AKUT
EXPANSION – Ein Sprung ins Jahr 1979
Dieses Interview mit dem Veranstalter der INTERNATIONALEN BIENNALE FÜR GRAFIK UND VISUELLE KUNST, mit Horst Gerhard Haberl, expandierte im Sinn des heurigen Biennale-Mottos in unerwartete (Zeit/ Raum) Dimensionen. Deshalb finden Sie hier kein Interview abgedruckt, sondern lediglich Ausschnitte aus einem langen Monolog: Von und mit Horst Gerhard Haberl. (aus der WIENER-Nullnummer vom März 1979)
UND ZWAR ZUNÄCHST HGH’S MEINUNG ZUR DURCHFÜHRUNG DESKONZEPTS:
… ich würde das eigentlich so sehen, daß das Konzept versucht hat, sowohl im theoretischen wie auch im praktischen Bereich quasi die Spitze des Eisberges nach Wien einzuladen, um einem solchen Thema – eben dem Schlagwort EXPANSION – Stellung zu beziehen; und daß dieses Experiment verschieden glücklich ausgegangen ist; oder verschieden unglücklich, wie man will. Es ist ja eigentlich von Anfang an nie darum gegangen, eine Wertungsausstellung zu machen, mit der man sagt, das also ist die Kunst der Gegenwart und damit auch der Zukunft.
UND ÜBER DEN VORWURF DER STAR-PARADE:
… bei der Auswahl der Künstler ist ganz bewußt das Eisberg-Prinzip angewendet worden, schon wegen des Schauplatzes WIEN. Der Vorwurf, der immer wieder gemacht wurde, hier mit Stars zu arbeiten, ist damit genau jener Punkt, von dem ich angenommen habe, daß er der einzig mögliche Ansatz ist, um eine Biennale in Wien zu beginnen. Natürlich hätte man auch billigere, nicht so bekannte Künstler zu dem Thema einladen können, aber ich habe mich für die Stars entschieden, weil ich entschlossen war, das Renommierklima von Wien entsprechend auszunutzen, und nicht nur vor Wien, das möchte ich noch hinzufügen, sondern auch international, denn man sieht ja schon jetzt am Echo des Katalogs, daß es eben eine richtige Entscheidung gewesen ist, mit diesen Spitzen zu arbeiten, statt mit den unbekannteren Leuten, und daß damit auch ein gewisser Protektionismus aufgetreten ist für die österreichischen Künstler, die ja eher zu den unbekannteren gehören…
ZUM ERÖFFNUNGSSYMPOSIUM: … meine Symposiumsreferenten waren alle schriftlich und mündlich dazu aufgefordert auf Grund ihrer geschriebenen Statements im Katalog oder ihrer relativ umfangreichen Aufsätze in Form von zwanzig-Minuten-Statements aus der Zusammenfassung heraus so etwas wie Prognosen zu versuchen: Aber es ist ja jeder zu feig, das zu tun. Sogar die Jochimsen, die doch an sich das progressivste Thema vertritt, mit ihren sozialen Strategien, hat sich erst im letzten Drittel ihrer Ausführungen, weil ich zufällig bei der Tür hereingekommen bin, und sie mich gesehen hat, quasi erinnert, daß ich sie ja gebeten habe, nicht ihren Aufsatz vorzulesen, sondern über ihre Prognosen zu sprechen, so falsch sie sein mögen. Das Darstellung heißt, dals eben die Angst davor, in irgendeinem öffentlichen Rahmen etwas zu verkünden, was sich morgen als überholt erweisen könnte, die Kunsttheoretiker unserer Zeit kennzeichnet; daß sie also nicht den Mut haben, ihre Meinung vor einem Publikum zu vertreten, aus Angst, es könnte morgen vollkommen unrichtig sein…
UND SCHLIESSLICH UBER DIE ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN DER BIENNALE:
…für mich gibt es jetzt eigentlich zwei Seiten. Die eine Seite ist, was macht man wirklich ein zweites Mal. Man kann die Biennale natürlich auf eine größere Basis stellen und versuchen, alle jene Leute miteinzubinden, die hier annähernd gemeinsame Interessen signalisieren. Es haben ja auch in diesem Jahr zur gleichen Zeit noch mindestens drei Veranstaltungen (von der Modern Art Galerie und der Galerie nächst St. Stephan, Anm. d. Red.) stattgefunden, die einen direkten Bezug auf das Thema gehabt haben, die aber auf Grund organisatorischer und sonstiger Schwierigkeiten halt einfach außerhalb blieben. Es könnten also die Privatgalerien einbezogen werden. Es wäre nur die Frage, ob Privatgalerien n bereit sind, sich einem solchen Themen unterzuordnen. Bloße Vergrößerung ist aber sicherlich nicht der wichtigste Ansatz bei der Neuentwicklung eines Biennale-Konzepts, sondern eigentlich würde mir der Gedanke, als Mini-Biennale in Wien oder in Europa Fuß zu fassen, gar nicht so schlecht gefallen. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie man dem spezifischen Biennale-, Charakter, dem gewissen kulturhistorischen Ritual entgehen kann, in dem ja eine Biennale eigentlich von vornherein schon steht, weil international und Biennale im Prinzip bedeutet, daß man eine Monsterschau zeitgenössischer Kunst zu machen hätte, daß man versuchen müßte, immer nur das Neueste zu zeigen, also das, was wirklich ganz, ganz, neu ist, was man dann eben wirklich nur in Wien sehen könnte und sonst nirgends…
EIN FESTIVAL, KÜNSTLER, ABER KEINE KUNST … ich habe schon früher kritisch angemerkt, daß die Künstler heute eigentlich nur mehr von Ort zu Ort reisen und ihre Installationen machen und dann wieder weiterreisen, und daß eigentlich alle unglaublich busy sind. Es wäre interessant zu fragen, ob nicht einmal der Versuch gemacht werden könnte, diese ganzen, so unglaublich beschäftigten Künstler in irgendeiner Form an einen Ort zu binden, an dem sie ihre ganze Geschäftigkeit vergessen und tatsächlich versuchen, untereinander und mit dem Publikum – auch gegen das Publikum, wie immer das ausgeht, etwas zu machen: einfach so ein Festival, wie das große Pop-Gruppen veranstalten; so daß Wien für eine bestimmte Zeit Sammelplatz internationaler Künstler wird, für die es gar nicht so sehr darum geht, eine Ausstellung zu machen. Ein Gebäude wie die Secession würde bei einem solchen Festival einfach ein Ort der Begegnung sein, in dem alles das, was unter Umständen Biennale sein könnte, eigentlich aus der Begegnung heraus entsteht und wo es also möglich sein müßte, den ganzen finanziellen Aufwand darin zu sehen, daß man den Leuten den Aufenthalt in Wien bieten kann, daß man versucht, durch langfristige Planung alle wesentlichen Leute zu bekommen, und dann versucht, im Rahmen einer solchen Veranstaltung nicht jetzt unter dem Titel Symposium oder Seminar, sondern überhaupt eine Form zu finden, die sich einfach aus diesem Initialakt, den es meines Wissens noch nie gegeben hat, ergibt. Also ohne von vornherein zu sagen, das ist jetzt einfach eine Form, sondern, daß die Form wird, daß etwas dabei herauskommt, das über ein bloßes Saufgelage oder eine Reihe informeller Feste hinausgeht.
DAS AGATHA-CHRISTIE-PRINZIP Ich kenne an sich solche Begegnungen schon – und zwar aus der Literaturszene, wo sich die Literaten seit Jahrzehnten treffen und einander dann gegenseitig ihre Dinge vorlesen. Während in der bildenden Kunst ja das Problem auftaucht, was die Künstler außer sich selbst vorzeigen sollen, wenn sie sich begegnen.
Und – angenommen, es gelänge mir, eine Masse von 150 Personen zu mobilisieren wie schafft man das in der Masse überhaupt, daß über den nur-Urlaub hinaus ein Gedankenaustausch zustandekommt, nämlich, ohne daß ein autoritärer Zwang auftaucht, der also die Leute nötigt, in irgendwelchen Former sich selbst darzustellen oder doch wieder Dokumente auszustellen oder eben die Werke. Es handelt sich hier also um die Idee einer geistigen Künstler-Bank oder eines geistigen Kunstmarktes … und es wäre zum Beispiel interessant, was die Künstler, wenn sie zu so etwas eingeladen werden, sich überhaupt vorstellen. Das wäre ja fast schon wie in einem Kriminalroman von Agatha Christie, wo die Leute eingeladen werden und gar nicht wissen, was sie erwartet.
BIENNALE-THEMA GESUCHT
…was ich in der gegenwärtigen Situation von Bund und Gemeinde erwarte, ist – auf Grund dieser ersten Leistung – eine Fortsetzung des Vertrauens. Es wird mir wahrscheinlich beim zweiten Mal leichter fallen, zumindest einmal dieselbe finanzielle Basis zu bekommen, ohne unglaubliche Konzeptleistungen vorbringen zu müssen, weil man oben sagt, man möchte das weiterführen – und wenn man’s mit mir weiterführen möchte, dann habe ich mir in Wien mit dieser ersten Biennale bei den zuständigen Subventionsgebern zumindest diesen Einstand erworben.
Ich glaube, das kann man heute schon sagen, diese Reaktion ist tatsächlich vorhanden. Sie war auch notwendig, für mich notwendig, weil ich eben alle meine bisherigen Dinge außerhalb von Wien getan habe, und das also für Wien vollkommen irrelevant ist, wie ich draufgekommen bin, was man außerhalb macht. Wenn man die Austellungen, die ich in Graz gemacht habe, hier gekannt hätte, dann hätten wahrscheinlich viele Menschen auf diese Biennale anders reagiert, weil sie den roten Faden besser hätten verfolgen können, der den Wienern durch die Unkenntnis meiner früheren Projekte schon ein bißchen fehlt…
…ich bin mir gar nicht sicher, wie das weitergehen soll. Ich glaube, ich werde mindestens ein halbes Jahr lang eine Pause einlegen und die verschiedensten Versuche unternehmen, mit Leuten, die ich für kompetent erachte, darüber zu diskutieren, was man wirklich machen sollte, Ich hab‘ einfach gewußt, dass dieses Thema – EXPANSION – wie immer man es auslegt, interessant ist.