AKUT

Wer sind hier die Plattenmillionäre 1982?

Franz J. Sauer

Keine Rede von New Wave. Absahnen tun nur die Liedermacher – und das hauptsächlich in Deutschland. Österreich ist noch lange keine Rocknation. (Oktober-Ausgabe des WIENER 1982, Autor: Michael Hopp)

Wer spricht schon gern darüber, was er verdient? Zum allergrößten Teil erteilten die heimischen Stars dem nachfragenden Redakteur aggressive Abfuhren. Auch wenn Rainhard Fendrich für Fotografen die Hose runterläßt, sein persönliches Einkommen und die Absatzzahlen seiner Schallplatten gelten ihm als weitaus intimer. Doch irgendwie mußte er kommen. so ein Finanzstriptease. Wie anders könnte sonst die wahre Dimension einer – wie es heißt – im Aufwind befindlichen österreichischen Pop-Industrie sichtbar gemacht werden? Die auf dieser Seite zur Veröffentlichung gelangenden Zahlen wurden aus den Plattenumsätzen des letzten Jahres errechnet. Sie wären noch durch die Ausschüttungen der verschiedenen Urheberrechtsgesellschaften sowie durch die Einnahmen bei Live-Auftritten zu ergänzen Wie ist die Systematik der Einnahmen eines österreichischen Unterhaltungskünstlers?

Vom Großhandelspreis einer verkauften Schallplatte bekommt er, je nach Vertrag, einen Satz zwischen 10 und 20 Prozent. Garantiesummen oder Tantiemenvorauszahlungen sind in Österreich in der Regel nicht üblich. Kassiert wird ferner pro Ausstrahlung des jeweiligen Produktes durch den ORF. Addiert man diese von den Urheberrechtsgesellschaften AKM und Austro-Mechana eingetriebenen und an die Künstler zur Auszahlung gebrachten Beträge, kommt der Austropopper für das einmalige Senden einer Single auf einen Betrag von zirka 200 Schilling. Es ist also nicht nur der Drang zur Popularität, der die jungen Musiker aufheulen läßt, wenn Ö3-Rudi sie aus dem Programm verdrängen will. Für einen Falco gehen diese Ausschüttungen in die Millionen. Im Frühjahr hat er einen Mercedes 350 SE angeschafft, ihn zwei Monate später gegen einen Audi Quattro getauscht. Doch der dicke Hund kommt noch. Denn dem Finanzamt Wien 5 gilt er als „steuerflüchtig“ …

Die Einkommenspyramide der Österreichischen Popstars läßt sich folgendermaßen interpretieren: Es gibt eine schmale Schicht von Spitzenverdienern, die sich an den Fingern einer Hand abzählen läßt. Es gibt ein breites Mittelfeld, deren Angehörige sich so viel wie ein besserer Angestellter leisten können. Und es gibt eine noch viel breitere Basis von Ganzwenig- bis Garnichtverdienern. Insofern unterscheidet sich das Einkommensgefälle der Austrostars in nichts von jenem, das wir gegenwärtig in unserer allgemeinen gesellschaftlichen Ordnung vorfinden. Nur daß keiner von Umverteilung spricht. Und daß die Spitzenverdiener den größten Teil ihrer Einkommen nicht in Osterreich, sondern in der Bundesrepublik Deutschland verdienen.

Wollte man aus der auf der vorderen Seite abgedruckten Einkommens-Statistik eine bündige Kurzformel ableiten, würde diese folgendermaßen lauten: Es sieht nicht schlecht aus – aber es gibt wahrlich keinen Grund zum Frohlocken. Das Mediengetöse, das im letzten Jahr um so gut wie alle Produkte dieser jungen Industrie gemacht wurde, erweist sich als falscher Schalmeienklang, wirft man einen Blick auf die realen Absatzzahlen. Die Festung Austro-Pop ist lediglich von der fragilen Haltbarkeit eines potemkinschen Dorfes, das errichtet wurde von bezahlten Jubelpersern und freiwilligen PR-Schreibern.
Die Euphorie in der Berichterstattung steht in einem absurden Verhältnis zum wahren Erfolg der Produkte. Wie anders könnte erklärt werden, daß Franz Morak, der singende Burgschauspieler, der zu den Zeitpunkten des Erscheinens seiner beiden Langspielplatten in nahezu jedem Medium dieses Landes ausführlichst und andächtigst angepriesen wurde, in der BRD und Österreich zusammen nur 30.000 Platten verkaufen konnte?


So wenig perfekt die Schallplattenproduktion in Österreich auch verlaufenmag, so ausgeklügelt, reibungslos und sich bereits mit der Aura des Selbstverständlichen umgebend verläuft die Einbildung der Journalisten. Will heißen: Keine österreichische Schallplatte, die Peter Paul Hopfinger vom „top“ nicht für Spitze findet. Keine noch so unscheinbare Vinylproduktion österreichischer Provenienz, für die er seine Leser nicht ins Plattengeschäft schickt. Und kein noch so unbedarft singender Lederjackenträger, der für die Schreiber des „Rennbahn-Express“ nicht in kürzester Zeit zum „Superstar“ avanciert, der schon wenige Ausgaben später im „international ersten Rang“ ausgemacht werden kann.

In Wahrheit verdienen nur ganz wenige. Doch eine Handvoll Journalisten tun pausenlos so, als wären wir eine Rock-Supermacht. Und wir lassen und gern belügen.

Michael Hopp

Alle fühlen sich wohl in diesem für Österreich neuen Milieu umgänglicher Stars, stets dabei sein dürfender Schreiber und tüchtiger Promotion-Damen, keinem tut es weh, an diesem Tag die sinnliche Frau Werger, am nächsten den braven Herrn Prünster und am übernächsten den wilden Herrn Bilgeri hochleben zu lassen. Da wird geplaudert und getscheckt und gepuscht und geschrieben und geschossen und gedreht, daß sich die Bänke biegen. Mit immer demselben Ergebnis: Schlägt man die Zeitungen auf, dreht man Radio oller Fernsehen an – es sieht so aus, als hätten wir sämtliche Metropolen der Unterhaltungsindustrie (das sowieso fade London, das ohnedies tote Los Angeles) längst überflügelt.

Unablässig wäscht eine Hand die andere. Nur: Man weiß nicht genau, wozu.

derselbe


Die komplizierte Mechanik zwischen den Kommerzstrategien der Plattenindustrie und jenen des Pop-Journalismus kann hier nicht im Detail erörtert werden – postuliert sei aber folgendes:
Bisher galt als common sense, daß eine Platte nur durch entsprechende Begleitmusik der Medien abzusetzen sei. Doch in allerletzter Zeit dürfte sich das Kräfteverhältnis zu Gunsten der Plattenindu-strie verändert haben: Eine einschlägige Zeitschrift oder TV-Sendung stößt nur auf Resonanz, wenn sie sich – umgekehrt als bisher – auf entsprechende Produkte der Industrie berufen kann. Die journalistische Schwäche, an der viele dieser Medienfabrikate leiden, erzeugt einen Überbedarf an Stars – die erst das Interesse der potentiellen Leser oder Seher wecken sollen.


Zwei Beispiele seien genannt Die Jugend-TV-Sendung „okay“ reduzierte in letzter Zeit den Anteil an nichtmusikalischen Jugendthemen drastisch – und beschränkt sich immer mehr auf das Senden von Promotionfilmen, die von den Plattenfirmen zur Verfügung gestellt werden. Eine sehr ähnliche Entwicklung, nämlich das Überhandnehmen der musikalischen Industriefreundlichkeit, ist bei der Jugendzeitschrift „Rennbahn-Express“ zu beobachten. Diese Art von Medien sind in Abhängigkeit zur Plattenindustrie geraten und betrachten es nun als ihre Aufgabe, die neuen Produkte der Plattenfirmen einer populären Aufbereitung zu unterziehen – aber die Rolle der Kreativen ist auf die Plattenerzeuger übergegangen. Und die leiden gegenwärtig unter der nahezu totalen Absenz internationaler Stars und forcieren daher die lokalen Märkte. Was uns in unser potemkinsches Dorf zurückführt. Österreich ist eine kleine Welt, in der die große Probe hält. Probe für jenen fernen und herbeigesehnten Tag, an dem der Austropop sich in den Gewinnzahlen etablieren wird. Denn einstweilen haftet dem ganzen Geschäft noch was Tragisch-Komisches an. Pausenlos wäscht eine Hand die andere – und das Schlimmste: Man weiß nicht genau, wozu.

Okay, mag der eine oder andere Posten eines Werbebudgets seinen Besitzer wechseln, mögen das eine oder andere T-Shirt, manch Autoaufkleber und auch noch 25 schicke Buttons an die Journalisten verteilt werden – das Kraut wird davon nicht fett. Nicht mal – wie international üblich – tolle Reisen werden von Plattenfirmen gezahlt – gemäß des zu bewerbenden Sujets, des Austropop eben, führen die weitesten Exkursionen nur bis nach Vorarlberg.


Das einzige, das diese ewig süßliche Clique bewirkt, ist eine Versumpfung der journalistischen Sitten. Es kann zwar jeder Newcomer mit einer freundlichen PR-Story rechnen, nicht aber mit aufrichtiger Kritik. Die Hurra-Berichte, die alles gleich gut finden, treiben die Musiker in tumben Größenwahn und desensibilisieren den Geschmacksnerv des Publikums. Wenn alles super ist, schmeckt bald gar nichts mehr. Und das zweite, das von diesen Leuten mitbewirkt und vom Inhaber eines Independent-Labels (Markus Spiegel) mit einem plötzlich erstaunliche Qualitäten als Produzent entwickelt habenden Ex-Jazzer (Robert Ponger) installiert wurde: Der Synthetik-Star Falco. Er gilt als Aushängeschild, als unzweifelhafter Nachweis für die Existenz einer Schallplattenindustrie in Österreich. Ihm gelang es, sogar in die italienischen und französischen Hitparaden – in die deutschen ohnehin – vorzudringen.

Was für ein Jubel an jenem 24. April, als eine Porträtaufnahme des Wieners Johann Hölzl den Umschlag der Zeitschrift „Bravo“ zierte. Das, so konnte glücklich vermeldet werden, das war seit Udo Jürgens keinem österreichischen Sänger gelungen. Doch wenn das Strohfeuer einmal abgebrannt ist, wenn die Schwaden, die den Blick trüben, abgezogen sind, wird sich herausstellen: Daß jene fünf Plattenmillionäre, die in der Bundesrepublik absahnen, allesamt dem Genre der Liedermacher zuzuzählen sind, in ihren Stücken eine Brise Wienerisches mitschwingen lassen, nicht in der Tradition moderner Rockmusik, sondern eher in jener eines Hermann Leopoldi stehen, nur modernisierte Varianten des seit jeher fremdenverkehrfördernden Typ des Heurigensängers repräsentieren, der die Herzen der Deutschen seit jeher zu erwärmen vermag. Während die moderne österreichische Musik, schon gar, wenn sie als New Wave daherkommt, erst recht, wenn sie sich neudeutsch gibt, in der BRD nullkommajosef reißt.

Doch was soll’s. Uns gefällt’s. Wir klopfen uns auf die Schultern. Wir – die Austrorockfamilie.