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Archiv 1994: Die Stimme des Führers

Die heimtückischen Briefbombenattentate haben die österreichische Neonazi-Szene als mögliche Täter ins rechte Licht gebracht. Der Rechtsextremisten-Chef sprach mit dem WIENER exklusiv über die Anschläge.

Die Politiker werden von der aufgebrachten Volksmasse aus dem Parlament gezerrt und an den Laternenmasten der Wiener Ringstraße aufgeknüpft werden. Schrecklich werde diese Abrechnung sein, beschwor der Brandredner im olivgrünen „Freizeitanzug“ vor lodernden Sonnwend-Flammen im Kreise seiner Krypto-Teutonen, „andere“ Zeiten herauf. Der „Schreckens-Visionär“, Neonazi-Führer Gottfried Küssel, 35, seit 7. Jänner 1992 in Haft, wurde Ende September 1993 wegen NS-Wiederbetätigung zur Mindeststrafe von zehn Jahren Haft verurteilt. Der Staatsanwalt fordert jetzt in seiner Urteilsberufung eine Straferhöhung. Angesichts der Briefbombenattentate wurden Kameraden Küssels nach der Anschlagserie verhaftet, durchsuchten Staatspolizisten die Zelle West E 27 im Hochsicherheitstrakt der Justizanstalt Krems/Stein, die derzeitige Adresse des Neonazi-Chefs. Mehr als 500 Briefe wurden bei der nächtlichen Geheimaktion im Auftrag der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt.

Erstmals seit der schrecklichen Bombenserie steht Küssel Rede und Antwort. Sein Anwalt Dr. Otto Tuma stellte die WIENER-Fragen dem Möchtegern-Germanen und zeichnete seine Antworten wörtlich auf. Redaktion: Kid Möchel.

Der WIENER weist ausdrücklich darauf hin, dass er sich mit den Aussagen von Gottfried Küssel in dem nachfolgenden Interview nicht identifiziert.

WIENER: Herr Küssel, Sie befinden sich im Spitalstrakt der Haftanstalt Stein. Wie steht es um Ihre Gesundheit?

KÜSSEL: Die während meiner Haft entstandenen Gallensteine wurden im Wiener Landesgericht nicht nur nicht behandelt, sondern völlig falsch diagnostiziert, was anhaltende Gallenkoliken seit Anfang des Jahres 1993 zur Folge hatte. Durch eine Operation sind die Probleme, soweit jetzt subjektiv feststellbar, beseitigt.

WIENER: Seit zwei Jahren befinden Sie sich in Haft. Beschreiben Sie Ihren Tagesablauf in Stein.

KÜSSEL: Ich befinde mich im Moment im Hochsicherheitstrakt und bin hier als Hausarbeiter tätig. Dies bedeutet, dass ich von sieben bis 15 Uhr im Hause tätig bin. Die Zeit danach bis zur Nachtruhe verwende ich größtenteils zum Studium und zur Arbeit an meinem Akt sowie zum Lesen und zur Korrespondenz.

WIENER: Was lesen Sie im Moment?

KÜSSEL: Wisnewski/Landgreber/Sieker: Das RAF-Phantom. Eibl-Eibesfeldt: Der Mensch, das riskante Wesen. Die Baghavadgita und Computerliteratur.

WIENER: Stehen Sie noch immer in Kontakt, zum Beispiel brieflich, mit Ihren Kameraden? Auch mit den Inhaftierten?

KÜSSEL: Im Moment, also seit etwa einem Monat, ist meine Korrespondenz aus dubiosesten Gründen unterbrochen. Ich erhalte kaum Post ausgefolgt. Ich gehe davon aus, dass diese mir bei irgendwelchen Stellen vorsätzlich entzogen wird. Darüber hinaus wurde im Zuge einer Hausdurchsuchung in meiner Zelle sämtliche Korrespondenz, die ohnehin die Zensur passiert hatte, unter Angabe von fragwürdigen Gründen beschlagnahmt; dies, obwohl der Kontakt mit meinen Freunden und Bekannten sich auf vorwiegend private und philosophische Fragen beschränkte.

WIENER: Sie erhalten regelmäßig Post von Ihren Kameraden aus Deutschland. Welchen Inhalts?

KÜSSEL: Wie schon gesagt, die Briefkontakte sind ausschließlich privaten beziehungsweise philosophischen Inhalts.

WIENER: Welche Ihrer bundesdeutschen Freunde haben Sie nicht enttäuscht? Welche haben Sie enttäuscht?

KÜSSEL: Ich habe von keinem meiner Bekannten und Freunde etwas Besonderes erwartet, daher konnte mich auch niemand enttäuschen. Da eine zentrale Organisation ein vorwiegend von Medien, aber auch von Behörden geträumter Traum war und ist, der mit aller Gewalt und unter Hintansetzung jeglicher Wahrheit aufrechterhalten und in der Öffentlichkeit so zur Realität geformt werden soll, hatte ich ja auch von niemandem das Geringste zu verlangen.

WIENER: Als Sie von den Briefbombenattentaten Kenntnis bekamen – was war Ihr erster Gedanke?

KÜSSEL: Jetzt versucht jemand gegen die natürlichen Entwicklungen im Wahljahr 1994 zu arbeiten!

WIENER: Steht Ihre Verurteilung Ihrer persönlichen Meinung nach in Zusammenhang mit der Bombenserie?

KÜSSEL: Nein, denn ich traue jenen, die ich kenne, solche Taten nicht zu, und Proteste hätten sicherlich schon im September oder Oktober ’93 stattgefunden. Neben den direkten Opfern der Anschlagserie haben nur nationale und politisch „rechte“ Gruppen Nachteile. Dies müsste auch jedem klar gewesen sein, der sich mit der Frage des individuellen Terrors irgendwann theoretisch beschäftigt hat. Die Bevölkerung Österreichs bringt solchen Anschlägen nur in sehr reduziertem Maße Verständnis und in keinem Fall Sympathie entgegen.

Mir scheinen also tatsächlich Kräfte hinter diesen Briefbomben zu stecken, die an einer Diffamierung der politischen Opposition in Österreich interessiert sind und die Interesse haben, gegen politische Gegner auch mit polizeistaatlichen Methoden vorzugehen. Das gewalttätige Vorgehen der Behörden gegen Personen aus rechten und nationalen Kreisen und das Verlangen nach noch umfangreicheren gesetzlichen Möglichkeiten zeigt eindeutig Parallelen zum Vorgehen der bundesdeutschen Behörden gegen die Linke in den siebziger

Jahren. Wer Mut hat, sollte die Frage, wem nützt es, einmal konsequent durchdenken.

WIENER: Was würden Sie dem durch eine Briefbombe schwerverletzten Wiener Bürgermeister Helmut Zilk persönlich sagen?

KÜSSEL: Persönliche Gespräche sollten persönlich bleiben, aber der Grundtenor ist sicher, dass körperliche Gewalt gegen politische Gegner, gleich woher sie kommt und wie sie sich darstellt, nicht vertretbar ist.

WIENER: Wie würden Sie derzeit Ihre Rolle und Ihren Stellenwert in Ihrer sogenannten „Gesinnungsgemeinschaft“ beurteilen?

KÜSSEL: Ich bin politischer Gefangener, sonst nichts!

WIENER: Welche Aspekte, welche politischen Standpunkte sehen Sie heute nach zwölfjähriger Haft in einem anderen Licht?

KÜSSEL: Die Unterdrückung politisch Andersdenkender hat sich verschärft, und der Grundsatz, der am Anfang der Entwicklung hin zur politischen Freiheit stand, nämlich der von Rousseau: „Ich werde deine Meinung bis zum äußersten bekämpfen, aber ich werde dafür kämpfen, dass du sie haben kannst“, ist von seiner Umsetzung weiter weg denn je!

WIENER: Haben Sie Fehler gemacht?

KÜSSEL: Im Nachhinein ist man klüger. Daher hätte ich mit dem heutigen Wissensstand auf manche Dinge sicher anders reagiert. Betrachtet von der Situation, in der ich damals stand, ist mir aber wohl meistens nichts anderes übriggeblieben, als so zu handeln, wie ich gehandelt habe.

WIENER: Wie schätzen Sie Menschen wie Franz Rad junior und senior, Peter Binder, Alexander Wolfert und Gerhard Endres ein?

KÜSSEL: Ich halte jene, die ich kenne, für politische Menschen, denen ich Terrorakte nicht zutraue! Die meisten der Angesprochenen stehen seit längerer Zeit unter Beobachtung durch die Öffentlichkeit und wissen das auch. Auf der anderen Seite sind sie samt und sonders intelligent genug, dies auch zu wissen. Daher glaube ich ausschließen zu können, dass auch nur einer meiner Bekannten mit der Briefbombenserie das Geringste zu tun hat.

WIENER: Wer sind die „vielversprechendsten“ Köpfe in Ihrer Bewegung? Heißen Sie Bela Althans, Christian Worch oder Arnulf Priem?

KÜSSEL: Da es eine „Bewegung“ weder gab noch meines Wissens gibt, halte ich es für müßig, sich über diese Frage den Kopf zu zerbrechen. Es gibt neben den angeführten Personen europaweit noch genügend gescheite, interessante Personen, die aber bekannt sind und daher selbst befragt werden können.

WIENER: Die russischen Nationalisten haben bei den Parlamentswahlen deutlich gewonnen. Hat dieser Umstand irgendeinen Einfluss auf Ihre oder ähnliche Bewegungen?

KÜSSEL: Die Entwicklungen in Russland sind geopolitisch interessant, und es scheint mir dienlich, außenpolitisch die Liberaldemokratische Partei‘ nicht auszugrenzen, sondern vielmehr dem Wunsch eines so großen Teiles der russischen Wählerschaft Rechnung zu tragen und mit den Vertretern dieser Partei Gespräche zu führen, die zur gedeihlichen Entwicklung aller Völker auf der Grundlage der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit beruhen.

WIENER: Ganz indiskret – wie steht es nach so langer Haft um die Beziehung zu Ihrer Freundin?

KÜSSEL: Sie haben recht, es ist eine indiskrete Frage, die ich nicht indiskret beantworten will. Das, was meine Verlobte und mich verbindet, ist nicht „Beziehung“ oder „Verhältnis“ beziehungsweise „Partnerschaft“, sondern Liebe. Und diese Liebe ist durch die widrigen Umstände belastet. Allerdings vertraue ich dieser Liebe!

WIENER: Welche Pläne haben Sie für ein Leben nach der Haft?

KÜSSEL: Von Plänen kann im Hinblick auf so lange Zeit nicht gesprochen werden. In jedem Fall „nutze“ ich die Zeit hinter Gittern, um zu lernen, zu lernen und zu lernen. Um allen Eventualitäten nach meiner Entlassung gewachsen zu sein. Viele Gefangene verlassen die Gefängnisse und sind ausschließlich auf Zuwendung durch die öffentliche Hand angewiesen. Ich habe vor, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, wann immer, wo immer und unter welchen Umständen auch immer!