KULTUR
Marianne Faithfull. Rock ’n’ Roll Royal mit Wurzeln in Wien
Sie ist eine Vollblutfrau, die sich permanent neu erfindet. In ihrem heute erschienenen Album blickt Ms Faithfull zurück. Auf ein Leben, dessen Wurzeln bis nach Wien reichen.
Text: Manfred Sax
„Ich hab eine Menge erlebt, und ich habe es überlebt“, meinte Marianne Faithfull unlängst. Und das allein sei schon Grund, ein wenig stolz zu sein. Und nicht nur das. Ein illusionsloser Rückblick auf ihre 71 Jahre Leben schuf auch üppiges Material für ihr neues – das einundzwanzigste – Solo-Album „Negative Capability“. Von den Texten her ein „zurück zu den Wurzeln“-Album. Das auch unter anderem nach Wien führte, klar, Ms Faithfull ist halbe Österreicherin. Ihre Mutter war Eva von Sacher-Masoch, Großnichte von Leopold Sacher-Masoch, Autor des Klassikers „Venus im Pelz“, der wiederum Lou Reeds Velvet Underground mächtig beeinflusste.
Masoch – der Name hätte für Faithfull nicht schlecht gepasst. Das Er- und Überlebte der geborenen Londonerin, wie gesagt: Mutter Eva, eine Ballerina, nach Einmarsch der Russen in Wien – und folglicher Vergewaltigung durch dieselben – nach England geflohen, dort von einem Major namens Robert Glynn Faithfull geschwängert, einem Vater, von dem ihr nur der Familienname blieb, er zog nach ein paar Jahren Leine. Dann die Sixties, die sie zur Legende machten, obwohl sie stets im Schatten ihrer beiden Galane blieb. Herausragend die Razzia in „Keefs“ Anwesen Redlands (1967), als sie nackt im Pelz vor den Polizisten erschien, Großonkel Leopold, schau oba.
Ihre Hits, beginnend mit dem Stones-Klassiker „As Tears Go By“, die Drogen- und Alkoholsucht ihrer 70er-Jahre, bis sie sich schließlich mit dem Album „Broken English“ (1979) neu erfand. Genug Material für ein musikalisches Werk. Allerdings hat sie auch noch einige Dramen der jüngeren Vergangenheit mit hineinverpackt: den Pariser Bombenterror (2015) unweit ihrer Wohnung; den Tod ihrer besten Freundin – und Ex-Mitgespielin von Mick und Keith – Anita Pallenberg im Vorjahr, und so weiter. Es machte Sinn, dass ein guter Teil ihrer neuen Songs von Nick Cave produziert wurde, dessen Sohn Arthur vor drei Jahren anlässlich eines LSD-Trips tödlich verunglückte. Womit die Tonlage im neuen Werk ausreichend angedeutet wäre. „Negative Capability“ ist eine starke Sache, aber nichts für Kurzweiler. Das Album kommt denn auch am Allerseelentag auf den Markt.
Marianne Faithfull: Negative Capability
Ab 2. November via BMG