KULTUR
„Ich bin lieber hier bei den Verrückten!“ – David Bowie in Gugging
Als Bowie 1994 die Nervenheilanstalt Gugging besuchte, fühlte er sich fast wie zuhause. Christine de Grancys Fotos von diesem Besuch sind noch bis 17.2. in der Wiener Galerie Crone zu sehen. Empfehlung.
Text: Manfred Sax
Lasst mich nicht frei, schickt mich nicht fort, singt Bowie in All the Madmen, ich bleib lieber hier bei den Verrückten, die sind so wie ich, die kann ich verstehen. Das Lied ist im Album The Man Who Sold the World (1970) zu finden, mit einer Zeichnung des Südlondoner psychiatrischen Krankenhauses Cane Hill Hospital am Cover der amerikanischen Ausgabe. Dieses Spital, in dem auch Charlie Chaplins Mutter Patientin war, wurde 2010 in einen Block Wohnungen verwandelt. Aber von 1969 bis 1985 lebte dort auch Terry Burns, Bowies Halbbruder, dem Schizophrenie diagnostiziert worden war.
In Interviews hatte Bowie immer wieder mal angedeutet, wie wichtig der um zehn Jahre ältere Terry für seine Entwicklung als Künstler war. Er hatte ihm Tibetanischen Buddhismus und Jazz nahegebracht und eine Haltung zum Leben vermittelt, die sein Liedermachen befruchtete. Ohne Terry gäbe es keine Juwelen wie Bewlay Brothers, Quicksand oder das göttliche Five Years (siehe Video-Clips unten!).
Es herrschte Schneesturm, als Terry Burns am 16. Januar 1985 vom Personal unbemerkt das Cane Hill Hospital verließ und zum Bahnhof spazierte. Als ein Zug einfuhr, sprang er vom Bahnsteig runter, legte seinen Kopf auf die Schiene, und das wars mit Terry, jedenfalls mit seiner fleischlichen Hülle.
Der Geist des Halbbruders blieb selbstverständlich am Leben, zumal in Bowies Kopf, so ist das nun mal mit der nahen Verwandtschaft. Acht Jahre nach Terrys Tod, im März 1993, veröffentlichte er die Single Jump They Say, ein Lied vom Album Black Tie White Noise; ein Song, der sich mit Terrys Selbstmord beschäftigte und jene schöne Zeile über Glaube und Hoffnung offenbarte: “got to believe somebody”, das ”believe“ allerdings mit starker Betonung auf der zweiten Silbe, sodass aus dem „glauben“ ein „verlassen“ (leave) wurde. Sweet.
Es war wohl kein Zufall, dass er ein Jahr später anlässlich seines Besuches der Nervenheilanstalt Maria Gugging (in Begleitung von Brian Eno, der auch bei Jump They Say mitgewerkt hatte) eine gute Weile im Zimmer des Künstlers August Wallas verbrachte, dessen Assoziationen, etwa die postulierte Verwandtschaft von „Höhle“ und „Hölle“, ihm vertraut sein mussten. Wer je mit Schizophrenie zu tun hatte, der weiß, dass derlei Assoziationen der Stoff sind, aus denen die geistig in alternativen Welten heimischen „Outsiders“ kreative Energie schöpfen, die auch zur künstlerischen Expression werden kann – wenn man sie lässt; wenn man sie fördert anstatt sie zu ersticken.
Ganz sicher war es kein Zufall, dass André Heller, dessen Einladung Bowie und Eno gefolgt waren, auch die Fotografin Christine de Grancy mit dabei hatte, die den Besuch der Briten bildlich festhielt. 44 zuvor unveröffentlichte Fotos von Bowies „Gig in Gugging“ sind seit 5. Dezember des Vorjahrs in der Wiener Galerie Crone ausgestellt. Die Ausstellung erfreut sich fabulösen Besuches, „es gibt ständig Anrufe“, verrät Galeriedame Elisabeth Rahbari. „Am Wochenende ist zwar offiziell geschlossen, nur gibt es da so flehentliche Anfragen a la bin extra wegen Bowie 300 Kilometer angereist, darf ich bitte rein?“ Wie kann man da nein sagen?
Bowie in Gugging, Galerie Crone Wien, Getreidemarkt 14, Eingang Eschenbachgasse 14, 1010 Wien. Die Ausstellung ist noch bis 17.2. zu sehen. Mehr Infos hier!