Interview

Skandal: Sargnagel sagt, alle Penisse sind okay!

Manfred Rebhandl

Ort des Interviews: Café Weidinger
Zeit: 25.05.2021 um 15 Uhr
Interview: Manfred Rebhandl / Fotos: Maximilian Lottmann

wiener: Ich darf Sie ja für das Männermagazin interviewen. Finden Sie denn als Frau, dass Männermagazine noch zeitgemäß sind?
sargnagel: Naja. Ich hab für den WIENER ja manchmal was gezeichnet, ist aber schon länger her. Ich weiß gar nicht, worum es so geht.

Es geht viel um dicke Autos und dicke Uhren. Ein Mann mit einem dicken Auto und einer dicken Uhr, vermag er Sie zu begeistern?
Naja, pfuh. Ich mag eher dickere Männer, aber dicke Autos … wobei so ein dicker VW-Bus, so ein Camper, der ist schon leiwand.

Der Trend der immer noch ausschließlich männlichen Autohersteller geht nach wie vor in Richtung immer größerer Monster­autos mit gebißartigen Fronten. Was sagt das über den Mann?
Naja, das Klischee ist ja immer, dass die Männer solche Autos wegen ihrer kleinen Penisse fahren. Aber ich mag das generell nicht, dass man Männer wegen ihrer Penisse beschämt, ich finde das politsch nicht korrekt. Ich habe ja gerade ein T-Shirt mit verschiedenen Penissen darauf gezeichnet, große, kleine, gerade, schiefe, dicke, dünne, und darunter steht ALL COCKS ARE BEAUTIFUL. Das ist so ein bisschen als Empowerment für Männer gedacht, Body Positivity.

Ihre Botschaft lautet: Jeder Penis ist okay.
Ja, genau. Und Männer sollen auch gerne mehr über ihren Penis reden, denn sie haben ja immer den Druck, nach außen hin so stark sein zu müssen, dürfen ihre Schwächen nicht so zeigen. Man kann aber auch mal sagen: Auch kleine Penisse sind schön.

Es gibt ja sogar die Meinung, dass sie beim Liebesspiel imstande sind, ähnlich gute Arbeit leisten zu können wie ein großer.
Naja. Da gibt es unter uns Frauen unterschiedliche Meinungen. Manche mögen alle Variationen, andere gar keine.

Hin und wieder findet sich noch ein klassisch blondes Bikini-­Model am Cover des Männermagazins, möchten Sie den Herausgebern dazu etwas ausrichten?
Da sind Frauenmagazine schon ein bisschen weiter, der Trend geht ja in die Richtung, dass man vielleicht auch mal ältere, molligere, oder Frauen, die nicht absolut dem Schönheitsideal entsprechen, aufs Cover nimmt. Das könnte man auch bei einem Männermagazin mal machen, um Männer zu empowern, es vielleicht mal mit dem gemütlicheren, dickeren Typ zu versuchen, so wie ich zum Beispiel gerne mit Tischtennisspielern.

Der Tischtennisspieler als Typ ­gefällt ihnen?
Ja, schon, die sind sehr sympathisch. Beachvolleyball ist so das schrecklichste, Tischtennisspieler sind eher gemütliche, kollegiale, unaufgeregte Kuschelbären, nicht so auf den Selbstoptimierungswahn fixiert …

Und man hebt für den anderen auch gerne mal den Ball auf …
Genau.

In Ihrem neuen Film „Sargnagel“ haben Sie einen sehr lieben Freund, der gerne ein bisserl sein weiches Schwanzerl massiert und den Sie dabei mit großer Zuneigung beobachten. Kann man Sie mit einer guten Masturbationstechnik begeistern bzw. ist „der Wichser“ einer, der generell Ihre Sympathie hat?
Also „der Wichser“ generell nicht. Aber wenn man einen unbefangenen Zugang zu seinem Körper hat und auch mal selbstironische und nicht sexistische Witze darüber macht, das find ich schon sympathisch. Da kann man sich dann auch ermutigend zum Masturbieren äußern: „Brav, mach weiter.“

Ihrem Gesamtwerk kann man entnehmen, dass Sie seit Jugend an viel mit „dem Dosenbiertrinker“ zu tun hatten. Prägte das Ihren Männergeschmack?
Naja, das waren Männerfiguren, die ich vielleicht auf intellektueller Ebene bewundert habe, aber die habe ich nicht begehrt. So ganz hinig ist auch nicht so sexy. Sich so ein bissl im Griff haben ist schon wichtig. Außerdem .. ich bin ja die Künstlerin. Ich bin ja der exzessive Mensch, und ich glaube, ich brauch jetzt langsam einen, der ruhig ist, der zuverlässig und stabil ist, der selbst keine Probleme hat, der solide ist.

WEINER: Mit Ihrem Filmfreund leben Sie in einer Wohnung zusammen nach dem Motto: Wäscht du nicht ab, wasch ich auch nicht ab. Die seit langem geforderte 50:50 Aufteilung der häuslichen Arbeit – ist sie Bedingung, wenn ein Mann mit Ihnen zusammenziehen will?
Ich würde eher wollen, dass der Mann 70 Prozent macht, weil ich bin ja doch sehr gefragt und sehr viel unterwegs, und da hab ich selbst nicht so viel Zeit für Hausarbeit.

Dann soll es zumindest sauber sein, wenn Sie nach Hause kommen?
Naja, es muss jetzt nicht picobello sein, aber ein bisschen ein Kümmern möchte ich schon sehen bei ihm.

Ihr Vater ist Installateur, kann also ein verstopftes Klo oder den Syphon der Abwasch frei legen, was Ihr Freund im Film nicht zu können scheint. Gefällt es Ihnen, wenn ein Mann handwerklich begabt ist und auch mal „zupacken“ kann, wie man so schön sagt.
Das finde ich schon praktisch, halt aus dem Grund, dass mir etwas abgenommen wird. Das kann Handwerk sein, das kann Ordnung halten sein. Ich finde, viele Männer können sehr gut reduziert Ordnung halten.

Während Ihres Studiums auf der Angewandten haben Sie dann auch den etwas blutleeren Typ „Kunststudent“ kennengelernt, der im Wesentlichen nichts kann.
Hä? Ich weiß nicht, ich hab mir dort den sensiblen Indie-Typen erwartete, bin dann aber in der Malerei-Klasse gelandet und war recht überrascht, wie machoesk es dort zugeht, weil Malerei schon generell so was Machoeskes hat. Man malt ein großes Bild mit großer Geste, und das verkauft man dann einem reichen Typen um 50.000 Euro, das ist extrem kompetitiv. Ich hab nie wieder eine kreative junge Szene erlebt, die so unangenehm war. Ich bin da sehr naiv reingegangen und dachte mir: Ah, cool, nach zwei Wochen bin ich mit allen befreundet, die sind sicher alle voll lustig. Dabei waren die alle total distanziert und unhöflich, und ich habe kaum Freundschaften dort geschlossen. Die Ökonomie macht die Leute gschissen. Es gibt diese komischen Artist-Dinners, wo man plötzlich mit einer Mäzenin zusammen sitzt und alle schleimen sich so komisch bei der an, es war sehr hörig alles, man ist sehr gekrochen, weil die Hierarchien sehr offen waren. Ich hätte mir viel mehr Chaos und Spaß erwartet. Ich kam ja mehr aus so einem Freak-Refugium und dachte, die Kunstuni wird jetzt das gleiche, nur größer. Und dann war´s so die Enttäuschung.

Sie bogen in Richtung Cartoons ab?
Genau, die Comic- und Fanzine-Szene war viel chilliger: „Wir machen alle nicht viel Geld, wir teilen uns die Druckkosten für Hefte“, alle waren irgendwie nett, auch geschlechtermäßig sehr gleichberechtigt, viel demokratischer. Wenn jemand ein Heft um 2 Euro gekauft hat, war ich nicht abhängig von irgendwelchen Bonzen.

Jetzt, wo Sie es sich leisten können: Sammeln Sie vielleicht sogar selbst Kunst?
Ich hab tatsächlich jetzt mal ein Bild einer jungen Malerin gekauft, das schon recht viel gekostet hat, und jetzt hab ich wieder eines gesehen, das mir gefällt, und ich überlege. Ich find´s halt auch leiwand, jemandem zu helfen, aber das ist jetzt schon teurer, und wenn man so was Teures hat, dann muss man drauf schauen, das muss man pflegen, das darf nicht gleich kaputt werden. Mein teuerster Gegenstand ist bisher mein Laptop, und irgendwie find ich das angenehm, nicht so was Wertiges zu ­haben, Besitz belastet ja.

Zurück zum Thema „Mann“. Der Bundeskanzler hat die Balkan­route im Alleingang geschlossen und ist nun dabei, die Pandemie weltweit im Alleingang zu derschlogn, wie er neulich über die Krone ausrichten ließ. Wie gefällt Ihnen dieser Typ „Österreichischer Highlander mit Produkten im Haar“, der die Welt im Alleingang rettet?
Ich weiß nicht. Ich find das sehr absurd, wie es so ein junger Mann ohne jede Qualifikation in so eine hohe Position geschafft hat, während Frauen immer noch diskriminiert werden im Berufsleben, wenn sie vielleicht neben der Arbeit schon drei Kinder erzogen haben, wofür man ja Skills braucht. Dann kommt so ein abgeschlecktes Bubi daher, ich kann nicht fassen, dass die Leute auf so einen reinfallen.

Jetzt kann auch der Bundeskanzler nicht alles alleine machen, darum hat er eine Familie gegründet mit ein paar etwa gleichaltrigen jungen Männern. Sie gehen sehr zärtlich miteinander um, verschicken Bussis und wer weiß, was sonst noch so alles. Gefällt Ihnen, wenn Männer so fürsorglich und zärtlich miteinander umgehen?
Naja, kommt auf das Ausmaß an, aber bis zu einem gewissen Grad find ich Freunderlwirtschaft schon gut, wenn sie von den Richtigen betrieben wird. Ich bin ja Mitglied der Burschenschaft Hysteria, wo wir dieses Männerbündische auch pflegen und für uns in weiblicher Form nützen. Es bringt in Österrreich so viele Vorteile mit sich, wenn man ein Netzwerk hat und man in der Gruppe schaut, dass jemand aus der Gruppe eine gute Position bekommt: Ich sitze in einer Jury, und jemand von der Hysteria gewinnt; oder jemand von der Hysteria sitzt in einer Förderstelle, und jemand von der Hysteria kriegt die Förderung.

Sie infiltrieren langsam den Kultur­betrieb?
Der Kulturbetrieb ist vielleicht am auffälligsten, aber es sind alle gesellschaftlichen Bereiche, in die wir vordringen.

Im Film ist der Produzent mehr oder weniger ein Trottel, der ­Regisseur auch …
… Das ist halt die Realität …

… Nur der Voodoo Jürgens spielt den charmanten Aufreißer. Ist Ihnen dieser Typ Mann auf ihren zahlreichen Lesereisen schon mal woanders begegnet, oder gibt es das nur in Wien?
Die Leute begegnen mir sehr respektvoll nach den Lesungen, die wollen vielleicht mal, dass ich ein Autogramm auf ihren Penis mache, die sind sehr devot.

Haben Männer Angst vor erfolgreichen Frauen?
Ich muss tatsächlich sagen, je mehr Geld ich verdient habe, desto schlechter wurde immer mein Liebesleben. Wenn ich arm und depressiv war, war sofort ein Typ da, der sich meiner Schwächen angenommen hat. Es gibt aber schon Männer, die damit umgehen können, ich muss dann halt mein Beuteschema ändern.

Weniger im Weidinger sitzen, mehr im Fabios bei den G’spritzen?
Ja, genau. Oder im Park, da war ich im Lockdown viel. Es gab plötzlich viel mehr Dosenbiertrinker im Park, die das normalerweise nicht machen, das hat mir getaugt. Jetzt ist der Alkoholismus wieder so privat, jeder geht wieder in sein Lokal.

Sie müssen stets auf höchstem ­Niveau tief sein, auf verlässliche Weise oarg. Ihre Sätze sind zum Teil so perfekt hohe Kunst, dass auch Sie diese nur schwer toppen können, ich denke an: „Menstruieren wie ein Mann“. Sitzen Sie dann manchmal tagelang irgendwo herum und hoffen, dass Sie die selbst gelegte Latte wieder überspringen können?
In Linz haben sie gerade ein Theaterstück mit meinen alten Texten gemacht, und da habe ich mir schon gedacht, die waren viel leiwander, anarchischer, lustiger, unkorrekter. Aber es ist ja normal, dass man fader wird, wenn man älter wird.

Die Feuilletonisten haben sich aus ihren Altbauwohnungen heraus früh an ihren Erfahrungen begeilt, ohne jemals selbst in diese Milieus vorzudringen.
Ich hab mich grad von den Deutschen oft missverstanden gefühlt. Das hat gleich so einen Unterschichtstempel bekommen, dabei ist es ja viel mehr Bohème, weil dass man wenig Kohle hat und viel trinkt, das ist jetzt auch nicht das Ungewöhnlichste an einem Künstlerleben. Aber dort war ich plötzlich „eine, die von ganz unten erzählt!“ Aber ich war ja nie ein Karlsplatz-Junkie, ich zähl mich nicht zur Unterschicht, nur weil ich mit Randfiguren sympathisiere. Es ist ja auch nicht so, daß ich keine Chance auf was anderes gehabt hätte. Ich hätte ja auch Betriebswirtschaft studieren können.

Im Film unterrichten Sie viel, was lustig ist. Gibt es auch eine ernsthafte Botschaft an Jugendliche?
Mir ist immer sympathisch, wenn Jugendliche sich gegen Autoritäten aussprechen und goschert sind. Das finde ich wichtig.

Werden die Jungen fader?
Das werde ich öfter gefragt, aber das ist komisch, so was zu sagen. Wir waren ja auch nicht der Mainstream als Jugendliche, wir waren ja auch die Freaks inmitten der Braven. Und wenn ich heute so durch die Parks gehe, dann sehe ich überall punkige, freakige Jugendgruppe. Das Verhältnis freakig-brav ist bei der Jugend, glaub ich, immer irgendwie gleich.

Keine Karriere ist durchgehend erfolgreich.
Naja, ich bin eh nicht so arbeitsgeil. Solange ich abgesichert bin, stört es mich nicht, wenn nix los ist. Ohne Existenzängste mit leerem Terminkalender, das ist das Beste. So wie jetzt im Lockdown, wo nicht immer gleich so viele Partys waren, wo alles zu viel wird, sondern so nette, gemütliche Treffen. Ich konnte mich um mein Liebesleben kümmern, mache den Führerschein … also, ich kann auch ohne Karriere und Erfolg leben.

Von Künstlern hört man gerne den koketten Satz: Am glücklichsten war ich, als ich noch gar nichts hatte.
(lacht) Kann ich so nicht sagen …

Sind Sie eine großzügige Freundin? Übernehmen Sie auch mal die Zahnartzrechnung, wenn jemand neue Zähne braucht, oder sagen Sie zur Sperrstunde: „Heute alles auf mich!“?
Ja, schon, und oft auch so übertrieben, dass es den Leuten am Oarsch geht, wenn ich besoffen bin und sage: „Oida! Laß mich zahlen! Ich bin reich, ich bin reich!“ Das finden die Leute dann nicht so sympathisch.

Viel Hater, viel Ehre? Haben Sie nie Angst? Sie wirken so sicher und unerschrocken.
Ich habe keine Angst vor Leuten, dass sie mir was tun. Ich bin ängstlich in anderen Situationen, aber wenn mich jemand angreift, dann richte ich mich auf und kriege eine gute Körperspannung.


 Stefanie ­Sargnagel
Stefanie Sargnagel wurde 1986 in Wien geboren, sie wuchs bei Ihrer Mutter auf und besuchte ein ­Gynasium in Währing. Die Malerei­klasse auf der Angewandten in Wien brach sie ab, ­ihrer Liebe für Comics und Cartoons blieb sie aber treu. Mit ihrem ersten Buch „Binge Living – Callcenter Monologe“ erlangte sie erstmals größere Aufmerksamkeit, mit ihrem Buch „Fitness“, einer Zusammenstellung ihrer Facebook-Postings, schaffte sie im deutschsprachigen Raum den Durchbruch. Das ausgesprochen vielseitige Mitglied der weiblichen Burschenschaft Hysteria ist für zahlreiche Zeitschriften und Zeitungen als Cartoonistin und Reporterin tätigt, veröffentlichte mit „Dicht“ einen erfolgreichen Roman und spielt nun erstmals im gleich­namigen Film „Sargnagel“ die Hauptrolle. Sie lebt in Wien.


 Sargnagel – der Film
Das Buch „Fitness“ der Erfolgsautorin Stefanie Sargnagel soll verfilmt werden, die Förderstelle besteht darauf, dass die Autorin selbst mitspielt. Gerhard Ertl und Sabine Hiebler schrieben das Drehbuch und führten Regie bei dieser „Spieldokumentation“, ­Michael Ostrowski, Hilde Dalik und Rabenhof-Impressario Thomas Gratzer treten auf, außerdem Voodoo Jürgens als Wiener Aufreißer. Seit 20. August im ­Kino.