GENUSS

Mit Vibrationshintergrund

Roland Graf

Beats per minute statt blauem Senf: Auf das „Blue Mustard“ folgt mit „Hannelore“ ein über zwei Ecken mit dem Dancefloor-Füller „Horst“ verwandtes Konzept. Originell, nicht nur durch den Baum, der an der Bar wächst.

Text: Roland Graf / Fotos: Martin Bruno-Vendanges, Eric-et-Julie-Michael-Ferire

Die alte Klientel im „Blue Mustard“ hätte ein Problem. Nicht mit der Ästhetik des nunmehr „Hannelore“ benannten Lokals in der Dorotheergasse, sondern mit der Karte. Denn die gibt es nicht in gedruckter Form, sondern lediglich als QR-Code. Handy vergessen? Dann wird‘s schwierig. Denn auch wenn die Cocktailkarte ambitioniert ist, nicht jeder erklärt sie dem Gast so wie Roberto Carlos Santoyo. „Ich bin Mexikaner“, rät er natio­nalstolz zum Mezcal-Drink und der pfeift dann auch deutlich mehr als der später vom Kollegen gemixte „Boulevardier“, dessen mächtiger Eisblock zwei Zentimeter über das Glas ragt. Nasen-Frostschutz ist nicht vorgesehen!

Doch vielleicht sollte man erst mal erklären, wo wir hier sind. Denn quasi über Nacht folgte auf das „Blue Mustard“, in seinem kurzen Lokal-Leben für die beste Küche im diskussionswürdigsten Ambiente (ultraviolette Gotik-Fenster mitten im Raum) bekannt, ein Neustart. „Wo kommen all die Leute her?“, fragt die Lady am Nebentisch zurecht. Mittwoch um 19.30 Uhr brechend volle Gasträume zu sehen, ist das Lockdown-geschundene Auge nicht mehr gewöhnt. Anorak-Träger im September, die Schanigärten mit der Vehemenz von Hausbesetzern okkupieren, schon eher. Nun, dieses Rätsel lässt sich lösen. Denn der Nachfolger kam von unerwarteter Seite und hat eine fünfstellige Fangemeinde, die ein „Hannelore Rising“-Posting hellhörig machte.

Dazu bedarf es aber einer Rückblende, die auch eine Nachtblende ist. Denn als Club setzte „Horst“ die Ahnenreihe der tanzbaren Locations in der Wiener Rotgasse fort: „Olympia Studios“, das berühmt-berüchtigte „P1“ und später „Empire“. Die aktuelle Tanzmaus-Generation chillte bei den Abenden im „Horst“, aber meist in der Nebenörtlichkeit „Hannelore“. Während der Club der wtf-Gruppe immer ein Ablaufdatum hatte, verfrachtete man den altmütterlichen Vornamen kurzerhand auf das, ja, was eigentlich? „Bar & Livingroom“ nennt man es bei den Betreibern, was so ziemlich alles impliziert, was in Wohnzimmern legal passieren kann. Die elektronischen Beats jucken auch das Tanzbein gehörig, überraschend ist aber auch das Essen. Kein „Fine Dining“, sondern eklektisches Barfood ist angesagt, das Trüffel-Pommes (gut, aber mit 9,80 Euro auch teuer) ebenso beinhaltet wie die unvermeidlichen Edamame (4,80 Euro), aber auch eine ironische Mini-Leberkäse-Semmel. Die kommt als Bausatz mit Senfgurke dazu, wie sie auch am Naschmarkt nicht besser zu finden ist.

Die Fröhlichkeit, hat man die strenge Tür erst einmal passiert, ist ansteckend. Unterm zentralen Baum hinter der Bar findet jede(r) seine Nische. In der man es sich bei Gin-Tonic oder eben einer Hummus-Trilogie und süßem Champagner auf Eis (hatte eine Geburtstagsrunde nebenan) wohl sein lässt. Warum? Weil man es – jetzt wieder – kann!

HANNELORE – BAR & LIVINGROOM
Dorotheergasse 6/8, A-1010 Wien, Montag bis Samstag 17-4 Uhr, instagram.com/hannelore.vienna

Preise: Beim Essen – „Truffle Fries“ zu 9,80 Euro – wird es teurer, die Mini-Leberkäsesemmel (4,80 Euro) passt aber. Auch Drinks haben 1.- Bezirk-Niveau („G&T“ zu 15 Euro).

Pflicht-Kauf: Baut man die „Schnitzel-Bites“ (9,50 Euro) zusammen, hat man ungefähr ein ganzes Wiener, ein Vorteil für spätabends!

Ideal für: Party-Animals a. D., denen heute schon ein Sitztanzerl und Haare-schön-Haben genügt.

Leistungs-Koeffizient: 84

Preisband: 88