht – dementsprechend war es für den Initiator des Tierschutzvolksbegehrens eine heikle Aufgabe, den richtigen Überbegriff für die Anliegen der Bewegung zu finden. Sebastian Bohrn Mena entschied sich dann aber ganz bewusst für „Tierschutzvolksbegehren“, auch wenn er selbst sagt, es könnte genauso gut „Zukunfts-, Landwirtschafts-, Ernährungs-, Generationen-, Gesundheits-, Öko-, oder Bio-Volksbegehren heißen, denn das steckt ja alles drin. Am Schluss fiel aber die Entscheidung, dass wir es auf ‚Tierschutzvolksbegehren‘ herunterbrechen, denn die allermeisten Menschen haben einen direkten Bezug zu Tieren, aber meist eben nicht einen zu landwirtschaftlich genutzten Tieren. Und ich finde es spannend, Leute, die mit Hunden oder Katzen zusammenleben und diesen den Status fühlender und denkender Mitgeschöpfe zugestehen, dafür zu sensibilisieren, dass sie diesen Status auch den Ferkeln, Küken und Kälbern zugestehen sollten.“
Dass es bei „seinem“ Volksbegehren aber nicht bloß um diese Frage, sondern um eine viel größere, umfassendere Problematik geht, ist auch Bohrn Mena bewusst: „Die Frage, wo fange ich an, wo höre ich auf, die beschäftigt mich von Beginn meiner Überlegungen zu diesem Volksbegehren, und je näher wir zum Ende kommen, desto intensiver beschäftigt sie mich. Gerade jetzt erleben wir, ausgehend von den deutschen und niederländischen Schlachthof-Skandalen, eine breite gesellschaftliche Debatte über die Frage, wie wird eigentlich unser Essen hergestellt. Da geht’s um die Arbeitsbedingungen derer, die das für uns herstellen, aber auch um die Frage, müssen wir wirklich ein System stützen, dass ausschließlich auf die Maximierung von Profiten ausgerichtet ist. Denn dort geht es ja schon lange nicht mehr um Qualität, da geht es nur mehr um die Menge. Das ganze System ist darauf ausgerichtet, alles möglichst billig herzustellen.“
Und letztlich wird auch darauf geachtet, das System möglichst intransparent zu gestalten, denn: „Je intransparenter ein System ist, desto weniger Verantwortung können Menschen dafür übernehmen und desto leichter sind sie manipulierbar. Da steckt keine große Verschwörung dahinter, sondern da geht es ganz klar darum, dass es umso leichter ist, den Menschen alles Mögliche im wahrsten Sinne des Wortes aufzutischen, je weniger sie darüber wissen, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden. Denn wenn draufstehen würde, dass die Eier aus der Ukraine kommen, dann würden die Leute das eher nicht kaufen. Oder dass bei uns das Kalbfleisch fürs Schnitzel aus Holland kommt, während wir unzählige Kälber ins Ausland exportieren. Nicht alle werden sich da auf den Schädel greifen, aber viele zumindest. Aber je intransparenter das ist, desto weniger werden die Zusammenhänge ersichtlich und desto weniger werden die Leute hinterfragen, warum das eigentlich alles so sein muss. Aber wenn wir ein System haben, in dem man Kinder zwölf Jahre lang darauf konditioniert, hochkomplexe mathematische Formeln zu lösen, gleichzeitig aber nichts darüber lehrt, wie es Nutztieren geht oder wie die moderne Lebensmittelproduktion funktioniert und welche wirtschaftlichen Zusammenhänge dahinterstehen, dann muss man fragen, wie es in unserer Gesellschaft um Bildung und Wertigkeiten bestellt ist.“
Was Sebastian Bohrn Mena dennoch ablehnt, ist eine gesetzliche Preisregulierung durch Steuererhöhung auf Fleisch. Denn das würde am Ende niemandem nützen, weder den Bauern noch den Tieren, dafür würde es aber wohl soziale Unterschiede noch weiter befördern. Dass die Politik aber auf alle Fälle Teil der Lösung sein muss, ist klar. Mit der Regierungsbeteiligung der Grünen besteht in Österreich die Hoffnung, dass Verbesserungen eingeführt und auch die Forderungen des Tierschutzvolksbegehrens prominent behandelt werden. „Ich glaube aber, dass mittlerweile auch große Teile der ÖVP unseren Kernthemen einiges abgewinnen können“, so Bohrn Mena. „Gerade mit dem Bauernbund gibt es Überschneidungen, wie beispielsweise bei der Frage nach der Lebensmitteltransparenz, oder wenn es darum geht, dass die kleinen Bauern höhere Förderungen bekommen und nicht so sehr die Agrarkonzerne oder die Großbauern. Und generell bin ich davon überzeugt, dass das Bewusstsein in der Bevölkerung steigt, dass sich etwas ändern muss, nicht zuletzt befeuert durch die Klimadiskussion und ganz aktuell auch durch die Auswirkungen der Corona-Krise. Immer mehr Menschen verstehen, dass es etwas mit dem eigenen Teller zu tun hat – und dem kann sich keine Partei verschließen.“
Gerade jetzt wäre also wohl ein guter Zeitpunkt, um sich zu fragen: Wie möchte ich, dass meine Lebensmittel hergestellt werden, wie möchte ich, dass mein Fleisch hergestellt wird? Will ich eine kleinteilige, österreichische Landwirtschaft, will ich, dass es dem Klima gut geht, will ich, dass es den Tieren gut geht? Dieses gesellschaftliche Momentum will das Tierschutzvolksbegehren nützen und die Frage, ob uns Tierleid „wurst isst“, eindeutig mit nein beantworten. Wer sich noch einmal ganz genau über die Anliegen des bis 29. Juni 2020 laufenden Tierschutzvolksbegehrens informieren und in weiterer Folge auch unterschreiben und damit Veränderung einleiten möchte, der kann und sollte das unter www.tierschutzvolksbegehren.at tun.
Das Schlusswort dazu gehört Sebastian Bohrn Mena, der schon jetzt verspricht, mit dem Ende der Eintragungsfrist und der folgenden Behandlung des Tierschutzvolksbegehrens im Parlament dieses so wichtige und umfassende Thema nicht einfach ad acta zu legen, sondern dranzubleiben und weiterzumachen. „Das nächste Projekt, quasi die Fortsetzung des Tierschutzvolksbegehrens, wird genauso wieder unter Einbeziehung der Menschen passieren. Und jeder, der sich beteiligen möchte, ist herzlich willkommen, jetzt und in Zukunft. Meine E-Mail Adresse findet sich auf der Website und es gibt 150 verschiedene Möglichkeiten, das Volksbegehren zu unterstützen, also bitte mir einfach eine Nachricht zukommen lassen. Das Wichtigste ist, dass jeder versteht, dass es auf ihn ankommt – egal wie klein der Beitrag ist. Denn am Ende sind wir eine Summe und nicht zu klein, um einen Unterschied zu machen!“