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KLAUS NOMI: MANCHE COMIX-HELDEN STERBEN DOCH

Der deutsch-amerikanische Popstar Klaus Nomi starb Anfang August in New York an AIDS. Lesen Sie hier einen Nachruf der beiden Musikjournalisten Rudolf Dolezal und Hannes Rossacher, die Nomi zu ihrem Bekanntenkreis zählen durften. (WIENER, Ausgabe September 1983)

Klaus Nomi ist tot. Am Samstag, den 6. August 1983, starb er, 33-jährig, im New Yorker „Memorial Hospital“. Die steile Karriere des Berliners, der nach New York auszog, um „frei zu sein von allen Zwängen und Grenzen“ (Nomi), ist zu Ende – zu früh zu Ende. Vor einem knappen Jahr war er noch aufsehenerregender Gast in Eberhard Schoeners „Rock meets Classic“-Konzert in München gewesen – bei uns war dieser Event im TV zu sehen. Im Januar ’83 spürte er während einer Europareise plötzlich starke Schmerzen. Woher sie rührten, war nicht festzustellen. Schließlich wurden die Beschwerden so groß, dass er seine Reise abbrechen und nach New York zurückkehren musste. Dort stellte man im März ’83 den Grund für sein Unwohlsein fest: AIDS.

Wir trafen Klaus Nomi das erste Mal in einem kleinen, ungemütlichen Hotelrestaurant in Manchester. Er nahm dort gerade für das englische Fernsehen zwei Songs für eine TV-Show auf. Wir waren ihm nachgereist, um einen Filmbeitrag für unsere Sendung „Musikszene“ mit ihm zu drehen. Der Typ, der uns da am runden Plastiktisch gegenübersaß, wirkte auf den ersten Blick eher unscheinbar: klein, schmale Figur, blass, Jeansjacke, Sonnenbrille, schütteres Haar, grauer Hut. Von seinem neben ihm sitzenden Manager unterschied er sich bestenfalls dadurch, dass er noch durchschnittlicher aussah. In den ersten abtastenden Gesprächen wirkte er eigensinnig, verschlossen und irgendwie seltsam. Er hatte so gar nichts mit jenem Klaus Nomi gemeinsam, den wir von Fotos und Plattencovers kannten, mit dieser exzentrischen Figur, dem neuen Helden einer Szene, die nach immer Extravaganterem, immer Extremerem Ausschau halten musste, einer Szene, für die dieser Nomi, der so durch und durch gestylt war, sich geradezu aufdrängte. Das Gesicht kalkweiß geschminkt, mit schwarzem Kussmund, das Kostüm ein überdimensionales Lackgewand, ein stilisierter Smoking. Der Mann, der mit Sopranstimme Opernarien zu Rockmusik sang und sich mit roboterhaften, abgehackten Bewegungen auf der Bühne präsentierte, konnte nicht dieselbe Person sein, die uns da gegenübersaß.

Dass sie es doch war, erlebten wir am nächsten Tag, als wir ihn beim Schminken beobachteten. Unsere Anwesenheit schien ihm gar nicht recht. Erst allmählich begann er liebevoll, zärtlich und mit viel Sinn fürs Detail, sich sein Comix-Figur-ähnliches Äußeres ins Gesicht zu malen. „Schminken ist für mich ein sehr intimer Vorgang“, erzählte Klaus Nomi, und im Raum wurde es ganz still, „es ist so, als würde ich ein Bild malen. Früher war ich mit meinem Aussehen immer sehr unzufrieden. Später habe ich begonnen, mein Aussehen nicht zu bekämpfen, sondern es zu verstärken. Geschminkt gefalle ich mir besser. Durch das Schminken transformiere ich mich in ein anderes Ich, in die Figur, die ich auf der Bühne darstelle.“ Fast eine Stunde dauerte seine Transformation, und es war faszinierend, ihm dabei zuzusehen. Aber noch blieb er distanziert, blieb cool. Erst nach seinem TV-Auftritt ging er aus sich heraus. Die Show war ein großer Erfolg gewesen, und so saßen wir anschließend in einem kleinen Beisl, tranken und feierten ausgiebigst. Nomi unterhielt die etwa dreißigköpfige Runde mehrere Stunden lang, indem er Witze auf Englisch mit überzeichnetem deutschen Akzent erzählte. Das Ganze endete schließlich damit, dass wir uns um zwei Uhr früh Lieder absingend vor dem Wirtshaus fanden.

An diesem Abend lernte ich Klaus Nomi ein drittes Mal kennen. Nach der Show-Nomi von der Plattenhülle und dem introvertierten, scheuen Interviewpartner Nomi jetzt der private Nomi. Er war mir von den dreien der liebste. Schon als Kind begann sich Klaus Nomi für Musik zu interessieren. Er saß am Radio, hörte Opernsänger zu und hegte den Wunsch, auch einmal so singen zu können. Die Begeisterung für Operngesang ging so weit, dass er in der Schule immer mehr nachließ und schließlich mit der Schule austrat. Auch eine Lehre als Schreiner bricht er später ab. Er beginnt Gesangsunterricht zu nehmen und arbeitet in der Berliner Oper – nicht als Mitglied des Opernchors, wie das später in einer Nomi-Biografie seiner Plattenfirma zu lesen steht, sondern als Platzanweiser und Programmverkäufer.

Ich würde gerne als Comix-Figur in die Geschichte eingehen,
als singender Cartoon-Hero sozusagen – travelling through the Galaxies.

Klaus Nomi, 1982

Nomi war von der Opernwelt einerseits fasziniert, andererseits sah er sie als ein verstaubtes Museum, von dem man wie von zu viel gutem Essen Bauchweh bekommen kann. Eines Tages erklärte er einem Gesangslehrer: „Zwischen einem guten Rocksong und einer Opernarie sehe ich keinen Unterschied“ – und stieß auf grobes Unverständnis. Aber auf Unverständnis war er sowieso längst gestoßen. Nomi wollte schließlich Sopran singen. Für einen Mann so verpönt wie das Tragen eines Negligés. Immer wieder redeten seine Lehrer auf ihn ein, er solle doch endlich sein ungeheures Talent kultivieren, es endlich nutzbar machen. Lehrer sagen immer solche Sachen. Nomi hört nicht darauf und singt weiterhin Sopran.

1973 zieht er schließlich die Konsequenz. Nach weiteren missglückten Gesangsausbildungen in Berlin und der Schweiz wandert er aus. Nach New York. Die Hoffnungen, die er in die Hauptstadt der Musikavantgarde gesteckt hatte, werden vorerst enttäuscht. Statt dem künstlerischen Aha-Erlebnis gibt’s für ihn Erfahrungen als Botenjunge, Tellerwäscher, Konditor und Küchengehilfe. Nomi ist allein, seine Ehefrau Lisa Moon bleibt in Europa, Freunde hat er keine. So gut es bei seinem Kampf ums tägliche Brot geht, versucht er Kontakte zu knüpfen. Zufällig lernt er ein paar interessante Typen kennen. Er erzählt ihnen von seinen Visionen und Projekten. Der schwedische Filmemacher Anders Grafström zeigt sich interessiert. Er filmt schließlich Nomis ersten öffentlichen Auftritt auf Super-8.

Wenige Monate später liegt dieser Streifen – Gott weiß wie – auf David Bowies Schreibtisch. Bowie gefällt die ausgefallene Performance, und er verspricht zu helfen. Von da an geht alles Schlag auf Schlag. Es folgen vielumjubelte Auftritte in New Yorker Clubs wie Max’s Kansas City, Xenon, Hurrah und Irving Plaza, er wird zum gefeierten Geheimtipp, erntet Beifallsstürme für seine Version von Marlene Dietrichs „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ oder dem alten Lou Christie Hit „Lightning Strikes“. 1979 tritt Nomi gemeinsam mit David Bowie in der NBC-Fernsehshow „Saturday Night Live“ auf, danach folgen Kontakte zum Ex-Kiss-Produzenten Sean Delaney, danach ein Plattenvertrag mit RCA. Seine Debüt-Platte mit dem Titel „Klaus Nomi“ hat gute bis ausgezeichnete Rezensionen. „Nur im Traum fand ich bisher eine derartige Mischung von komödiantischer Schönheit und Terror“, schrieb etwa Leonard Abrams im Herald Tribune. Don Rockwell meinte in der New York Times: „Nomi ist bizarr. Eine äußerst beunruhigende Persönlichkeit!“ Durch diese erste LP passierte für den gebürtigen Deutschen etwas Verwunderliches: Der europäische Markt, den er 1973 wegen dessen Unverständnis verlassen hatte, interessierte sich jetzt, 1981, plötzlich für ihn. Der Stern schlagzeilte: „Klaus Nomi in den Startlöchern zu einer internationalen Karriere.“

Und tatsächlich: Nomi erlangt auch in Europa einen gewissen Bekanntheitsgrad. Ein wirklich breites Publikum hat er aber nur in Frankreich. Im Pariser In-Club Le Palace auf der Cité Bergère, der Metropole nächtlicher Vergnügungen, hatte Nomi schon 1980 vielbeachtete Gastspiele geliefert. Klaus Nomi war nicht einzuordnen, in keine Stilrichtung, in keine Tradition. Er genoss es, zu verunsichern, vor den Kopf zu stoßen – und wollte doch im gleichen Augenblick nicht nur bestaunt, sondern auch gemocht werden. Nomi war die Summe eines Puzzles aus vielen kleinen Details, liebevoll entwickelt in hunderten von Zeichnungen und Skizzen, die er selbst von sich anfertigte. Er war kein Produkt des Augenblicks, sondern einer jahrelangen egozentrischen Entwicklung. Sein Äußeres war nicht aufgesetzt, sondern gewachsen. Und hätte noch wachsen können…

Das zweite Mal trafen wir Klaus Nomi in Paris, im März ’82. Er war in Frankreich bereits ein gefeierter Star. Der Musikfilm „URGH! A Music War“ (Regie: Derek Burbidge) hatte im Rahmen des Pariser Musikfilmfestivals Premiere. Nomi war in dieser „Bestandsaufnahme der New Wave“ mit einem Live-Mitschnitt seines Songs „Total Eclipse“ zu sehen. Die ganze Passage dauerte keine fünf Minuten. Umso größer sein Publicityauftritt beim Festival. Seine Ankunft am Abend der Premiere war generalstabsmäßig geplant. Fotografen und TV-Kameras sollten für die wenigen Augenblicke seines Erscheinens optimale Bedingungen – das heißt möglichst viel Rummel rund um den Star – schaffen. Nomi parkte um die Ecke in seiner Limousine und musste dort eine halbe Stunde warten, bis alles vorbereitet war. Er fand das damals „ziemlich blöd“ – doch dreißig Minuten später war er der coole Star, der lässig mit Sonnenbrille aus dem Auto stieg, souverän durchs Blitzlichtgewitter der Fotografen spazierte und dabei keine Miene verzog. Auch das war Nomi – er wusste genau um seine Wirkung. „Es ist eine Mischung aus Exhibitionismus und Angst, wenn ich mich in der Öffentlichkeit so produziere“, erzählte er uns einmal. „Manchmal zittere ich dabei wie Espenlaub. Dann weiß ich nicht so recht, ob ich das Ganze wirklich gerne tue.“

Klaus Nomi hatte noch viel vor. Nach seiner zweiten Platte „Simple Man“ wollte er eine ausgedehnte Europatournee machen und dabei in seiner Heimat Deutschland das Unverständnis gegenüber seiner Musik brechen, das er so stark verspürte. Auch ein Zeichentrickfilm und ein Musical waren in Planung. In den letzten Monaten dachte Klaus Nomi nur mehr selten an diese Pläne. Er hörte fast gänzlich auf, künstlerisch zu arbeiten – er wollte überleben. Er war nur mehr damit beschäftigt, gegen seine Krankheit anzukämpfen. Einen Kampf, den er verlieren musste. Als er merkte, dass er nicht dagegen ankommt, gab er auf, bereitete sich darauf vor, würdig zu sterben. Vor einem Monat bestellte er seinen Rechtsanwalt zu sich ins „N.Y. Memorial Hospital“, regelte alles Geschäftliche und machte sein Testament. „Von diesem Zeitpunkt an ist es sehr schnell gegangen“, erzählt Jean Pierre Bommel, sein langjähriger Manager und Freund. „Wir wussten alle, er hatte sein Leben abgeschlossen.“ An jenem 6. August, an dem Klaus Nomi starb, waren drei Menschen bei ihm im Krankenhaus: seine Frau Lisa, seine Sekretärin Josephine und Jean Pierre Bommel eben.

Ich erinnere mich an eine Geschichte, die Klaus Nomi über ein Erlebnis in seiner Kindheit erzählte: „Als Kind habe ich meiner Mama einmal Geld gestohlen und mir dafür eine Elvis Presley-Platte gekauft. Sie war sehr wütend, als sie daraufkam. Sie hat die Platte genommen, sie ins Sie hat die Platte genommen und sie ins Geschäft getragen – aber nicht, um das Geld zurückzuverlangen, sondern um sie gegen eine Platte von Maria Callas einzutauschen. Der Zwiespalt zwischen Oper und Pop hat Klaus Nomis Leben geprägt. Selbst bei seinem Tod mit 33 Jahren weiß man nicht so recht, ob er eher in der Tradition der Rockmusik („Lebe schnell, intensiv und kurz“) eines Hendrix oder Morrison liegt oder der klassischen Komponisten, die oft viel zu früh starben, bevor sie ihr Lebenswerk vollenden konnten. Vielleicht, Klaus, widmen sie dir eine dritte Platte – In Memoriam. Sie wird sich sicher gut verkaufen – Klaus Nomi, bisexuell, an AIDS gestorben. Warum sollten Plattenfirmen diesmal Skrupel haben, einen toten Musiker auszubeuten?

Aber anders als bei der Leichenfledderei, die sie bei Hendrix oder Elvis praktizierten, von denen jeder Ton veröffentlicht wurde, bis es einem zum Hals rauskam, würde es mich bei dir nicht stören. Denn: Wir haben viel zu wenig von dir gehört, gewusst, erfahren. Es war zu kurz, zu wenig Zeit. Jedes weitere Lied von dir wäre eine Bereicherung. Klaus Nomi hat nie gewusst, wo er hingehört. Ein musikalischer Zwitter zwischen David Bowie und Maria Callas. Nur: Nomi war musikalisch nicht geschlechtslos, sondern hatte die Vorzüge beider Geschlechter. Ich kenne keine Frau, die Marlene Dietrichs „Falling in Love Again“ erotischer hätte singen können – und keinen Mann, der Chubby Checkers „The Twist“ intensiver hätte bringen können.