AKUT

Spar dir das!

Jakob Stantejsky

Hedonismus also. Die Kollegen haben dem geneigten Leser hier und hier ja schon ausführlich erläutert, was das ei­gent­lich für ein Zeug ist. Fakt ist, egal wie man Hedonismus genau definiert, es geht immer um Lust, Glück oder sonst etwas Leiwandes. Also das genaue Gegenteil vom Leben mit Rechenschieber im Anschlag. That’s where you’re wrong, kiddo.

Text: Jakob Stantejsky / Foto: Getty Images

Denn sehen wir den bitteren Tatsachen ins Auge. Viele der schönen Dinge des Lebens sind kein billiges Vergnügen. Je nach persönlicher Definition des Begriffs ist man also gezwungen, entsprechend Moneten zu besitzen, um seinen Hedonismus auszuleben. Also zusätzlich zu jenen, mit denen man seine Grundbedürfnisse bestreitet. Schwierig in einer Zeit, in der Notwendigkeiten wie Miete und Co. preislich in immer luftigere Höhen streben. Wenn also das Otto-Normalverdiener-Durchschnittsgehalt keinen Spielraum für große Abenteuer lässt, müssen die nötigen Mittel anderweitig generiert werden. Und das bedeutet 2021 nicht unbedingt zusätzliches Einkommen, sondern einfach weniger ausgeben. Schließlich lassen sich per Internetz Preise für jede Nichtig- und Wichtigkeit vergleichen, Sonderangebote ­herausfiltern und jedwede Besorgungen garantiert börserleffizient abschließen. Das zwingt im End­effekt auch die Anbieter zum Tiefpreiskrieg, sodass nie ein Tag ohne Rabattaktion ins Land zieht. Wer da am Ball bleibt, kann regelmäßig massive Einsparungen vornehmen, von denen ein konservativer Finanzminister beim Anblick des Bildungs- und Sozialbudgets nur feucht träumen kann. Sparen hilft also beim Spaßhaben, denn unterm Strich bleibt mehr übrig. Doch darüber hinaus ist das Sparen selbst zu einem Akt der Selbstbefriedigung geworden. Nur dass man mit seinen nicht verprassten Euros ­öffentlich prahlen kann.
Man kann ja schließlich nicht einfach zum Supermarkt rennen und bekommt dort jedes gewünschte Produkt zum Sonderpreis sonstwohin ­geschoben. Nein, da gibt es das Prozent-Wochenend, die Rabattmarkerl, die 25-Prozent-Aufkleber, das Gutscheinheft, den Monatssparer und zahllose 1+1-, 2+2- und 6+6-Aktionen. Und da reden wir nur von einer einzigen Kette. Wer also seine Ausgaben wirklich effektiv minimieren will, muss eine regelrechte Wissenschaft betreiben. Die Mühe lohnt sich dann allerdings auch ordentlich. Bestes Beispiel ist der Vater des Autors dieser Zeilen, der regelmäßig drei- bis vierhundert Euro auf einen Sechshundert-Euro-Einkauf im Lebensmittelhandel spart. Das geht natürlich nicht jeden Tag, sondern nur, wenn diverse Nachlässe zu einem mächtigen Gesamtrabatt kombiniert werden können. Gerade mit Produkten, die eine Weile halten, deckt man sich so richtig billig ein. Der Lohn ist neben einem dickeren Börserl eine ­gewisse Zufriedenheit und durchaus auch Bewunderung der Umstehenden. Logisch, schließlich hält man es eigentlich für unmöglich, so großen Profit aus den Marketingstrategien von Millionenunternehmen zu schlagen. Die schauen ja primär, wo sie selbst bleiben. Und ja, das Sparen auf höchstem Niveau wird einem nicht watscheneinfach gemacht. Doch wer ins System eintaucht, kann es zu seinem Vorteil ausspielen. Und als David gegen Goliath zu „gewinnen“, das genießt jeder. Da wird selbst dieses so trockene Wort plötzlich fast schon lustgetränkt.

Doch diese raffinierte und ­genugtuende Art des Sparens ist nicht die einzige, an der man sich aufgeilen kann. Man kann es auch viel emotionaler angehen. Sprich: „Oh, diese Jacke kostet normalerweise 500 Euro, jetzt ist sie um 350 im Angebot. Ich brauche zwar ­keine Jacke, aber da kann ich ja so viel sparen, da muss ich zuschlagen!“ Von diesem „Schnäppchen“ wird dem Partner, den Eltern, den Arbeitskollegen und dem weit gefassten Bekanntenkreis mit stolzgeschwellter Brust berichtet. Dass man 350 Euro ausgegeben hat, ist völlig irrelevant. Man fühlt sich so, als hätte man 150 gewonnen. ­Genial! Und ein Blödsinn. Aber das Schema funktioniert, und so ziehen die Unternehmen schlussendlich doch Nutzen aus der nicht so berechnenden Mehrheit.

Sparen kann uns also richtig Freude bereiten. Entweder als Mittel zum Zweck für mehr finanzielle Freiheit, als Beweis der eigenen Cleverness oder einfach nur als primitive Aufgeilung. Natürlich hat es nicht so viel Prestige wie schnelle Autos, schöne Frauen (und Männer) und edle Tropfen, worauf Hedonismus ja so gerne reduziert wird. Aber sparen kann jeder, wirklich jeder, und somit wird es zur hedonistischen Spielart für Otto Normalverbraucher. Dass ­diese dann auch gerade jene ist, die am meisten mit Vernunft zu tun hat, zeigt nur, wie wenig reine Lust sich der Durchschnittsmensch heutzutage leisten kann.