KULTUR

PLEXUS SOLAIRE

Christian Jandrisits

 

Sie sind Veteranen der Szene – und immer noch (oder jetzt erst recht) eine Entdeckung wert: die Austro-Franzmän­ner Plexus ­Solaire.

Text: Walter Gröbchen

Rendez-Vous Magique. Seit Tagen geht mir dieser Song nicht aus dem Schädel. Ein Basslauf, wie ihn einst die seligen Sisters of Mercy nicht knackiger hinbekommen haben. Eine Harmonieabfolge mit dem Sog einer verkehrt eingestöpselten Zentrifuge. Ein Wortschwall mit der Überzeugungskraft einer Predigt in Notre Dame. Es ist tatsächlich eine magische Begegnung. Nicht für mich, aber eventuell für Sie zugleich die Erstbegegnung mit Plexus Solaire. Sollte ein Streaming Service in Reichweite sein: Press Play! – Plexus Solaire!

Voilá. Eine französischsprachige Band in und aus Österreich ist unleugbar ein Exotikum. Punkt. Aber wo es vor deutsch- und englischsprachigen Bands nur so wimmelt, ist gerade dieser Umstand eine Chance. Zumal sich die Schöpfungen dieser Formation – süffige, charmante, melodienpralle Songs – direkt in die Gehörgänge des unvoreingenommenen Hörers bohren. Und in das Sonnengeflecht. Den Solar Plexus. Ein, sagt Wikipedia, „autonomes Geflecht sympathischer und parasympathischer Nervenfasern, das die Funktion der inneren Organe reguliert“. Der Bandname kommt nicht von ­ungefähr. 

Jamais. Bei Plexus Solaire wird die Binsenweisheit von Musik als grenz- und kulturüberschreitende Sprache zur Realität. 

Egal, ob in bretonischen Kneipen, Genfer Clubs oder Wiener Hochkulturhäusern – die Menschen lauschen, singen oder tanzen zu Songs, deren Strophen ihnen wohl im ersten Moment fremd sind (so sie nicht die französische Sprache mit der Muttermilch aufgesogen haben), deren Inhalte und Subtexte sie aber mit instinktiver Sicherheit fühlen.

Que se passe-t-il? Es sind die Fantasien von Alexandre Fedorenko und Vincent Wohinz, den konträren Frontmännern des französisch-österreichischen Trios (plus Gastmusikern) mit ordentlichem Hauptwohnsitz in Wien. Unterschiedlicher könnte der Zugang der  beiden Sänger, Songwriter und Gitarristen nicht sein: Fedorenko, der westfranzösische Weltenbummler mit maritimer Erfahrung, dessen Anekdoten Bände füllen könnten;  und Wohinz, ein studierter Philosoph aus einer bilingualen Künstlerfamilie, dessen Texte oft das Innerste, so zuvor oft Ungesagte verbalisieren. Dazu ­gesellt sich Jürgen Bauer am Schlagzeug. Die Bandchemie muss Spurenelemente von gutem französischen Rotwein in sich ­tragen. 

C’est le cycle de la vie. 2002 entsteht die Band. Man ist ebenso fasziniert von der rebellischen Geste des Rock’n’Roll wie von dandyhaften Chansonniers. Fast sofort erscheint eine erste EP, das 2005 veröffentlichte Debütalbum „Par Terre – Par Rêve“ bringt das eigenwillige Quartett erstmals auch einer breiteren Öffentlichkeit näher: Zur „Lieblingsplatte der Redaktion“ des „Standard“ erkoren, wird das Album im Rahmen von österreichweiten Konzertreisen zahllose Male vorgestellt. 2007 folgt mit „Sans Détours“ und der Radiosingle „Malheureux“ ein weiterer Schritt nach vorne: Plexus Solaire sind omnipräsent. 2011 werden sie Testimonials für Österreich-Tourismus in Frankreich. Es gibt dann längere ruhige Phasen, mit Corona kommt die Lust an der Kunst zurück: anno 2021 meldeten sich Plexus Solaire zurück im Ring. 

Blanc. Hier schließt sich der Kreis. Songs wie „Malheureux“, „Les Horizons“ oder „Episodes“ laufen mittlerweile in über 140 Länder auf 1500 Playlisten. Aber man kennt den Prophet im eigenen Land kaum. Was es zu revidieren gilt. Für den Herbst ist eine Vinylausgabe von „Noir“ und „Blanc“ in Planung. Für den Mix zeichnet Stefan Deisenberger (Mitglied von Naked Lunch, Love & Fist) verantwortlich – er dekonstruierte so manches Stück, veränderte ganze Arrangements. Das schon halb fertige ­Produkt zeugt spürbar von einer vitalen Band, die ihre Lebenserfahrungen zum Ausgangspunkt ihrer Lieder macht. Unklarer denn je zu verorten zwischen angezerrtem Chanson, Elektronik, Gitarrenwänden und Folkrock mit tanzbaren Eskapaden, steht den Herren einmal mehr der Kopf nach präzise geplanten Überraschungserfolgen. Songs wie „Rendez-Vous ­Magique“ sind das Ticket dafür: intelligent, aber nicht verkopft. Charmant, aber nicht gekünstelt. Selbstbewusst, aber nicht chauvinistisch. Tipp: einfach wirken lassen. Das Sonnengeflecht ist ein unbestechliches Organ.