AKUT

NETTE NUMMERN, KLEINANZEIGEN.

Franz J. Sauer

GEHN TUT ALLES – Erlebnisse eines Anfängers, den von einem Profi vor allem eines unterscheidet: Er betritt eine Wohnung, ohne wirklich zu wissen, was er eigentlich will. (Ausgabe 3/1981)

Ein echter niveauvoller Hausbesuch oder eine Abendbegleitung einschließlich einer zwar nicht wirklich leidenschaftlichen, aber immerhin sachlich kooperativen Hingabe der Dame, wäre einem Mindestrentner nur unter empfindlichen Entbehrungen erschwinglich und könnte auch von einem gut verdienenden, nach sexueller Abwechslung lüsternen Haushaltsvorstand in der Haushaltskasse nur schwer als unklarer Beleg kaschiert werden.

Dennoch blüht das Geschäft. Und zwar nicht nur das der Inserentinnen, die sich ihr Liebeswerben per Kleinanzeige monatlich bis zu 15.000 Schilling kosten lassen, sondern auch das der Vermittlermedien. Und nachdem das konservative Großformat „Die Presse“ nobel auf seinen Anteil am Schandlohn verzichtet, teilen sich Krone und Kurier die Anzeigengebühren, die sie für diese Sorte Einschaltungen entgegen den Usancen im Voraus kassieren.

Und weiter kassieren werden, weil sie vorläufig von seitens des Staatsanwaltes nichts zu befürchten haben, obwohl der Landesgesetzgeber seit geraumer Zeit an einem Gesetzesentwurf bastelt, der die fachlich sogenannte Wohnungsprostitution auf dem Umweg über eine Mitschuld des Vermittlers eindämmen soll. Fürs erste scheiterte dieser Versuch allerdings. Nachdem schon vor rund drei Jahren vereinzelt versuchte Anzeigen gegen verantwortliche Redakteure beim Staatsanwalt auf wenig Gegenliebe gestoßen waren, sollte nun dem Liebeswerben per Annonce ein Riegel vorgeschoben werden. Zu belangen sollte nach diesem Entwurf zunächst der Inserent sein, für den Fall, daß dies unmöglich ist, weiters die Zeitung und endlich der Verbreiter, also der Kolporteur oder der Trafikant sein. Abermals ein Versuch, der kläglich scheiterte.

Medienrechtliche Angelegenheiten sind nämlich Sache des Bundes, die Prostitution hingegen – in welcher Form immer sie auch betrieben wird – fällt in die Kompetenz der Gemeinden und der Länder. Und da ist es vorerst nur im weitab von Brodas Gesetzesarm liegenden Salzburg gelungen, die Wohnungsprostitution zu einem strafbaren Tatbestand zu machen. 

Für Wien gilt weiterhin „My home is my castle“, nicht zuletzt weil der Staatsanwalt auch am Wortlaut der Lockannoncen nichts auszusetzen hat. Nicht einmal ein schlichtes öffentliches Ärgernis ist aus Texten zu konstruieren, denn, so Sepp Rieder, Pressesprecher des Justizministers, „solange die Anzeigen so verklausuliert formuliert sind, daß nur Eingeweihte sie verstehen, kann von einem öffentlichen Ärgernis keine Rede sein. Und wer die Texte studiert und sich erkundigt, was sie bedeuten, der kann wohl kaum behaupten, unfreiwillig mit irgendwelchen anstößigen Inhalten konfrontiert zu sein.“

Weiters wird erfrischend lebensnah argumentiert, daß die Wiener insgesamt als ein recht anzeige-freudiges Völkchen bekannt wären, und solange sich die Beschwerden in Grenzen hielten, könnte man davon ausgehen, daß das gesunde Volksempfinden, das in diesen Gesetzesgefilden doch immer so gerne als Gradmesser herangezogen wird, offenbar nicht sonderlich gestört sei.

Gestört wären allenfalls, und auch das durchaus nicht überall, einige Nachbarn solcher gewerbetreibenden Damen. Wo aber, so Rieder, ein schlichtendes Eingreifen über Hausruhe- und -Ordnungsbestimmungen ohnehin möglich sei.

Hausruhe und -ordnung sind auch die Punkte, bei denen Felix Schödl, in der Wiener Sicherheits-direktion für Prostitution und Mädchenhandel zuständiger Referent, den Hebel seiner Argumentation ansetzt. „Stellen Sie sich vor, der trifft im Stiegenhaus eine und glaubt, die geht, wo er grad im Kommen ist, dann fragt er sie, sind Sie die Melitta? Das ist doch nicht angenehm. Ausßerdem ist die Ausübung des bewußten Gewerbes mitunter doch nicht ganz geräuschlos möglich, was besonders in schlecht schallisolierten Neubauten und zu später Stunde – „neuerdings wird ja häufig im Schichtbetrieb rund um die Uhr gearbeitet“, weiß Schödl, „doch einen gewissen Störfaktor darstellt.“

Damit will der beanmtete Sittenwächter, der sich „gar nicht als Moralapostel“ fühlt und sich „auch nicht der Illusion hingibt, dass man die Prostitution einfach abschaffen könnte“; sein wirkliches Problem keineswegs verschleiern: „Die Wohnungsprostitution“ – eine im bordelllosen Wien sehr ansprechende Alternative zum Gassenstrich – „steht irgendwie im gesetzlosen Raum.“ Mit einem neuen Gesetzesentwurf, der derzeit noch zur Begutachtung zwischen den zuständigen Ämtern zirkuliert, will man in der Rossauerkaserne, So beteuert Schödl, aber Wiens „zärtliche Strapsmädchen“ und „strenge Herrinnen“ keineswegs um ihr nach wie vor steuerfreies Einkommen bringen – „ob der Finanzminister da irgendetwas vorhat, weiß ich nicht“ (Schödl) -, es geht einfach darum, „die Sache in den Griff zu kriegen“.

„Ich öffne nackt!“ So lautet vielversprechend die Anzeige. Keine Telefonnummer, bloß eine Adresse.

Gar keine schlechte noch dazu. Gürtelnähe zwar, aber immerhin Josefstadt. Gut- und großbürgerlich.

Das Haus, das ich dann am späten Vormittag betrete, nachdem ich in einem Café einen Whisky getrunken und überlegt habe, ob ich mit oder ohne Brille auftreten soll, was weiß ich warum, – das Haus jedenfalls ist nicht großbürgerlich, sondern genossenschaftlich. In den Sechziger Jahren erbaut, damals bereits nicht ganz up to date, weil ohne Lift, en hat. In den 1980er-Jahren erbaut, damals bereits nicht ganz up to date, weil ohne Lift, der erste Neubauglanz längst verblichen.

Im ersten Stock finde ich die bewußte Tür. Der Klingelknopf, in verwechselbarer Nachbarschaft zu dem der Nebenwohnung angebracht, ist mit Nagellack rot und unverwechselbar bemalt. Ding-Dong. Der Gong klingt geradezu modisch-weltstädtisch im öden Grau des Treppenhauses, dessen Wände von offenbar häufigen Möbeltransporten überall abgeschrammt sind. Aber nichts rührt sich. Ich läute noch einmal. Und während ich weiter warte, kommen mir Zweifel über die praktische Durchführbarkeit eines solchen – wie es auch inseriert wird – Splitternackten Empfanges. Wenn eben jemand über die Treppe kommt?

Diese plötzliche Einsicht vertreibt mich denn dann auch. Nicht nur, weil dann vielleicht der bewußte Empfang verpatzt sein könnte, sondern überhaupt. Der zweite Anlauf am Nachmittag verläuft dann besser. Zwar auch nicht so, wie ich es mir auszumalen gewagt hatte, aber die Dame ist wenigstens zu Hause, pardon, am Arbeitsplatz, denn gewohnt wird, wie ich später in anderen Fällen noch erfahren sollte, in solchen Wohnungen prinzipiell nicht.

Auf das Ding-Dong hin folgt nach einer Weile ein prüfender Blick durch das Guckloch, begleitet von einem fragenden „Ja, bitte?“, dann öffnet mir mein Gemurmel von einer Anzeige die Tür.

Ob die Dame nackt ist, kann ich freilich vorerst noch nicht abschätzen, denn sie ist hinter der Tür verborgen, die sie mir einladend offenhält. „Es ist wegen der Nachbarn“ wird mir der gebremste Empfang erklärt. Den BH nämlich, scheinbar erst im Anmarsch auf die Türe abmontiert, hat die Dame in der Hand, den Slip dort wo man ihn üblicherweise vermutet. Und mein Gefühl war eher das der Erleichterung als der Enttäuschung.

Das Vorzimmer ist düster, von dunklen, rötlichen Farben dominiert, die sich leicht variiert in den üppigen Formen der Blumen auf Teppich und Tapeten verästeln. Während ich mich noch umsehe, zieht die Dame einen seidigen Schlafrock über. Warum, wird mir ungefragt erklärt. „Umsonst gibt’s nicht mehr.“ Logisch schließe ich daran die Frage nach dem Preis, die sofort – was ich erst im weiteren Verlauf meiner Recherche als regelhaft begreife – mit der Gegenfrage: „Was willst du denn?“ beantwortet wird.

Tja. Wenn ich mir was wünschen dürfte, singt die Dietrich, käm sie in Verlegenheit. Derartige

Anfängerblödheit scheint die Dame nicht gewohnt zu sein. Dazu kommt wohl auch: Zeit ist Geld. „Naja, was denn?“ fragt sie noch einmal und fügt, wohl als Entscheidungshilfe gedacht, mit einem routiniert ermunternden Augenaufschlag hinzu: „Gehn tut alles.“ Wieder will ich wissen, was es kostet. Ungeduldiger kommt es zurück: „Ja, was willst denn eigentlich?“

Die Konversation dreht sich im Kreis. Die Dame, in einer Diskothek würde ich sie als Mädchen bezeichnen, sie mag Mitte zwanzig sein, etwas verbraucht wäre tendenziös, aber doch. Im Flur ist es schwer, objektiv zu sein. Ein dezentes Make-up, der Schlafrock zwar nicht ganz mein Geschmack (aber sauber, denkt man dann gleich unwillkürlich, pfui, Spießer), aber bitte, ordentliche dunkelblonde Haare. Nett frisiert. Sie wird ungeduldig. Lehnt sich an die Tür. Die Haltung bedeutet: „Also, hopp!“

„Französisch!“ fällt mir ein.

Damit habe ich aber mein Problem längst nicht gelöst, wie ich einen Augenblick meine, denn prompt kommt sehr sachlich die Gegenfrage: „Mit oder ohne?“ Wie bitte, mit oder ohne was? Ich muß unsagbar blöd wirken, denn wie sie „Gummi“ sagt, läßt keinen Zweifel über die Meinung, die sie von mir hat. Der Unterschied zwischen mit oder ohne beträgt hier genau hundert Prozent. Fünfhundert nämlich oder tausend. Ich entscheide mich für die Fünfhunderter-Version, der Film, sagt sie, ist ohnehin inbegriffen.

Der Deal ist gelaufen, die Dame lockert sich, versucht, während sie mir ins Zimmer vorangeht, einền Scherz: „Wennst bei allem so langsam bist …‘ Das Zimmer unterscheidet sich nur unwesentlich vom Vorzimmer. Gedämpftes Licht, der Tag draußen hinter den heruntergelassenen Jalousien, auf einem Couchtisch neben dem Doppelbett eine Super-acht-Maschine, im Eck eine Klapp-leinwand. Ein Wandverbau aus Teak, wuchtige Fauteuils, gediegener Plunder, wie er in Möbelhäusern unter Stadtbahnbögen gehandelt wird.

Ein süßer Drink, den sie Sherry nennt, eine Zigarette, dazu ein von hunderten Malen abspielen verregneter schlechter Pornofilm, Staubflusen an den Bildrändern, Finger an meiner Hose. Und die mit betörender Stimme hingeflüsterte Frage: „Wo hast‘ das Geld?“ Der Rest ist dann wie abgemacht französisch mit, und – wieder im Vorzimmer – überlege ich, ob das Treppenhaus wohl menschenleer sein wird.

Auf der Straße zünde ich mir eine Zigarette an, denke „Aha“, ohne zu wissen, daß die eben konsumierte Darbietung durchaus unter „Niveauvoll“ annonciert werden könnte, im Vergleich zum „Zärtlichen Straps-mädchen Sandra“, das nach mehreren Besetztzeichen über Tonband seine sinnverwirrenden Dienste anbietet. Nicht im achten Bezirk, gürtelnahe allerdings auch und ebenfalls in einem Genossenschaftsbauwerk. Pikanter als der rot bemalte Klingelknopf ist hier die mit Filzstift mehrmals bemüht nachgezogene Zahl 6 statt eines Namens. Zwischen einem Dr. Müller und Leuten die Perdoner heißen (Tiroler, wohl, denke ich).

Das „Ja“ aus der Gegensprechanlage klingt nicht ganz nach der Stimme am Telephon, aber das täuscht vielleicht. „Sandra?“ frage ich, daraufhin summt der Türöffner, ohne weiteren Kommentar. Sandra hat lange, etwas schmuddelige blonde Haare, ist ungeschminkt, nein, nicht ungeschminkt, eher eben abgeschminkt und steht in auch nicht mehr ganz taufrisch wirkenden Dessous vor mir da, in dem scheinbar obligat düsteren Flur. Zwei der Türen sind geschlossen, die dritte steht offen, mein Blick fällt auf eine ausgezogene Couch.

Sandra ist offenbar nicht allein. Hinter den verschlossenen Türen wird gearbeitet. Dumpf sind die Geräusche wie die Luft im Vorzimmer, gedämpft durch die Schummrigkeit. An der Kleiderablage hängen zwei Mäntel.

Sandra bemerkt, daß ich bemerke. „Na, was is, warst no nie in ana Wohnung?“ und dann, als ich versuche, einen Blick in ihr Zimmer zu werfen – auf der Suche nach dem Superacht-Projektor und der Leinwand, die ich natürlich auch erblicke -, wird sie ungeduldig.

„Also, was willst?“ fragt sie gereizt. Und obwohl ich nicht mehr so gänzlich unerfahren etwas von französisch natur reden könnte, oder von griechisch, sage ich „Nichts“. „Dann kumm“, wendet sie sich zur Tür, öffnet und läßt mich hinaus. Hinter mir höre ich noch „So-ein-Trottel“-Gemurmel, dann bin ich fast wieder auf der Straße. Ob der Herr, der von oben kommt, Dr. Müller ist oder zu den Perdoners gehört, ist mir im Augenblick auch gleichgültig.

Soweit Sandra. So gut auch, insofern sie keine Spesen verursacht hat.

„Ich heiße Marina, bin 165 groß, schlank und habe langes blondes Haar Meine Freundin Birgit ist 160 groß, schlank und hat langes, schwarzes Haar. Wir verwöhnen Dich ganz wie Du willst, zart oder hart, und spielen auch gerne mit Dir oder für Dich in der Badewanne. Wenn Du Interesse hast, bitte ruf’ die Nummer …“ Es ging zu schnell. Dann ist besetzt. Dann habe ich sie. Die Nummer.

Die große Überraschung in der zweckmäßig adaptierten Zimmer-Küche-Einheit in der Ottakringer Straße: es gibt keinen Filmprojektor Überhaupt, die Trautes-Heim-Atmosphäre fehlt. Kein Wandverbau, kein Plüsch, eine große Liege, ein Fernseher und eine Videomaschine.

Spannteppich blumig, aber dezent. Und in der Exküche hinter messing-verschnörkeltem Paravent die Wanne. Fliesen aus Kunststoff. Dazu dann später, als ausgehandelt ist, was für zweimal siebenhundert zu haben ist, Lavendel-Badeöl und zwei muntere Gespielinnen, die in natur wiederholen, was beim Inklusivdrink (diesmal doch Whisky) zwei andere muntere Gespielinnen mit einem nach zwei Seiten ausgeformten männlichen Plastikersatzteil auf Video vorexerziert hatten.

Aha.

Hausbesuche sind komplizierter. Nicht nur finanziell aufwendiger, sondern von der Abwicklung her schon so seriös wie die Aufgabe einer Anzeige in einer Zeitung. Man wird zurückgerufen. Erscheint die Dame dann, wird sie zurückgerufen. Von wem kann ich nicht sagen, jedenfalls erklärt sie, daß alles in Ordnung sei. Alles in Ordnung würde ich es zwar nicht nennen, aber für zwei schlichte blaue Scheine ist offenbar nicht viel mehr zu haben. Dazu kommt, daß der Hausbesuch ebenfalls und fairerweise als „Niveauvoll“ eingestuft werden kann. Und, so habe ich erfahren, mit der Preisgabe meiner Telefonnummer kommen weitere Angebote dann nicht mehr via Annonce, sondern direkt per Telefon ins Haus. Vielleicht sollte ich mir einen Anrufbeantworter beschaffen.