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Archiv 2003 – Der Spion den sie lieben

Christian Jandrisits

Wladimir Putin war mal beim KGB und ist jetzt Präsident Russlands. Oder besser: Lieblingspräsident Russlands. Innerhalb von 3 Jahren hat sich der integere Nobody zum spröden Sexsymbol seines Landes gemausert. Ein Porträt.

Es fing an in der Gegend von Pskow. Da besuchte Wladimir Putin einmal die mittelalterliche Ruine Isobrsk, labte sich am Wasser einer Quelle, kaufte bei Babuschka eine Gurke und blieb an diversen Stellen stehen, um sich interessiert umzusehen. Alles Dinge, die eben so passieren, wenn ein Präsident offiziell Sehenswürdigkeiten besichtigt. Nur: Heute wird für die Ruine eine 90-minütige Exkursion angeboten. „Auf dem Pfad Putins“ heißt die und zeigt alles, was an jenem denkwürdigen Tag bei der Quelle, bei Babuschka und sonst noch so passiert ist. Ähnliches ist zu beobachten im Museum des Magnitorsker Hüttenwerks: Dort gruppiert sich eine Dauerausstellung namens „Hier war Putin“ um jene Arbeitskleidung, die er während seines Besuches getragen hat. Oder die russische Girlband „Gemeinsam singen“, die im Sommer des Vorjahres für einen überraschenden Hit sorgte: „Ich will so einen wie Putin”, sang sie. „Einen, der nicht trinkt, einen, der mir nicht weh tut, einen, der mich nicht verlässt.“

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Man sieht: Wladimir Putin, russischer Präsident von Beruf, ist beliebt. So beliebt, dass es in seinem Land überall Porträts in allen Größen und Ausführungen von ihm zu kaufen gibt. Und so beliebt, dass auf einem Tätowier-Wettbewerb für ein besonders schönes Konterfei Putins gar ein Sonderpreis erfunden wurde: für Patriotismus. Das war nicht immer so. Als ihn Boris Jelzin im August 1999 zum Premierminister ernannte und am 31. Dezember desselben Jahres zu seinem Nachfolger als Präsident bestimmte, sagten Freunde wie Feinde, in- wie ausländische Beobachter dem spröden Nobody, der niemals lächelte, nur eine kurze Karriere voraus. Eine Marionette des Jelzin-Clans sei er, hieß es damals, und ein Werkzeug der russischen Oligarchen, die mit ihm ihre dubiosen Ziele leicht verwirklichen könnten. „Wer ist Putin?“, fragte damals der „Spiegel“ und konnte die Frage auch in einer ausführlichen Coverstory nicht recht beantworten.

Vielleicht war sie auch nur falsch gestellt: „Warum ist Putin?“ müsste sie eher lauten. Warum verehrt die große Mehrheit eines Riesenstaates derart abgöttisch einen klein gewachsenen Fünfzigjährigen und ehemaligen KGB-Agenten der zweiten Liga, der nicht einmal gerne Alkohol trinkt? Wladimir Putin ist heute, so sind sich seine Biografen (und er selbst bei aller kolportierten Bescheidenheit wohl auch) einig, die Speerspitze eines radikalen Generationswechsels. Michail Gorbatschow war der nette Onkel mit der schönen Frau, der das alte kommunistische System behutsam erneuern wollte. Boris Jelzin war der skurrile Großvater mit dem Trink-Problem, der alles kaputt schlagen wollte. Und Putin ist nun der agile Jüngling ohne Laster, der eiskalt Altkommunisten und Sowjetmanager der alten Schule aus der Politik drängt, den angeschlagenen Nationalstolz seines Landes mit dem Versprechen aufpoliert, es wieder zu zaristischer Größe zu führen – und sich dabei einen Dreck um Menschenrechte, Freiheit der Meinungsäußerung und massenweise tote Zivilisten in Tschetschenien schert.

Seinen Untertanen ist es egal, dass er demokratische Prinzipien gerne außen vor lässt, alte Kameraden aus seiner Zeit beim Geheimdienst flächendeckend in Schlüsselpositionen setzt, einmal die schleichende Gleichschaltung der russischen Medien pausiert und ein andermal kritische Journalisten maßregeln lässt. Schon ein Jahr nach seiner Wahl im März 2000 konnte sich Wladimir Putin über Popularitätswerte freuen, von denen westliche Politiker nur träumen. Rund 70 Prozent der Russen hätten ihn damals laut einer Meinungsumfrage sofort wiedergewählt, eine Moskauer Zeitung kürte ihn zum erotischsten Mann Russlands und eine 30-jährige Dame namens Anna gab darin zu Protokoll: ,,Er raucht nicht, er trinkt nicht, er macht viel Sport, er liebt seine Frau und seine Kinder. Was willst du mehr?“ Oder Vika, 32, ebenfalls dort: ,,Ich liebe Geheimagenten, seit ich ein Kind war“, sagt sie. ,,Sogar wenn Putin im Fernsehen jemandem die Hand schüttelt und versucht menschlich zu lächeln, verängstigt er mich. Mit anderen Worten: Ich will ihn.“

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Wladimir Wladimirowitsch Putins Geschichte beginnt am 7. Oktober 1952 in einem Geburts­haus im Zentrum von Leningrad. Seine Mutter Maria Iwanowna ist bereits 41, als sie Wolodja, wie sie Wladimir fortan rufen wird, zur Welt bringt. Für seine Eltern ist er Wunder und Trost zugleich. Wolodjas zwei ältere Brüder sind bereits tot, gestorben während der 900-tägigen Blockade Leningrads durch die Deutsche Armee Anfang der 40er-Jahre, die über einer Million Menschen das Leben kostete. Wladimir wächst in den bescheidenen Verhältnissen einer Einzimmerwohnung auf, spielt in Hinterhöfen, hasst es stillzusitzen, hasst die Schule – und liebt Kampfsport und propagandistische Geheimdienstfilme.

Mit 14 fängt er mit „Sambo“, einer russischen Ring-Technik, an, dann kommt Judo dazu, dem er bis heute treu geblieben ist (und das auch gerne vor Fernsehkameras zeigt). „Es ist die Philosophie dahinter, die mich anzieht“, erzählte er einmal der amerikanischen Radiostation „npr“. „Sie lehrt uns, auch unsere Gegner mit Respekt zu behandeln.“

Und Putin ist nun der agile Jüngling ohne Laster, der eiskalt Altkommunisten und Sowjetmanager der alten Schule aus der Politik drängt, den angeschlagenen Nationalstolz seines Landes mit dem Versprechen aufpoliert, es wieder zu zaristischer Größe zu führen – und sich dabei einen Dreck um Menschenrechte, Freiheit der Meinungsäußerung und massenweise tote Zivilisten in Tschetschenien schert.

Mit 18 will Putin zum KGB. Der will ihn erst, wenn er Rechtswissenschaften studiert hat, was er auch tut. 1975 schließlich absolviert er einen sechsmonatigen KGB-Lehrgang in Leningrad. Schnell landet er in der Auslandsspionage, was bedeutet, dass er Ausländer dazu bringen muss, in ihren Heimatländern für die Sowjetunion zu spionieren. „Die Arbeit hat mir geholfen, ein Gefühl für menschliche Interaktionen zu bekommen“, sagt Putin heute über seine Zeit beim KGB.

1985 wird er nach Dresden geschickt – nicht gerade ein illustrer Ort für einen Top-Spion, als den ihn seine Fans gerne darstellen. Was er dort genau tut, ist bis heute unklar. In seiner geschönten Autobiografie schweigt er darüber ebenso wie in Interviews, und ehemalige Kollegen können sich kaum an ihn erinnern. Fest steht: Im November 1989 fällt die Berliner Mauer, Putin verbrennt kiloweise Aktenmaterial und kehrt mit seiner Frau und den beiden Töchtern zurück nach Leningrad, wo er an der Universität ausländische Studenten überwachen soll – ein Job auf dem Abstellgleis für ausrangierte Agenten. Er, der überzeugte Spion, ist tief gekränkt, quittiert seinen Dienst und heuert beim Reformer Anatoli Sobtschak an, dem Vorsitzenden der Leningrader Stadtverwaltung.

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Danach geht es Schlag auf Schlag: Putin übernimmt das Leningrader Komitee für außenwirtschaftliche Beziehungen, wird Vizebürgermeister und wird 1996 von Anatoli Tschubais, einem anderen Reformer, nach Moskau geholt. 1997 Vizechef des Präsidialamts, 1998 Chef des FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB, 1999 Premierminister und schließlich Kronprinz Boris Jelzins. Einige 16 seiner 28 Berufsjahre verbrachte Putin im KGB, einer Organisation, die nach westlicher Wahrnehmung als Synonym für Terror und Repression der Sowjet-Ära steht. Für den Großteil der Russen gilt das heute allerdings als glamouröser Farbtupfer in der Biografie. „Es ist unglaublich“, erzählte einmal ein russischer Banker und Ex-Agent dem „Guardian“. „Vor zehn Jahren konnte man nie zugeben, beim KGB gewesen zu sein. Heute sind wir allseits beliebt. Und Putin spielt mit diesem Romantizismus.“

Und schlägt Vorteil um Vorteil aus seinen alten Kontakten. Leute, die ihm auf seinem Weg nach oben geholfen haben, vergisst er nicht. Und Leute, denen er auf ihrem Weg nach oben geholfen hat, vergessen Putin nicht – so will es der Ehrenkodex, so will es Putin. „Objektiv gesehen gibt es niemanden, der besser geeignet ist, Russland zu regieren“, sagt Juri Novolodsky, ein Studienkollege Putins, in einem Interview. „Niemand ist im Land besser informiert als er. Er weiß alles über jeden.“ Die hohe Kunst der informellen Politik, gepaart mit kühlem Pragmatismus, hat Putin jedenfalls zum nachhaltigen Sieg im vorläufigen Finale um Geld, Macht und Kontrolle über das russische Riesenreich verholfen. Wo früher die russische Hochfinanz die Sicherheits- und Geheimdienste für sich instrumentalisierte, agieren heute Putins Vertrauensmänner. Wer sich nicht den staatlichen Interessen unterordnet, wird abserviert. Das kann auch schon einmal ehemalige Jelzin-Vertraute wie den bekannten Oligarchen und Medienmagnaten Boris Beresowski treffen, der heute vom Exil aus eine Opposition gegen Putin organisiert.

Ohne Erfolg, denn das Volk verehrt seinen Wladimir Putin gerade, weil er so hart durchgreift, sich mächtige Feinde schafft und im Gegenzug im gebeutelten Russland für ein subjektives Gefühl von Sicherheit sorgt. Fehlgeschlagene Informationspolitik wie beim Untergang des Atom-U-Bootes Kursk nimmt es ihm daher so wenig übel wie das blutige Ende des Geiseldramas im Moskauer Musical-Theater, bei dem über 90 Geiseln starben. Es sind, so scheint es, immer die Niederlagen, die Putin besonderen Auftrieb verleihen.

Und es sind immer die positiven Berichte der mehr und mehr gleichgeschalteten russischen Medien über ihren Präsidenten, die ihm seine holprig-erotische Aura verschaffen. Putin beim Papst, Putin bei Bush, beim Schulterwurf, beim Skifahren, mit Ehefrau vorm Taj Mahal. Und wenn er sich gegen die amerikanische Kriegspolitik am Persischen Golf stellt, noch besser. Subtrahierte man von James Bond westlichen Sexappeal, Drinks und Affären, käme Putin dabei raus. Ja, Russland ist wieder wer, signalisiert er den Untertanen. Gesund, sportlich, mächtig – und in allen Lagen weltgewandt. Wladimir Putin, der eigentümliche Popstar-Präsident, kann seinem Russland derzeit alles abverlangen. Und was noch wichtiger ist: Er erlaubt es, ihn zu lieben. ◄

Alexander Rohr: Wladimir Putin. Präsident Russlands – Partner Deutschlands (Universitas Verlag 2002).

Wladimir Putin u.a.: First Person: An astonishingly frank Self-Portrait by Russia’s President (Public Affairs 2000).