AKUT

Archiv 1990: August im Jahre 2030

Jakob Stantejsky

Wollt ihr den totalen Klimakollaps? Kein Problem. Treibhaus, Ozonloch und Ökocrash garantieren dafür. In 40 Jahren wird der blaue Planet nicht wiederzuerkennen sein. Inklusive Österreich. WIENER-Reporter Gerhard Kummer (Text) ging auf Zeitreise in die Zukunft. Und brachte ein Szenario vom August 2030 mit.

Fotos: ÖBV, Illustrationen: Ronald Putzker

August 2030: Sturmböen, Hitzewellen, Unwetter. Die Wiener U-Bahn unter Wasser. Das Imperium schlägt zurück: als Treibhaus, Ozonloch und Ökocrash. Amory Lovins, amerikanischer Guru der Physik, warnt schon heute: „Die Welt wird zur undichten Badewanne. Anstatt die Löcher zu stopfen, erfinden wir stärkere Durchlauferhitzer!“

Im Jahr 2030 werden mehr als acht Milliarden Menschen ein Ticket für eine neue „Arche Noah“ wollen. Raus aus der Umwelthölle! Nur: wohin? „Nach Norden“, sagt Ing. Bruno Natsch, Mitarbeiter am Ökoinstitut in Freiburg (BRD). „Denn südlich der Alpen droht die totale Versteppung – bei Temperaturanstieg!“ Und der ist gewiss. Bescherten doch allein schon die Achtziger die wärmsten Jahre der Menschheitsgeschichte. Doch das ist erst der Anfang. Wenn die Kinder der Neunziger 40 sind, wird die Welt nicht mal mehr auf Fahndungsfotos wiederzuerkennen sein.

Der Wiener Uni-Professor Dr. Gerhard Bruckmann weiß: „Die Klimaverschiebung ist bereits überdeutlich. Die beiden letzten Winter waren nur die Vorhut. Entsprechend heißer und trockener die Sommer.“ Österreich im August 2030. Der WIENER ging auf Zeitreise. Und landete im Schönbrunner Palmenhaus. Das heißt, dort, wo es mal war. Die Verglasung ist weg. Was einst Schutz vor Wind und Wetter brauchte, fühlt sich mittlerweile auch im Freien pudelwohl. Palmen und Exotik sogar in Tirol und Vorarlberg. Bis 1600 Meter. Der Bodensee eine blaue Südseelagune. Die Nordalpenkette fruchtbar, tropisch das Klima. Exotisch die Früchte. Reinstes Tahiti das Voralpenland. In den Schrebergärten rund um Wien gedeihen Avocados, Papayas, Ananas und jede Menge Bananen. „Tschigita“ Austria reibt sich die Hände.

Allerdings nur bis zum Burgenland. Denn dort beginnt die Steppe. Der Neusiedler See, im Laufe seiner turbulenten Geschichte mehr als 200mal ausgetrocknet, hat mittlerweile endgültig die Kurve gekratzt. Die ganze Umgebung von weiß glitzernden Salzkrusten bedeckt. Sengende Hitze. Wind. Dünen. Eine Landschaft wie ein Showdown von Sergio Leone. Nur ohne Hauptdarsteller. Die einst blühende Landwirtschaft im Wüstenkoma. Wüste auch teilweise im Steirischen und in Kärnten. Weitaus fruchtbarer die Gegenden im Einzugsbereich des feucht-milden Westwetters. Salzburg und Oberösterreich sorgen für das Brot der späten Jahre.

Verwirrend die neuen Verkehrsschilder: „Vorsicht! Elefantenwechsel.“ Oder: „Antilope von rechts.“ Verständlich das Überholverbot für Geparden. Dem gemäßigten Tropenklima angepasst auch die Kleidung: Krachlederne und Janker schon längstens Ladenhüter. Voll im Trend: Hawaiihemd und Shorts. Hitverdächtig: Baströcke im Trachtenlook. Schwer am Abstieg: die Krawattenindustrie. Im Jahrtausendtrend: das Cabrio. Ein Keil ohne Dach. Mit Wasserstoffmotor. Wüsten aber nicht nur im Südalpenreich, sondern auch hinter dem großen Teich. Die einstige Korn- und Speisekammer der USA, der Mittelwesten, eine riesige, trostlose, unendliche Weite. Karg wie der Mars. Sibirien, Tundra und Taiga hingegen wieder frucht- und urbar.

Und genau das ist der Punkt: Selbst die Länder, denen der Treibhauseffekt das kurze Glück wärmeren Klimas und höherer Ernten beschert, werden von den Umwälzungen überrannt, so das Umweltmagazin Natur in seiner Mai-Ausgabe. Die Wüsten wachsen, die Ozeane steigen. Das Treibhaus ist dicht. Der Hälfte der Menschheit droht der Verlust von Land, Boden und Leben. Umweltflucht das neue Schlagwort. Sofern die Prognosen zutreffen. Doch daran ist leider kaum zu zweifeln, auch wenn die Verheißungen schwanken. Zwischen 1,5 und 4,5 Grad höhere Temperaturen ließ die Villacher Klimakonferenz verlauten. Manche Klimatologen sprechen von bis zu Grad. Innerhalb der nächsten 40 Jahre. Dimensionen, wenn man bedenkt, dass allein schon minimalste Quecksilbersprünge ausreichen, sämtliche Lebensbedingungen umzukehren. Komplett.

Prof. Bruckmann: „Nur ein halbes Grad mehr und in England wächst wieder Wein!“ Vollmundig auch die Grönländer Trockenbeerenauslese, Jahrgang 2029. Radikale Veränderungen aber nicht nur in der weltweiten und österreichischen Landwirtschaft, sondern auch im Gesundheitswesen. Nicht unbedingt nur angenehme. Tropische Krankheiten wie Malaria auch in davon heute noch unberührten Ländern. Die Alpenrepublik nicht ausgenommen. Enorme Zunahmen vor allem bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, schon jetzt Todesursache Numero uno innerhalb der westlichen Hemisphäre. Zahllose Todesfälle durch Hitzestress die sichere Konsequenz. Betroffen in erster Linie Kinder, Schwache. Und Alte. Im Klartext: die Generation der heute 30jährigen. Verlorene auf der Suche nach dem Garten Eden.Ein langer Weg im Sperrfeuer der Umweltkatastrophen. Einer ins 22. Jahrhundert. Denn erst dann käme eine sofortige Schadstoffreduzierung zum Tragen. Frühestens. Das Ozonloch schon jetzt. Spätestens. Sekundiert von einer gigantischen Zahl zusätzlicher Hautkrebserkrankungen, bedingt durch zu hohe UV-Belastungen. Rund um den Globus. Auch die einheimischen Kliniken werden über Patientenmangel nicht klagen können. Dr. Reinhard Lindner, Leiter des Wiener Instituts für Umweltmedizin: „Kein Zweifel am Zusammenhang zwischen erhöhten Umweltbelastungen und einer steigenden Zahl verschiedener Krankheiten!“Bestes Beispiel: bodennahes Ozon. Das reinste Atemgift. Schon heute fast täglich im Straßenhandel. Mit Grenzwerten als Farce ihrer selbst. Doch der Ozonbericht von Umweltministerin Flemming im letzten November wurde von der Regierung lediglich zur Kenntnis genommen. Und das, obwohl sich, laut Univ.-Prof. Manfred Haiden, Vorstand am Institut für Umweltprobleme, Lungenfunktionsstörungen in drastischer Weise vermehren. Nicht schwer zu deuten die Situation in einigen Jahrzehnten. Das Leben im Großstadtdschungel ein Kampf um letzte Sauerstoffreserven. Kein Pappenstiel.Auch nicht die Einnahmeverluste in Sachen Alpentourismus. Brachte doch allein schon die letzte Saison das nette Defizit von 35 Milliarden Schilling. Zahlreiche Kärntner Hoteliers wanken nur noch mühsam in den nächsten Tauwetterwinter. Oder satteln überhaupt um. Was nicht unklug ist. Rechnet doch das Innsbrucker Institut für Meteorologie – bei nur durchschnittlicher Temperaturerhöhung – mit Schneefallgrenzen um 1600 Meter. Mit dramatischen Effekten: Vermurungen, Erosionen, Überschwemmungen. Als Folge von Erdrutschen die Evakuierung zahlreicher Bergdörfer und Alpentäler. Die Kehrseite der Medaille Tropic-Life. Der Lebensraum Alpen wird – wie das gesamte Weltklima – ein Abenteuertrip nach Indiana-Jones-Manier. Nur besser, weil live. Und hautnah.Dr. Bruno Natsch vom Ökoinstitut in Freiburg: „Das Klima wird sich nicht plötzlich ändern. Es wird vielmehr einfach viel häufiger Wetterextreme geben!“ Er meint damit kleine Probleme wie Onkel „Gilbert“, den Wirbelsturm des Jahrhunderts, der vor zwei Jahren halb Jamaika aus den Angeln holte. Im Alleingang. Seine Brüder werden auch unsere Breiten bald gerne besuchen. Die jährlichen Sommerunwetter sind nur Kürzel als Resultat einer falsch verstandenen, auf billigen fossilen Rohstoffen basierenden Industriekultur. Wenn wir die Schätze der Erde ausgraben, werden wir großes Unheil beschwören, prophezeiten schon vor 100 Jahren die Weisen der Hopi-Indianer.Prof. Peter Weish, Mitarbeiter der Kommission für Humanökologie, hat Netteres parat: „Wir stehen am Übergang vom fossilen zum Solarzeitalter. Wenn wir den Schritt schaffen, kriegen wir die Probleme in den Griff!“ Ein Traum? Vranitzky jedenfalls hat Wahlkampfträume von Autos (mit Pedalen?), die keine drei Liter mehr brauchen. Von völlig neuen Technologien und Energien – und vielleicht von Palmen auf dem Ballhausplatz. Regieren aus der Hängematte – während im Parlament Schimpansen über die neue Bananensteuer diskutieren.